Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung.
ein voller Gehorsam gegen ihn zu erwarten gewesen? Wie
hätte sich ferner der Stamm der Sachsen, der bisher
die Herrschaft geführt, einem auswärtigen Geschlechte so
geradehin unterwerfen sollen? Es erfolgte, daß sich zwei
Factionen, die eine im Gehorsam, die andre in Oppo-
sition gegen die fränkischen Kaiser, einander gegenübersetzten
und das Reich mit ihren Streitigkeiten erfüllten. Die
strenge Sinnesweise Heinrichs III erweckte ein allgemeines
Murren. 1 Ein Traumgesicht, das uns von dem Kanz-
ler desselben erzählt wird, bezeichnet die Lage der Dinge
nicht übel. Er sah den Kaiser auf seinem Throne sitzen,
und sein Schwerd mit dem Ausruf zucken, er gedenke sich
noch an allen seinen Feinden zu rächen. Wie hätten da die
Kaiser, ihr Leben lang mit inneren Irrungen beschäftigt,
an der Spitze der europäischen Menschheit zu irgend einer
großartigen Unternehmung sich erheben, den Titel der Ober-
herrlichkeit sich wirklich verdienen können?

Merkwürdiger Weise war das Element, auf das sie
sich stützten, doch hauptsächlich wieder die Geistlichkeit.
Schon Otto der Große verdankte der Unterstützung der
Bischöfe, z. B. seines Bruders Bruno, den er zum Erz-
bischof von Cölln gemacht, und der ihm dafür Lothringen
in Pflicht hielt, wenigstens zum Theil seine glücklichen Er-
folge in den innern Streitigkeiten: nur mit der Hülfe sei-
ner Geistlichen besiegte er den Papst. 2 Die Kaiser fan-

1 Hermannus Contractus ad a. 1053. Regni tam primores
quam inferiores magis magisque mussitantes, regem se ipso de-
teriorem
(schlimmer) fore causabantur.
2 Rescriptum patrum in concilio bei Liutprand lib. VI ent-

Einleitung.
ein voller Gehorſam gegen ihn zu erwarten geweſen? Wie
hätte ſich ferner der Stamm der Sachſen, der bisher
die Herrſchaft geführt, einem auswärtigen Geſchlechte ſo
geradehin unterwerfen ſollen? Es erfolgte, daß ſich zwei
Factionen, die eine im Gehorſam, die andre in Oppo-
ſition gegen die fränkiſchen Kaiſer, einander gegenüberſetzten
und das Reich mit ihren Streitigkeiten erfüllten. Die
ſtrenge Sinnesweiſe Heinrichs III erweckte ein allgemeines
Murren. 1 Ein Traumgeſicht, das uns von dem Kanz-
ler deſſelben erzählt wird, bezeichnet die Lage der Dinge
nicht übel. Er ſah den Kaiſer auf ſeinem Throne ſitzen,
und ſein Schwerd mit dem Ausruf zucken, er gedenke ſich
noch an allen ſeinen Feinden zu rächen. Wie hätten da die
Kaiſer, ihr Leben lang mit inneren Irrungen beſchäftigt,
an der Spitze der europäiſchen Menſchheit zu irgend einer
großartigen Unternehmung ſich erheben, den Titel der Ober-
herrlichkeit ſich wirklich verdienen können?

Merkwürdiger Weiſe war das Element, auf das ſie
ſich ſtützten, doch hauptſächlich wieder die Geiſtlichkeit.
Schon Otto der Große verdankte der Unterſtützung der
Biſchöfe, z. B. ſeines Bruders Bruno, den er zum Erz-
biſchof von Cölln gemacht, und der ihm dafür Lothringen
in Pflicht hielt, wenigſtens zum Theil ſeine glücklichen Er-
folge in den innern Streitigkeiten: nur mit der Hülfe ſei-
ner Geiſtlichen beſiegte er den Papſt. 2 Die Kaiſer fan-

