Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Erstes Buch.
die wichtigen nicht erledigen könne; aber überdieß werde
dem Gerichte sein freier Lauf nicht gelassen, oftmals werde
ihm geboten still zu stehn: komme man ja endlich nach
langem Verzug und schwerer Mühe zu seinem Urtheil, so
finde man keine Execution, der Gegner bringe wohl gar
Mandate zur Verhinderung derselben aus. So geschehe
es daß die höchste Strafe, die Acht und Aberacht, Nie-
manden mehr erschrecke: der Geächtete finde doch Schirm
und Schutz. Und da es nun mit den übrigen Gerichten
nicht besser bestellt sey: allenthalben Mangel in ihrer Be-
setzung, Schonung der Missethäter, und Mißbrauch ohne
Ende: so sey nun der allgemeine Unfriede eingerissen. We-
der zu Lande noch zu Wasser seyen die Straßen sicher:
man kümmere sich um kein Geleite so wenig des Hauptes
als der Glieder: weder der Unterthan noch der Schutzver-
wandte werde geschirmt: der Ackersmann, der alle Stände
nähre, gehe zu Grunde: Witwen und Waisen seyen verlas-
sen: kein Pilgrim, keine Botschaft, kein Handelsmann könne
die Straße ziehn, um sein gutes Werk, oder seinen Auf-
trag, oder sein Geschäft auszurichten. Dazu komme der
überschwengliche Aufwand in Kleidung und Zehrung: der
Reichthum gehe in fremde Lande, vor allem nach Rom,
wo man täglich neue Lasten erfinde; wie schädlich sey es,
daß man die Kriegsknechte, die zuweilen gegen Kaiser und
Reich gestritten, wieder nach Haus gehen lasse; eben das
bringe die Meuterei in dem gemeinen Bauersmann hervor.

Und indem man diese allgemeinen Beschwerden auf-
setzte, ließ sich eine Unzahl besonderer Klagen vernehmen.
Die Wormser klagten über die "unmenschliche Fehde die
Franciscus von Sickingen, unverwahrt seiner Ehren, wider

Erſtes Buch.
die wichtigen nicht erledigen könne; aber überdieß werde
dem Gerichte ſein freier Lauf nicht gelaſſen, oftmals werde
ihm geboten ſtill zu ſtehn: komme man ja endlich nach
langem Verzug und ſchwerer Mühe zu ſeinem Urtheil, ſo
finde man keine Execution, der Gegner bringe wohl gar
Mandate zur Verhinderung derſelben aus. So geſchehe
es daß die höchſte Strafe, die Acht und Aberacht, Nie-
manden mehr erſchrecke: der Geächtete finde doch Schirm
und Schutz. Und da es nun mit den übrigen Gerichten
nicht beſſer beſtellt ſey: allenthalben Mangel in ihrer Be-
ſetzung, Schonung der Miſſethäter, und Mißbrauch ohne
Ende: ſo ſey nun der allgemeine Unfriede eingeriſſen. We-
der zu Lande noch zu Waſſer ſeyen die Straßen ſicher:
man kümmere ſich um kein Geleite ſo wenig des Hauptes
als der Glieder: weder der Unterthan noch der Schutzver-
wandte werde geſchirmt: der Ackersmann, der alle Stände
nähre, gehe zu Grunde: Witwen und Waiſen ſeyen verlaſ-
ſen: kein Pilgrim, keine Botſchaft, kein Handelsmann könne
die Straße ziehn, um ſein gutes Werk, oder ſeinen Auf-
trag, oder ſein Geſchäft auszurichten. Dazu komme der
überſchwengliche Aufwand in Kleidung und Zehrung: der
Reichthum gehe in fremde Lande, vor allem nach Rom,
wo man täglich neue Laſten erfinde; wie ſchädlich ſey es,
daß man die Kriegsknechte, die zuweilen gegen Kaiſer und
Reich geſtritten, wieder nach Haus gehen laſſe; eben das
bringe die Meuterei in dem gemeinen Bauersmann hervor.

Und indem man dieſe allgemeinen Beſchwerden auf-
ſetzte, ließ ſich eine Unzahl beſonderer Klagen vernehmen.
Die Wormſer klagten über die „unmenſchliche Fehde die
Franciscus von Sickingen, unverwahrt ſeiner Ehren, wider

