Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite



"bedacht hätte, ob sie ihn einem Kayser vorziehen
"wollte."

Jedermann erwartet, daß Sie ihn heyrathen
werden, und glaubt, daß Sie in dieser Absicht Jh-
res Vaters Haus verlassen haben. Je länger die
Trauung aufgeschoben wird, desto mehr hat die
Welt zu tadeln und zu lästern, und es wird gewiß
die Schuld nicht an den Jhrigen liegen, wenn Jhr
guter Nahme unverletzt bleibt. Jhr Onckle Anton
führet die häßlichsten Reden, die sich auf die Ge-
müths-Beschaffenheit seines Bruders in den Lastern
gründen. Allein bisher hat die Meinung, welche
die Welt von Jhnen hat, alle diese Gespräche über-
wunden: jedermann verachtet und hasset den, wel-
cher sie führet.

Jch bin oft in Schreibung dieses Briefes gestö-
ret worden: Sie werden es daran sehen, daß das
erste Blat zerdrückt ist, das ich in den Busen ste-
cken mußte, weil mich meine Mutter überfiel. Wir
haben wieder einen ziemlich artigen Streit gehabt;
es verlohnt sich aber nicht der Mühe, Sie durch Er-
zählung dessen, was vorgegangen ist, zu verunruhi-
gen. Allein wahrhaftig - - Jch frage nichts dar-
nach, wenn auch - - -

Jhre Hannichen können Sie nicht zur Auf-
wartung bekommen. Das arme Mädchen hat we-
gen eines Fluß-Fiebers schon vor 14 Tagen aus dem
Dienste gehen müssen, und kann noch nicht aus der
Stube kommen. Sie hat geweint, als ihr meine
Kitty den Antrag gethan hat, und gesagt: sie hielte

sich



„bedacht haͤtte, ob ſie ihn einem Kayſer vorziehen
„wollte.„

Jedermann erwartet, daß Sie ihn heyrathen
werden, und glaubt, daß Sie in dieſer Abſicht Jh-
res Vaters Haus verlaſſen haben. Je laͤnger die
Trauung aufgeſchoben wird, deſto mehr hat die
Welt zu tadeln und zu laͤſtern, und es wird gewiß
die Schuld nicht an den Jhrigen liegen, wenn Jhr
guter Nahme unverletzt bleibt. Jhr Onckle Anton
fuͤhret die haͤßlichſten Reden, die ſich auf die Ge-
muͤths-Beſchaffenheit ſeines Bruders in den Laſtern
gruͤnden. Allein bisher hat die Meinung, welche
die Welt von Jhnen hat, alle dieſe Geſpraͤche uͤber-
wunden: jedermann verachtet und haſſet den, wel-
cher ſie fuͤhret.

Jch bin oft in Schreibung dieſes Briefes geſtoͤ-
ret worden: Sie werden es daran ſehen, daß das
erſte Blat zerdruͤckt iſt, das ich in den Buſen ſte-
cken mußte, weil mich meine Mutter uͤberfiel. Wir
haben wieder einen ziemlich artigen Streit gehabt;
es verlohnt ſich aber nicht der Muͤhe, Sie durch Er-
zaͤhlung deſſen, was vorgegangen iſt, zu verunruhi-
gen. Allein wahrhaftig ‒ ‒ Jch frage nichts dar-
nach, wenn auch ‒ ‒ ‒

Jhre Hannichen koͤnnen Sie nicht zur Auf-
wartung bekommen. Das arme Maͤdchen hat we-
gen eines Fluß-Fiebers ſchon vor 14 Tagen aus dem
Dienſte gehen muͤſſen, und kann noch nicht aus der
Stube kommen. Sie hat geweint, als ihr meine
Kitty den Antrag gethan hat, und geſagt: ſie hielte

