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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

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Jch vermuthete zum voraus, daß sie das liebe
Hannichen würde um sich haben wollen, so bald
sie nur in Ordnung wäre. Jch erkundigte mich des-
halb nach ihrem Aufenthalt, in der Absicht, es da-
hin zu bringen, daß ihr Herr oder Frau oder sonst
jemand sie nicht eher als einen Monath nach der
Aufkündigung möchte ziehen lassen; damit sie nicht
in meiner Clarisse Dienste treten könnte. Der Him-
mel ist mir günstig. Zum Glück ist die kleine Hexe
kranck. Sie hat ein heftiges Fluß-Fieber, wel-
ches sie gezwungen hat aus dem Dienste zu gehen,
und sich zu legen. Das arme Hannichen! Jch
habe Mitleyden mit den armen Madchen. Das sind
harte Umstände vor treue Bedienten. Jch will ihr
eine Kleinigkeit schencken: daß wird meiner Schö-
nen in dem Hertzen wohl thun.

Jch ließ mich nicht mercken, daß ich etwas hier-
von wüßte: und war recht eifrig, mich nach der
kleinen Hure zu erkundigen. Meine Clarisse wuste
daß ich dieses Kammer-Kätzgen wegen seiner Treue
stets hoch geschätzt habe: jetzt aber schätze ich es noch
höher, als jemahls. Das Unglück, wenn es gleich
die niedrigsten betrift, zwingt uns dennoch mitley-
dig und wohlgesinnet zu seyn, wenn wir kein scla-
visches Hertz haben.

Die beyden Jungfern Sorlings brachte ich
blos des Fragens wegen in Vorschlag. Gesetzt, sie
hätte eine gewählt, und die Mutter hätte es erlaubt
(beydes war zweifelhaft) so würde es doch nicht
länger gewähret haben, als bis ich eine andere aus-
gesucht hätte. Hätten sie nachher keine Lust gehabt,

sich


Jch vermuthete zum voraus, daß ſie das liebe
Hannichen wuͤrde um ſich haben wollen, ſo bald
ſie nur in Ordnung waͤre. Jch erkundigte mich des-
halb nach ihrem Aufenthalt, in der Abſicht, es da-
hin zu bringen, daß ihr Herr oder Frau oder ſonſt
jemand ſie nicht eher als einen Monath nach der
Aufkuͤndigung moͤchte ziehen laſſen; damit ſie nicht
in meiner Clariſſe Dienſte treten koͤnnte. Der Him-
mel iſt mir guͤnſtig. Zum Gluͤck iſt die kleine Hexe
kranck. Sie hat ein heftiges Fluß-Fieber, wel-
ches ſie gezwungen hat aus dem Dienſte zu gehen,
und ſich zu legen. Das arme Hannichen! Jch
habe Mitleyden mit den armen Madchen. Das ſind
harte Umſtaͤnde vor treue Bedienten. Jch will ihr
eine Kleinigkeit ſchencken: daß wird meiner Schoͤ-
nen in dem Hertzen wohl thun.

Jch ließ mich nicht mercken, daß ich etwas hier-
von wuͤßte: und war recht eifrig, mich nach der
kleinen Hure zu erkundigen. Meine Clariſſe wuſte
daß ich dieſes Kammer-Kaͤtzgen wegen ſeiner Treue
ſtets hoch geſchaͤtzt habe: jetzt aber ſchaͤtze ich es noch
hoͤher, als jemahls. Das Ungluͤck, wenn es gleich
die niedrigſten betrift, zwingt uns dennoch mitley-
dig und wohlgeſinnet zu ſeyn, wenn wir kein ſcla-
viſches Hertz haben.

Die beyden Jungfern Sorlings brachte ich
blos des Fragens wegen in Vorſchlag. Geſetzt, ſie
haͤtte eine gewaͤhlt, und die Mutter haͤtte es erlaubt
(beydes war zweifelhaft) ſo wuͤrde es doch nicht
laͤnger gewaͤhret haben, als bis ich eine andere aus-
geſucht haͤtte. Haͤtten ſie nachher keine Luſt gehabt,

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[234/0248] Jch vermuthete zum voraus, daß ſie das liebe Hannichen wuͤrde um ſich haben wollen, ſo bald ſie nur in Ordnung waͤre. Jch erkundigte mich des- halb nach ihrem Aufenthalt, in der Abſicht, es da- hin zu bringen, daß ihr Herr oder Frau oder ſonſt jemand ſie nicht eher als einen Monath nach der Aufkuͤndigung moͤchte ziehen laſſen; damit ſie nicht in meiner Clariſſe Dienſte treten koͤnnte. Der Him- mel iſt mir guͤnſtig. Zum Gluͤck iſt die kleine Hexe kranck. Sie hat ein heftiges Fluß-Fieber, wel- ches ſie gezwungen hat aus dem Dienſte zu gehen, und ſich zu legen. Das arme Hannichen! Jch habe Mitleyden mit den armen Madchen. Das ſind harte Umſtaͤnde vor treue Bedienten. Jch will ihr eine Kleinigkeit ſchencken: daß wird meiner Schoͤ- nen in dem Hertzen wohl thun. Jch ließ mich nicht mercken, daß ich etwas hier- von wuͤßte: und war recht eifrig, mich nach der kleinen Hure zu erkundigen. Meine Clariſſe wuſte daß ich dieſes Kammer-Kaͤtzgen wegen ſeiner Treue ſtets hoch geſchaͤtzt habe: jetzt aber ſchaͤtze ich es noch hoͤher, als jemahls. Das Ungluͤck, wenn es gleich die niedrigſten betrift, zwingt uns dennoch mitley- dig und wohlgeſinnet zu ſeyn, wenn wir kein ſcla- viſches Hertz haben. Die beyden Jungfern Sorlings brachte ich blos des Fragens wegen in Vorſchlag. Geſetzt, ſie haͤtte eine gewaͤhlt, und die Mutter haͤtte es erlaubt (beydes war zweifelhaft) ſo wuͤrde es doch nicht laͤnger gewaͤhret haben, als bis ich eine andere aus- geſucht haͤtte. Haͤtten ſie nachher keine Luſt gehabt, ſich

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/248>, abgerufen am 29.04.2024.