Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
der Clarissa.

Jch mache also den Anfang.

Als das Früh-Stück fertig war, ging ich heute
Morgen mit einem schweren Hertzen hinunter,
weil mich das noch beunruhigte, was ich den Tag
vorher von Hannichen gehört hatte. Jch wünsch-
te mir indessen eine Gelegenheit, mit meiner Mut-
ter allein zu reden, weil ich sie zu gewinnen hoffete,
daß sie sich meiner annehmen möchte: und nahm
mir vor, es zu versuchen, wenn sie nach dem
Früh-Stück in ihre eigene Stube gehen würde.
Zu allem Unglück aber fand ich hier den eckelhaf-
ten Solmes, der sich mit einem dreisten Gesicht
in dem man seine gewisse Hoffnung wahrnehmen
konte, zwischen meine Mutter und Schwester
gelagert hatte. Doch Sie wissen, mein Hertz,
daß Leute die wir nicht leiden mögen uns nichts
recht machen können.

Es wäre noch angegangen, wenn er sitzen ge-
blieben wäre. Aber das krumme breitschulterige
Ungeheuer mußte nothwendig aufstehen, und sich
nach dem Stuhl hinbewegen, welcher gleich bey
dem meinigen stand. Jch schob ihn eine Ecke
weg, als wenn ich Platz für meinen Stuhl ma-
chen wollte, und setzte mich geschwind und ver-
drießlich genug (wie ich fürchte) nieder, denn al-
les was ich gehört hatte lag mir noch im Gemüth.
Dis war noch nicht genug ihn abzuschrecken: er
ist ein Kerl voll guter Zuversicht und Verwegen-
heit. Jn der That, mein Hertz, der Mann ist
sehr zuversichtlich. Er nahm den weggehobenen
Stuhl, und setzte ihn so nahe an meinen, daß er

mir
K 5
der Clariſſa.

Jch mache alſo den Anfang.

Als das Fruͤh-Stuͤck fertig war, ging ich heute
Morgen mit einem ſchweren Hertzen hinunter,
weil mich das noch beunruhigte, was ich den Tag
vorher von Hannichen gehoͤrt hatte. Jch wuͤnſch-
te mir indeſſen eine Gelegenheit, mit meiner Mut-
ter allein zu reden, weil ich ſie zu gewinnen hoffete,
daß ſie ſich meiner annehmen moͤchte: und nahm
mir vor, es zu verſuchen, wenn ſie nach dem
Fruͤh-Stuͤck in ihre eigene Stube gehen wuͤrde.
Zu allem Ungluͤck aber fand ich hier den eckelhaf-
ten Solmes, der ſich mit einem dreiſten Geſicht
in dem man ſeine gewiſſe Hoffnung wahrnehmen
konte, zwiſchen meine Mutter und Schweſter
gelagert hatte. Doch Sie wiſſen, mein Hertz,
daß Leute die wir nicht leiden moͤgen uns nichts
recht machen koͤnnen.

Es waͤre noch angegangen, wenn er ſitzen ge-
blieben waͤre. Aber das krumme breitſchulterige
Ungeheuer mußte nothwendig aufſtehen, und ſich
nach dem Stuhl hinbewegen, welcher gleich bey
dem meinigen ſtand. Jch ſchob ihn eine Ecke
weg, als wenn ich Platz fuͤr meinen Stuhl ma-
chen wollte, und ſetzte mich geſchwind und ver-
drießlich genug (wie ich fuͤrchte) nieder, denn al-
les was ich gehoͤrt hatte lag mir noch im Gemuͤth.
Dis war noch nicht genug ihn abzuſchrecken: er
iſt ein Kerl voll guter Zuverſicht und Verwegen-
heit. Jn der That, mein Hertz, der Mann iſt
ſehr zuverſichtlich. Er nahm den weggehobenen
Stuhl, und ſetzte ihn ſo nahe an meinen, daß er

