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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Einleitung.
stand gegen jenen Versuch der Geistlichkeit ist, den Kaiser
und Herrn abzusetzen.

Aus ihrer Vergangenheit, dem Stammesleben, worin
sie sich früher bewegt, waren ihnen andere Begriffe von
der Rechtmäßigkeit eines Fürsten übrig geblieben, als
daß sie dieselbe von einer angeblichen Eingebung Gottes,
d. i. von dem Ausspruch der geistlichen Gewalt abgeleitet
hätten. Ludwig dem Frommen, der sich namentlich um
die sächsischen Großen besondere Verdienste erworben, wa-
ren sie ohnehin zugethan; leicht war ihr Widerwille gegen
jene Absetzung anzufachen; auf den Ruf Ludwigs des Deut-
schen, der bei ihnen in Baiern Hof hielt, versammelten
sich auch die übrigen Stämme, Sachsen, Schwaben und
die Franken diesseit der Carbonaria unter seine Fahnen:
zum ersten Mal waren sie in Einer großen Absicht verei-
nigt. Da ihnen von dem südlichen Frankreich her eine ana-
loge, wiewohl bei weitem schwächere Bewegung zu Hülfe
kam, so sahen sich die Bischöfe gar bald gezwungen, den
Kaiser von seiner Buße loszusprechen, ihn wieder als ihren
Herrn anzuerkennen. Die erste historische Handlung der
vereinigten Nation ist diese Erhebung zu Gunsten des an-
gebornen Fürsten gegen die geistliche Macht. Auch war
sie jetzt nicht mehr geneigt, sich jene Abweichung von ihrem
Erbrecht, die Thronfolge eines Einzigen über die ganze Mo-
narchie gefallen zu lassen. Als nach dem Tode Ludwigs
des Frommen Lothar, allem was vorangegangen zum Trotz,
den Versuch machte das gesammte Reich anzutreten, fand
er in den Deutschen anfangs zweifelhaften, aber jeden Au-
genblick wachsenden und endlich siegreichen Widerstand.

Einleitung.
ſtand gegen jenen Verſuch der Geiſtlichkeit iſt, den Kaiſer
und Herrn abzuſetzen.

Aus ihrer Vergangenheit, dem Stammesleben, worin
ſie ſich früher bewegt, waren ihnen andere Begriffe von
der Rechtmäßigkeit eines Fürſten übrig geblieben, als
daß ſie dieſelbe von einer angeblichen Eingebung Gottes,
d. i. von dem Ausſpruch der geiſtlichen Gewalt abgeleitet
hätten. Ludwig dem Frommen, der ſich namentlich um
die ſächſiſchen Großen beſondere Verdienſte erworben, wa-
ren ſie ohnehin zugethan; leicht war ihr Widerwille gegen
jene Abſetzung anzufachen; auf den Ruf Ludwigs des Deut-
ſchen, der bei ihnen in Baiern Hof hielt, verſammelten
ſich auch die übrigen Stämme, Sachſen, Schwaben und
die Franken dieſſeit der Carbonaria unter ſeine Fahnen:
zum erſten Mal waren ſie in Einer großen Abſicht verei-
nigt. Da ihnen von dem ſüdlichen Frankreich her eine ana-
loge, wiewohl bei weitem ſchwächere Bewegung zu Hülfe
kam, ſo ſahen ſich die Biſchöfe gar bald gezwungen, den
Kaiſer von ſeiner Buße loszuſprechen, ihn wieder als ihren
Herrn anzuerkennen. Die erſte hiſtoriſche Handlung der
vereinigten Nation iſt dieſe Erhebung zu Gunſten des an-
gebornen Fürſten gegen die geiſtliche Macht. Auch war
ſie jetzt nicht mehr geneigt, ſich jene Abweichung von ihrem
Erbrecht, die Thronfolge eines Einzigen über die ganze Mo-
narchie gefallen zu laſſen. Als nach dem Tode Ludwigs
des Frommen Lothar, allem was vorangegangen zum Trotz,
den Verſuch machte das geſammte Reich anzutreten, fand
er in den Deutſchen anfangs zweifelhaften, aber jeden Au-
genblick wachſenden und endlich ſiegreichen Widerſtand.

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[14/0032] Einleitung. ſtand gegen jenen Verſuch der Geiſtlichkeit iſt, den Kaiſer und Herrn abzuſetzen. Aus ihrer Vergangenheit, dem Stammesleben, worin ſie ſich früher bewegt, waren ihnen andere Begriffe von der Rechtmäßigkeit eines Fürſten übrig geblieben, als daß ſie dieſelbe von einer angeblichen Eingebung Gottes, d. i. von dem Ausſpruch der geiſtlichen Gewalt abgeleitet hätten. Ludwig dem Frommen, der ſich namentlich um die ſächſiſchen Großen beſondere Verdienſte erworben, wa- ren ſie ohnehin zugethan; leicht war ihr Widerwille gegen jene Abſetzung anzufachen; auf den Ruf Ludwigs des Deut- ſchen, der bei ihnen in Baiern Hof hielt, verſammelten ſich auch die übrigen Stämme, Sachſen, Schwaben und die Franken dieſſeit der Carbonaria unter ſeine Fahnen: zum erſten Mal waren ſie in Einer großen Abſicht verei- nigt. Da ihnen von dem ſüdlichen Frankreich her eine ana- loge, wiewohl bei weitem ſchwächere Bewegung zu Hülfe kam, ſo ſahen ſich die Biſchöfe gar bald gezwungen, den Kaiſer von ſeiner Buße loszuſprechen, ihn wieder als ihren Herrn anzuerkennen. Die erſte hiſtoriſche Handlung der vereinigten Nation iſt dieſe Erhebung zu Gunſten des an- gebornen Fürſten gegen die geiſtliche Macht. Auch war ſie jetzt nicht mehr geneigt, ſich jene Abweichung von ihrem Erbrecht, die Thronfolge eines Einzigen über die ganze Mo- narchie gefallen zu laſſen. Als nach dem Tode Ludwigs des Frommen Lothar, allem was vorangegangen zum Trotz, den Verſuch machte das geſammte Reich anzutreten, fand er in den Deutſchen anfangs zweifelhaften, aber jeden Au- genblick wachſenden und endlich ſiegreichen Widerſtand.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/32>, abgerufen am 28.04.2024.