1 Hermannus Contractus ad a. 1053. Regni tam primores
quam inferiores magis magisque mussitantes, regem se ipso de-
teriorem
(ſchlimmer) fore causabantur.
2 Rescriptum patrum in concilio bei Liutprand lib. VI ent-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0044" n="26"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/>
ein voller Gehor&#x017F;am gegen ihn zu erwarten gewe&#x017F;en? Wie<lb/>
hätte &#x017F;ich ferner der Stamm der Sach&#x017F;en, der bisher<lb/>
die Herr&#x017F;chaft geführt, einem auswärtigen Ge&#x017F;chlechte &#x017F;o<lb/>
geradehin unterwerfen &#x017F;ollen? Es erfolgte, daß &#x017F;ich zwei<lb/>
Factionen, die eine im Gehor&#x017F;am, die andre in Oppo-<lb/>
&#x017F;ition gegen die fränki&#x017F;chen Kai&#x017F;er, einander gegenüber&#x017F;etzten<lb/>
und das Reich mit ihren Streitigkeiten erfüllten. Die<lb/>
&#x017F;trenge Sinneswei&#x017F;e Heinrichs <hi rendition="#aq">III</hi> erweckte ein allgemeines<lb/>
Murren. <note place="foot" n="1"><hi rendition="#aq">Hermannus Contractus ad a. 1053. Regni tam primores<lb/>
quam inferiores magis magisque mussitantes, regem se ipso de-<lb/>
teriorem</hi> (&#x017F;chlimmer) <hi rendition="#aq">fore causabantur.</hi></note> Ein Traumge&#x017F;icht, das uns von dem Kanz-<lb/>
ler de&#x017F;&#x017F;elben erzählt wird, bezeichnet die Lage der Dinge<lb/>
nicht übel. Er &#x017F;ah den Kai&#x017F;er auf &#x017F;einem Throne &#x017F;itzen,<lb/>
und &#x017F;ein Schwerd mit dem Ausruf zucken, er gedenke &#x017F;ich<lb/>
noch an allen &#x017F;einen Feinden zu rächen. Wie hätten da die<lb/>
Kai&#x017F;er, ihr Leben lang mit inneren Irrungen be&#x017F;chäftigt,<lb/>
an der Spitze der europäi&#x017F;chen Men&#x017F;chheit zu irgend einer<lb/>
großartigen Unternehmung &#x017F;ich erheben, den Titel der Ober-<lb/>
herrlichkeit &#x017F;ich wirklich verdienen können?</p><lb/>
          <p>Merkwürdiger Wei&#x017F;e war das Element, auf das &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;tützten, doch haupt&#x017F;ächlich wieder die Gei&#x017F;tlichkeit.<lb/>
Schon Otto der Große verdankte der Unter&#x017F;tützung der<lb/>
Bi&#x017F;chöfe, z. B. &#x017F;eines Bruders Bruno, den er zum Erz-<lb/>
bi&#x017F;chof von Cölln gemacht, und der ihm dafür Lothringen<lb/>
in Pflicht hielt, wenig&#x017F;tens zum Theil &#x017F;eine glücklichen Er-<lb/>
folge in den innern Streitigkeiten: nur mit der Hülfe &#x017F;ei-<lb/>
ner Gei&#x017F;tlichen be&#x017F;iegte er den Pap&#x017F;t. <note xml:id="seg2pn_3_1" next="#seg2pn_3_2" place="foot" n="2"><hi rendition="#aq">Rescriptum patrum in concilio</hi> bei <hi rendition="#aq">Liutprand lib. VI</hi> ent-</note> Die Kai&#x017F;er fan-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0044] Einleitung. ein voller Gehorſam gegen ihn zu erwarten geweſen? Wie hätte ſich ferner der Stamm der Sachſen, der bisher die Herrſchaft geführt, einem auswärtigen Geſchlechte ſo geradehin unterwerfen ſollen? Es erfolgte, daß ſich zwei Factionen, die eine im Gehorſam, die andre in Oppo- ſition gegen die fränkiſchen Kaiſer, einander gegenüberſetzten und das Reich mit ihren Streitigkeiten erfüllten. Die ſtrenge Sinnesweiſe Heinrichs III erweckte ein allgemeines Murren. 1 Ein Traumgeſicht, das uns von dem Kanz- ler deſſelben erzählt wird, bezeichnet die Lage der Dinge nicht übel. Er ſah den Kaiſer auf ſeinem Throne ſitzen, und ſein Schwerd mit dem Ausruf zucken, er gedenke ſich noch an allen ſeinen Feinden zu rächen. Wie hätten da die Kaiſer, ihr Leben lang mit inneren Irrungen beſchäftigt, an der Spitze der europäiſchen Menſchheit zu irgend einer großartigen Unternehmung ſich erheben, den Titel der Ober- herrlichkeit ſich wirklich verdienen können? Merkwürdiger Weiſe war das Element, auf das ſie ſich ſtützten, doch hauptſächlich wieder die Geiſtlichkeit. Schon Otto der Große verdankte der Unterſtützung der Biſchöfe, z. B. ſeines Bruders Bruno, den er zum Erz- biſchof von Cölln gemacht, und der ihm dafür Lothringen in Pflicht hielt, wenigſtens zum Theil ſeine glücklichen Er- folge in den innern Streitigkeiten: nur mit der Hülfe ſei- ner Geiſtlichen beſiegte er den Papſt. 2 Die Kaiſer fan- 1 Hermannus Contractus ad a. 1053. Regni tam primores quam inferiores magis magisque mussitantes, regem se ipso de- teriorem (ſchlimmer) fore causabantur. 2 Rescriptum patrum in concilio bei Liutprand lib. VI ent-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/44
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/44>, abgerufen am 28.04.2024.