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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

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Die Geschichte
immer das Depellare superbas seyn, wenn ich mich
wider in eine neue Liebe einlassen kann.

Unterdessen daß ich Wind und Wetter über
meinem Kopfe brausen lasse, und um die Mauren
und Forsten von Harlowe-Burg herum schlei-
che, wirst du dir manches Vergnügen mit dem
kleinen unschuldigen Mädchen machen können.
Sie hat eine unschuldige Einfalt an sich, die dir
sehr wohl gefallen wird: sie ist lauter Demuth,
lauter Dienstfertigkeit, lauter Unschuld; und sie
gefällt mir wegen dieser Eigenschaften und sel bst
wegen ihrer Unschuld wohl. Du wirst in ihrem
Gemüth alles das entdecken können, was das
vornehme Frauenzimmer verstecken lernt, und
eben durch diese Kunst gezwungen und unange-
nehm wird.

Allein ich warne dich zum voraus, daß du dich
nicht unterstehst zu thun, was ich selbst für die gan-
tze Welt nicht thun wollte, nehmlich, mein Ro-
sen-Knöspchen abzubrechen. Sie ist die eintzige
schöne Blume, die in zehn Jahren in dieser gan-
tzen Gegend gewachsen ist, und in den künftigen
zehn Jahren wachsen wird. Denn ich habe alle
verwelckte und alle sprossende Rosen genau ange-
sehen, da ich vor langer Weile oft nicht weiß,
was ich anfangen soll.

Jch bin lange Zeit nicht so tugendhaft gewesen:
ich kann wol sagen, seit dem ich inseribirt bin. Es
ist mir auch zu rathen, daß ich tugendhaft bin.
Mein Aufenthalt könnte auf eine oder andere
Weise ausgekundschaftet werden; und man kön-

te

Die Geſchichte
immer das Depellare ſuperbas ſeyn, wenn ich mich
wider in eine neue Liebe einlaſſen kann.

Unterdeſſen daß ich Wind und Wetter uͤber
meinem Kopfe brauſen laſſe, und um die Mauren
und Forſten von Harlowe-Burg herum ſchlei-
che, wirſt du dir manches Vergnuͤgen mit dem
kleinen unſchuldigen Maͤdchen machen koͤnnen.
Sie hat eine unſchuldige Einfalt an ſich, die dir
ſehr wohl gefallen wird: ſie iſt lauter Demuth,
lauter Dienſtfertigkeit, lauter Unſchuld; und ſie
gefaͤllt mir wegen dieſer Eigenſchaften und ſel bſt
wegen ihrer Unſchuld wohl. Du wirſt in ihrem
Gemuͤth alles das entdecken koͤnnen, was das
vornehme Frauenzimmer verſtecken lernt, und
eben durch dieſe Kunſt gezwungen und unange-
nehm wird.

Allein ich warne dich zum voraus, daß du dich
nicht unterſtehſt zu thun, was ich ſelbſt fuͤr die gan-
tze Welt nicht thun wollte, nehmlich, mein Ro-
ſen-Knoͤſpchen abzubrechen. Sie iſt die eintzige
ſchoͤne Blume, die in zehn Jahren in dieſer gan-
tzen Gegend gewachſen iſt, und in den kuͤnftigen
zehn Jahren wachſen wird. Denn ich habe alle
verwelckte und alle ſproſſende Roſen genau ange-
ſehen, da ich vor langer Weile oft nicht weiß,
was ich anfangen ſoll.

Jch bin lange Zeit nicht ſo tugendhaft geweſen:
ich kann wol ſagen, ſeit dem ich inſeribirt bin. Es
iſt mir auch zu rathen, daß ich tugendhaft bin.
Mein Aufenthalt koͤnnte auf eine oder andere
Weiſe ausgekundſchaftet werden; und man koͤn-

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[386/0406] Die Geſchichte immer das Depellare ſuperbas ſeyn, wenn ich mich wider in eine neue Liebe einlaſſen kann. Unterdeſſen daß ich Wind und Wetter uͤber meinem Kopfe brauſen laſſe, und um die Mauren und Forſten von Harlowe-Burg herum ſchlei- che, wirſt du dir manches Vergnuͤgen mit dem kleinen unſchuldigen Maͤdchen machen koͤnnen. Sie hat eine unſchuldige Einfalt an ſich, die dir ſehr wohl gefallen wird: ſie iſt lauter Demuth, lauter Dienſtfertigkeit, lauter Unſchuld; und ſie gefaͤllt mir wegen dieſer Eigenſchaften und ſel bſt wegen ihrer Unſchuld wohl. Du wirſt in ihrem Gemuͤth alles das entdecken koͤnnen, was das vornehme Frauenzimmer verſtecken lernt, und eben durch dieſe Kunſt gezwungen und unange- nehm wird. Allein ich warne dich zum voraus, daß du dich nicht unterſtehſt zu thun, was ich ſelbſt fuͤr die gan- tze Welt nicht thun wollte, nehmlich, mein Ro- ſen-Knoͤſpchen abzubrechen. Sie iſt die eintzige ſchoͤne Blume, die in zehn Jahren in dieſer gan- tzen Gegend gewachſen iſt, und in den kuͤnftigen zehn Jahren wachſen wird. Denn ich habe alle verwelckte und alle ſproſſende Roſen genau ange- ſehen, da ich vor langer Weile oft nicht weiß, was ich anfangen ſoll. Jch bin lange Zeit nicht ſo tugendhaft geweſen: ich kann wol ſagen, ſeit dem ich inſeribirt bin. Es iſt mir auch zu rathen, daß ich tugendhaft bin. Mein Aufenthalt koͤnnte auf eine oder andere Weiſe ausgekundſchaftet werden; und man koͤn- te

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/406>, abgerufen am 15.05.2024.