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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

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Die Geschichte
schweren Sache eine Probe von der Klugheit zu
geben, die alle Jhre übrige Handlungen regieret,
daß Sie sich vor einer genauen Untersuchung aller
der wahren und eigentlichen Quellen nicht scheuen
wollen, aus denen Jhre großmüthige und recht
edle Gesinnung gegen diesen glücklichen Herrn ge-
flossen ist. Jch glaube gewiß, daß Sie finden wer-
den, die eigentliche Quelle sey nichts anders als
Liebe. Fürchten Sie sich vor dem Worte nicht! --
Hat nicht Herr Lovelace selbst so viel Einsicht in
diese Philosophie, daß er Jhrer Base der Frau
Hervey die Anmerckung geben können: es pflege
die Liebe in den standhaftesten Gemüthern am tief-
sten zu wurtzeln? Der Hencker hole seine Einsich-
ten, und seinen verschmitzten Kopf! Es sind schon
sechs oder sieben Wochen, da er dieses gesagt und
gemerckt hat.

Sie wissen, daß ich aus Erfahrung rede. Bey
der allergenauesten Prüfung habe ich die Zeit doch
nicht bestimmen können, in der meine Kranckheit
ihren Anfang nahm: Allein hätte ich nicht den Rath
von Jhnen damals bekommen, den ich ihnen jetzt
wieder gebe, so würde ich (wie man sagt) sterblich
verliebt geworden seyn. Und doch war mein Freyer
nur halb so: - - so? was denn, mein Schatz?
was meine ich wol, wie ist er nicht gewesen? - - -
Jn der That Lovelace ist ein Liebenswürdiger
junger Herr: auch denn wäre er schon liebenswürdig,
wenn er Jhr eintziger Freyer wäre. Jch will Sie
nicht verliebt machen, wenn Sie meinen Brief le-
sen. Nein in der That nicht. Finden Sie aber

nicht

Die Geſchichte
ſchweren Sache eine Probe von der Klugheit zu
geben, die alle Jhre uͤbrige Handlungen regieret,
daß Sie ſich vor einer genauen Unterſuchung aller
der wahren und eigentlichen Quellen nicht ſcheuen
wollen, aus denen Jhre großmuͤthige und recht
edle Geſinnung gegen dieſen gluͤcklichen Herrn ge-
floſſen iſt. Jch glaube gewiß, daß Sie finden wer-
den, die eigentliche Quelle ſey nichts anders als
Liebe. Fuͤrchten Sie ſich vor dem Worte nicht! ‒‒
Hat nicht Herr Lovelace ſelbſt ſo viel Einſicht in
dieſe Philoſophie, daß er Jhrer Baſe der Frau
Hervey die Anmerckung geben koͤnnen: es pflege
die Liebe in den ſtandhafteſten Gemuͤthern am tief-
ſten zu wurtzeln? Der Hencker hole ſeine Einſich-
ten, und ſeinen verſchmitzten Kopf! Es ſind ſchon
ſechs oder ſieben Wochen, da er dieſes geſagt und
gemerckt hat.

Sie wiſſen, daß ich aus Erfahrung rede. Bey
der allergenaueſten Pruͤfung habe ich die Zeit doch
nicht beſtimmen koͤnnen, in der meine Kranckheit
ihren Anfang nahm: Allein haͤtte ich nicht den Rath
von Jhnen damals bekommen, den ich ihnen jetzt
wieder gebe, ſo wuͤrde ich (wie man ſagt) ſterblich
verliebt geworden ſeyn. Und doch war mein Freyer
nur halb ſo: ‒ ‒ ſo? was denn, mein Schatz?
was meine ich wol, wie iſt er nicht geweſen? ‒ ‒ ‒
Jn der That Lovelace iſt ein Liebenswuͤrdiger
junger Herr: auch deñ waͤre er ſchon liebenswuͤrdig,
wenn er Jhr eintziger Freyer waͤre. Jch will Sie
nicht verliebt machen, wenn Sie meinen Brief le-
ſen. Nein in der That nicht. Finden Sie aber

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[102/0122] Die Geſchichte ſchweren Sache eine Probe von der Klugheit zu geben, die alle Jhre uͤbrige Handlungen regieret, daß Sie ſich vor einer genauen Unterſuchung aller der wahren und eigentlichen Quellen nicht ſcheuen wollen, aus denen Jhre großmuͤthige und recht edle Geſinnung gegen dieſen gluͤcklichen Herrn ge- floſſen iſt. Jch glaube gewiß, daß Sie finden wer- den, die eigentliche Quelle ſey nichts anders als Liebe. Fuͤrchten Sie ſich vor dem Worte nicht! ‒‒ Hat nicht Herr Lovelace ſelbſt ſo viel Einſicht in dieſe Philoſophie, daß er Jhrer Baſe der Frau Hervey die Anmerckung geben koͤnnen: es pflege die Liebe in den ſtandhafteſten Gemuͤthern am tief- ſten zu wurtzeln? Der Hencker hole ſeine Einſich- ten, und ſeinen verſchmitzten Kopf! Es ſind ſchon ſechs oder ſieben Wochen, da er dieſes geſagt und gemerckt hat. Sie wiſſen, daß ich aus Erfahrung rede. Bey der allergenaueſten Pruͤfung habe ich die Zeit doch nicht beſtimmen koͤnnen, in der meine Kranckheit ihren Anfang nahm: Allein haͤtte ich nicht den Rath von Jhnen damals bekommen, den ich ihnen jetzt wieder gebe, ſo wuͤrde ich (wie man ſagt) ſterblich verliebt geworden ſeyn. Und doch war mein Freyer nur halb ſo: ‒ ‒ ſo? was denn, mein Schatz? was meine ich wol, wie iſt er nicht geweſen? ‒ ‒ ‒ Jn der That Lovelace iſt ein Liebenswuͤrdiger junger Herr: auch deñ waͤre er ſchon liebenswuͤrdig, wenn er Jhr eintziger Freyer waͤre. Jch will Sie nicht verliebt machen, wenn Sie meinen Brief le- ſen. Nein in der That nicht. Finden Sie aber nicht

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/122>, abgerufen am 26.04.2024.