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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843.

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Siebentes Buch. Zweites Capitel.

Wir können sie glücklicherweise mit ziemlicher Sicherheit
beantworten.

Nach dem mißlungenen französischen Feldzug hatte Carl V
die nunmehr zu ergreifende Politik sorgfältig in Erwägung
gezogen, 1 und sich am Ende entschlossen, auf neue Unter-
handlungen mit Frankreich einzugehn, und zwar zunächst wie-
der in Bezug auf Mailand. Er und seine Räthe hielten
daran fest, daß in einem Abkommen mit Frankreich die erste
Bedingung einer freien Bewegung nach jeder andern Seite
hin liege; aber dabei verbargen sie sich doch auch nicht, wie
schwer es seyn werde, zu einem solchen zu gelangen: und
seinem Bruder wenigstens ließ der Kaiser melden, daß er es
mit nichten hoffe: ohne Zweifel werde der König die Ent-
zweiung in Deutschland ferner zu seinen Zwecken nähren,
einen neuen Angriff der Osmanen veranlassen; vielleicht habe
er schon den Papst gewonnen. Der Kaiser gab die Besorg-
niß zu erkennen, daß der Papst und zwar aus Rücksicht auf
Frankreich das Concilium gar nicht mehr wolle. 2

Und unter diesen Umständen hätte er seinen Abgeord-
neten angewiesen, eine Sprache zu führen welche die Ent-
zweiung in Deutschland erst recht entflammen, die Prote-
stanten in ihr altes Mißtrauen gegen seine Absichten zu-
rückwerfen und den Einflüsterungen des Königs von Frank-
reich
Gehör verschaffen mußte?


1 Im Anhang denke ich dieß Gutachten, das sich im Brüsse-
ler Archiv in der originalen Geheimschrift befindet, mitzutheilen.
2 est besoing - - - adviser ce que sera de faire en cas que
le pape, par induction dudit roy de France ou pour craincte
que ledit sainct pere a de perdre son auctorite ou royaume de
France, qu'il ne voulsit entendre a la celebration dudit concille
soubz couleur de ladite guerre dentre nous et ledit Roy de France.
Siebentes Buch. Zweites Capitel.

Wir können ſie glücklicherweiſe mit ziemlicher Sicherheit
beantworten.

Nach dem mißlungenen franzöſiſchen Feldzug hatte Carl V
die nunmehr zu ergreifende Politik ſorgfältig in Erwägung
gezogen, 1 und ſich am Ende entſchloſſen, auf neue Unter-
handlungen mit Frankreich einzugehn, und zwar zunächſt wie-
der in Bezug auf Mailand. Er und ſeine Räthe hielten
daran feſt, daß in einem Abkommen mit Frankreich die erſte
Bedingung einer freien Bewegung nach jeder andern Seite
hin liege; aber dabei verbargen ſie ſich doch auch nicht, wie
ſchwer es ſeyn werde, zu einem ſolchen zu gelangen: und
ſeinem Bruder wenigſtens ließ der Kaiſer melden, daß er es
mit nichten hoffe: ohne Zweifel werde der König die Ent-
zweiung in Deutſchland ferner zu ſeinen Zwecken nähren,
einen neuen Angriff der Osmanen veranlaſſen; vielleicht habe
er ſchon den Papſt gewonnen. Der Kaiſer gab die Beſorg-
niß zu erkennen, daß der Papſt und zwar aus Rückſicht auf
Frankreich das Concilium gar nicht mehr wolle. 2

Und unter dieſen Umſtänden hätte er ſeinen Abgeord-
neten angewieſen, eine Sprache zu führen welche die Ent-
zweiung in Deutſchland erſt recht entflammen, die Prote-
ſtanten in ihr altes Mißtrauen gegen ſeine Abſichten zu-
rückwerfen und den Einflüſterungen des Königs von Frank-
reich
Gehör verſchaffen mußte?


1 Im Anhang denke ich dieß Gutachten, das ſich im Bruͤſſe-
ler Archiv in der originalen Geheimſchrift befindet, mitzutheilen.
2 est besoing ‒ ‒ ‒ adviser ce que sera de faire en cas que
le pape, par induction dudit roy de France ou pour craincte
que ledit sainct pere a de perdre son auctorité ou royaume de
France, qu’il ne voulsit entendre a la celebration dudit concille
soubz couleur de ladite guerre dentre nous et ledit Roy de France.
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[102/0114] Siebentes Buch. Zweites Capitel. Wir können ſie glücklicherweiſe mit ziemlicher Sicherheit beantworten. Nach dem mißlungenen franzöſiſchen Feldzug hatte Carl V die nunmehr zu ergreifende Politik ſorgfältig in Erwägung gezogen, 1 und ſich am Ende entſchloſſen, auf neue Unter- handlungen mit Frankreich einzugehn, und zwar zunächſt wie- der in Bezug auf Mailand. Er und ſeine Räthe hielten daran feſt, daß in einem Abkommen mit Frankreich die erſte Bedingung einer freien Bewegung nach jeder andern Seite hin liege; aber dabei verbargen ſie ſich doch auch nicht, wie ſchwer es ſeyn werde, zu einem ſolchen zu gelangen: und ſeinem Bruder wenigſtens ließ der Kaiſer melden, daß er es mit nichten hoffe: ohne Zweifel werde der König die Ent- zweiung in Deutſchland ferner zu ſeinen Zwecken nähren, einen neuen Angriff der Osmanen veranlaſſen; vielleicht habe er ſchon den Papſt gewonnen. Der Kaiſer gab die Beſorg- niß zu erkennen, daß der Papſt und zwar aus Rückſicht auf Frankreich das Concilium gar nicht mehr wolle. 2 Und unter dieſen Umſtänden hätte er ſeinen Abgeord- neten angewieſen, eine Sprache zu führen welche die Ent- zweiung in Deutſchland erſt recht entflammen, die Prote- ſtanten in ihr altes Mißtrauen gegen ſeine Abſichten zu- rückwerfen und den Einflüſterungen des Königs von Frank- reich Gehör verſchaffen mußte? 1 Im Anhang denke ich dieß Gutachten, das ſich im Bruͤſſe- ler Archiv in der originalen Geheimſchrift befindet, mitzutheilen. 2 est besoing ‒ ‒ ‒ adviser ce que sera de faire en cas que le pape, par induction dudit roy de France ou pour craincte que ledit sainct pere a de perdre son auctorité ou royaume de France, qu’il ne voulsit entendre a la celebration dudit concille soubz couleur de ladite guerre dentre nous et ledit Roy de France.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/114>, abgerufen am 28.04.2024.