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0238" n="220"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Er&#x017F;tes Buch</hi>.</fw><lb/>
die wichtigen nicht erledigen könne; aber überdieß werde<lb/>
dem Gerichte &#x017F;ein freier Lauf nicht gela&#x017F;&#x017F;en, oftmals werde<lb/>
ihm geboten &#x017F;till zu &#x017F;tehn: komme man ja endlich nach<lb/>
langem Verzug und &#x017F;chwerer Mühe zu &#x017F;einem Urtheil, &#x017F;o<lb/>
finde man keine Execution, der Gegner bringe wohl gar<lb/>
Mandate zur Verhinderung der&#x017F;elben aus. So ge&#x017F;chehe<lb/>
es daß die höch&#x017F;te Strafe, die Acht und Aberacht, Nie-<lb/>
manden mehr er&#x017F;chrecke: der Geächtete finde doch Schirm<lb/>
und Schutz. Und da es nun mit den übrigen Gerichten<lb/>
nicht be&#x017F;&#x017F;er be&#x017F;tellt &#x017F;ey: allenthalben Mangel in ihrer Be-<lb/>
&#x017F;etzung, Schonung der Mi&#x017F;&#x017F;ethäter, und Mißbrauch ohne<lb/>
Ende: &#x017F;o &#x017F;ey nun der allgemeine Unfriede eingeri&#x017F;&#x017F;en. We-<lb/>
der zu Lande noch zu Wa&#x017F;&#x017F;er &#x017F;eyen die Straßen &#x017F;icher:<lb/>
man kümmere &#x017F;ich um kein Geleite &#x017F;o wenig des Hauptes<lb/>
als der Glieder: weder der Unterthan noch der Schutzver-<lb/>
wandte werde ge&#x017F;chirmt: der Ackersmann, der alle Stände<lb/>
nähre, gehe zu Grunde: Witwen und Wai&#x017F;en &#x017F;eyen verla&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en: kein Pilgrim, keine Bot&#x017F;chaft, kein Handelsmann könne<lb/>
die Straße ziehn, um &#x017F;ein gutes Werk, oder &#x017F;einen Auf-<lb/>
trag, oder &#x017F;ein Ge&#x017F;chäft auszurichten. Dazu komme der<lb/>
über&#x017F;chwengliche Aufwand in Kleidung und Zehrung: der<lb/>
Reichthum gehe in fremde Lande, vor allem nach Rom,<lb/>
wo man täglich neue La&#x017F;ten erfinde; wie &#x017F;chädlich &#x017F;ey es,<lb/>
daß man die Kriegsknechte, die zuweilen gegen Kai&#x017F;er und<lb/>
Reich ge&#x017F;tritten, wieder nach Haus gehen la&#x017F;&#x017F;e; eben das<lb/>
bringe die Meuterei in dem gemeinen Bauersmann hervor.</p><lb/>
          <p>Und indem man die&#x017F;e allgemeinen Be&#x017F;chwerden auf-<lb/>
&#x017F;etzte, ließ &#x017F;ich eine Unzahl be&#x017F;onderer Klagen vernehmen.<lb/>
Die Worm&#x017F;er klagten über die &#x201E;unmen&#x017F;chliche Fehde die<lb/>
Franciscus von Sickingen, unverwahrt &#x017F;einer Ehren, wider<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[220/0238] Erſtes Buch. die wichtigen nicht erledigen könne; aber überdieß werde dem Gerichte ſein freier Lauf nicht gelaſſen, oftmals werde ihm geboten ſtill zu ſtehn: komme man ja endlich nach langem Verzug und ſchwerer Mühe zu ſeinem Urtheil, ſo finde man keine Execution, der Gegner bringe wohl gar Mandate zur Verhinderung derſelben aus. So geſchehe es daß die höchſte Strafe, die Acht und Aberacht, Nie- manden mehr erſchrecke: der Geächtete finde doch Schirm und Schutz. Und da es nun mit den übrigen Gerichten nicht beſſer beſtellt ſey: allenthalben Mangel in ihrer Be- ſetzung, Schonung der Miſſethäter, und Mißbrauch ohne Ende: ſo ſey nun der allgemeine Unfriede eingeriſſen. We- der zu Lande noch zu Waſſer ſeyen die Straßen ſicher: man kümmere ſich um kein Geleite ſo wenig des Hauptes als der Glieder: weder der Unterthan noch der Schutzver- wandte werde geſchirmt: der Ackersmann, der alle Stände nähre, gehe zu Grunde: Witwen und Waiſen ſeyen verlaſ- ſen: kein Pilgrim, keine Botſchaft, kein Handelsmann könne die Straße ziehn, um ſein gutes Werk, oder ſeinen Auf- trag, oder ſein Geſchäft auszurichten. Dazu komme der überſchwengliche Aufwand in Kleidung und Zehrung: der Reichthum gehe in fremde Lande, vor allem nach Rom, wo man täglich neue Laſten erfinde; wie ſchädlich ſey es, daß man die Kriegsknechte, die zuweilen gegen Kaiſer und Reich geſtritten, wieder nach Haus gehen laſſe; eben das bringe die Meuterei in dem gemeinen Bauersmann hervor. Und indem man dieſe allgemeinen Beſchwerden auf- ſetzte, ließ ſich eine Unzahl beſonderer Klagen vernehmen. Die Wormſer klagten über die „unmenſchliche Fehde die Franciscus von Sickingen, unverwahrt ſeiner Ehren, wider

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/238
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/238>, abgerufen am 13.05.2024.