mir
K 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <pb facs="#f0173" n="153"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a.</hi> </hi> </fw><lb/>
        <p>Jch mache al&#x017F;o den Anfang.</p><lb/>
        <p>Als das Fru&#x0364;h-Stu&#x0364;ck fertig war, ging ich heute<lb/>
Morgen mit einem &#x017F;chweren Hertzen hinunter,<lb/>
weil mich das noch beunruhigte, was ich den Tag<lb/>
vorher von <hi rendition="#fr">Hannichen</hi> geho&#x0364;rt hatte. Jch wu&#x0364;n&#x017F;ch-<lb/>
te mir inde&#x017F;&#x017F;en eine Gelegenheit, mit meiner Mut-<lb/>
ter allein zu reden, weil ich &#x017F;ie zu gewinnen hoffete,<lb/>
daß &#x017F;ie &#x017F;ich meiner annehmen mo&#x0364;chte: und nahm<lb/>
mir vor, es zu ver&#x017F;uchen, wenn &#x017F;ie nach dem<lb/>
Fru&#x0364;h-Stu&#x0364;ck in ihre eigene Stube gehen wu&#x0364;rde.<lb/>
Zu allem Unglu&#x0364;ck aber fand ich hier den eckelhaf-<lb/>
ten <hi rendition="#fr">Solmes,</hi> der &#x017F;ich mit einem drei&#x017F;ten Ge&#x017F;icht<lb/>
in dem man &#x017F;eine gewi&#x017F;&#x017F;e Hoffnung wahrnehmen<lb/>
konte, zwi&#x017F;chen meine Mutter und Schwe&#x017F;ter<lb/>
gelagert hatte. Doch Sie wi&#x017F;&#x017F;en, mein Hertz,<lb/>
daß Leute die wir nicht leiden mo&#x0364;gen uns nichts<lb/>
recht machen ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
        <p>Es wa&#x0364;re noch angegangen, wenn er &#x017F;itzen ge-<lb/>
blieben wa&#x0364;re. Aber das krumme breit&#x017F;chulterige<lb/>
Ungeheuer mußte nothwendig auf&#x017F;tehen, und &#x017F;ich<lb/>
nach dem Stuhl hinbewegen, welcher gleich bey<lb/>
dem meinigen &#x017F;tand. Jch &#x017F;chob ihn eine Ecke<lb/>
weg, als wenn ich Platz fu&#x0364;r meinen Stuhl ma-<lb/>
chen wollte, und &#x017F;etzte mich ge&#x017F;chwind und ver-<lb/>
drießlich genug (wie ich fu&#x0364;rchte) nieder, denn al-<lb/>
les was ich geho&#x0364;rt hatte lag mir noch im Gemu&#x0364;th.<lb/>
Dis war noch nicht genug ihn abzu&#x017F;chrecken: er<lb/>
i&#x017F;t ein Kerl voll guter Zuver&#x017F;icht und Verwegen-<lb/>
heit. Jn der That, mein Hertz, der Mann i&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ehr zuver&#x017F;ichtlich. Er nahm den weggehobenen<lb/>
Stuhl, und &#x017F;etzte ihn &#x017F;o nahe an meinen, daß er<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">K 5</fw><fw place="bottom" type="catch">mir</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[153/0173] der Clariſſa. Jch mache alſo den Anfang. Als das Fruͤh-Stuͤck fertig war, ging ich heute Morgen mit einem ſchweren Hertzen hinunter, weil mich das noch beunruhigte, was ich den Tag vorher von Hannichen gehoͤrt hatte. Jch wuͤnſch- te mir indeſſen eine Gelegenheit, mit meiner Mut- ter allein zu reden, weil ich ſie zu gewinnen hoffete, daß ſie ſich meiner annehmen moͤchte: und nahm mir vor, es zu verſuchen, wenn ſie nach dem Fruͤh-Stuͤck in ihre eigene Stube gehen wuͤrde. Zu allem Ungluͤck aber fand ich hier den eckelhaf- ten Solmes, der ſich mit einem dreiſten Geſicht in dem man ſeine gewiſſe Hoffnung wahrnehmen konte, zwiſchen meine Mutter und Schweſter gelagert hatte. Doch Sie wiſſen, mein Hertz, daß Leute die wir nicht leiden moͤgen uns nichts recht machen koͤnnen. Es waͤre noch angegangen, wenn er ſitzen ge- blieben waͤre. Aber das krumme breitſchulterige Ungeheuer mußte nothwendig aufſtehen, und ſich nach dem Stuhl hinbewegen, welcher gleich bey dem meinigen ſtand. Jch ſchob ihn eine Ecke weg, als wenn ich Platz fuͤr meinen Stuhl ma- chen wollte, und ſetzte mich geſchwind und ver- drießlich genug (wie ich fuͤrchte) nieder, denn al- les was ich gehoͤrt hatte lag mir noch im Gemuͤth. Dis war noch nicht genug ihn abzuſchrecken: er iſt ein Kerl voll guter Zuverſicht und Verwegen- heit. Jn der That, mein Hertz, der Mann iſt ſehr zuverſichtlich. Er nahm den weggehobenen Stuhl, und ſetzte ihn ſo nahe an meinen, daß er mir K 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/173
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/173>, abgerufen am 26.04.2024.