ſich
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0298" n="284"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x201E;bedacht ha&#x0364;tte, ob &#x017F;ie ihn einem Kay&#x017F;er vorziehen<lb/>
&#x201E;wollte.&#x201E;</p><lb/>
          <p>Jedermann erwartet, daß Sie ihn heyrathen<lb/>
werden, und glaubt, daß Sie in die&#x017F;er Ab&#x017F;icht Jh-<lb/>
res Vaters Haus verla&#x017F;&#x017F;en haben. Je la&#x0364;nger die<lb/>
Trauung aufge&#x017F;choben wird, de&#x017F;to mehr hat die<lb/>
Welt zu tadeln und zu la&#x0364;&#x017F;tern, und es wird gewiß<lb/>
die Schuld nicht an den Jhrigen liegen, wenn Jhr<lb/>
guter Nahme unverletzt bleibt. Jhr Onckle <hi rendition="#fr">Anton</hi><lb/>
fu&#x0364;hret die ha&#x0364;ßlich&#x017F;ten Reden, die &#x017F;ich auf die Ge-<lb/>
mu&#x0364;ths-Be&#x017F;chaffenheit &#x017F;eines Bruders in den La&#x017F;tern<lb/>
gru&#x0364;nden. Allein bisher hat die Meinung, welche<lb/>
die Welt von Jhnen hat, alle die&#x017F;e Ge&#x017F;pra&#x0364;che u&#x0364;ber-<lb/>
wunden: jedermann verachtet und ha&#x017F;&#x017F;et den, wel-<lb/>
cher &#x017F;ie fu&#x0364;hret.</p><lb/>
          <p>Jch bin oft in Schreibung die&#x017F;es Briefes ge&#x017F;to&#x0364;-<lb/>
ret worden: Sie werden es daran &#x017F;ehen, daß das<lb/>
er&#x017F;te Blat zerdru&#x0364;ckt i&#x017F;t, das ich in den Bu&#x017F;en &#x017F;te-<lb/>
cken mußte, weil mich meine Mutter u&#x0364;berfiel. Wir<lb/>
haben wieder einen ziemlich artigen Streit gehabt;<lb/>
es verlohnt &#x017F;ich aber nicht der Mu&#x0364;he, Sie durch Er-<lb/>
za&#x0364;hlung de&#x017F;&#x017F;en, was vorgegangen i&#x017F;t, zu verunruhi-<lb/>
gen. Allein wahrhaftig &#x2012; &#x2012; Jch frage nichts dar-<lb/>
nach, wenn auch &#x2012; &#x2012; &#x2012;</p><lb/>
          <p>Jhre <hi rendition="#fr">Hannichen</hi> ko&#x0364;nnen Sie nicht zur Auf-<lb/>
wartung bekommen. Das arme Ma&#x0364;dchen hat we-<lb/>
gen eines Fluß-Fiebers &#x017F;chon vor 14 Tagen aus dem<lb/>
Dien&#x017F;te gehen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, und kann noch nicht aus der<lb/>
Stube kommen. Sie hat geweint, als ihr meine<lb/><hi rendition="#fr">Kitty</hi> den <hi rendition="#fr">Antrag</hi> gethan hat, und ge&#x017F;agt: &#x017F;ie hielte<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ich</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[284/0298] „bedacht haͤtte, ob ſie ihn einem Kayſer vorziehen „wollte.„ Jedermann erwartet, daß Sie ihn heyrathen werden, und glaubt, daß Sie in dieſer Abſicht Jh- res Vaters Haus verlaſſen haben. Je laͤnger die Trauung aufgeſchoben wird, deſto mehr hat die Welt zu tadeln und zu laͤſtern, und es wird gewiß die Schuld nicht an den Jhrigen liegen, wenn Jhr guter Nahme unverletzt bleibt. Jhr Onckle Anton fuͤhret die haͤßlichſten Reden, die ſich auf die Ge- muͤths-Beſchaffenheit ſeines Bruders in den Laſtern gruͤnden. Allein bisher hat die Meinung, welche die Welt von Jhnen hat, alle dieſe Geſpraͤche uͤber- wunden: jedermann verachtet und haſſet den, wel- cher ſie fuͤhret. Jch bin oft in Schreibung dieſes Briefes geſtoͤ- ret worden: Sie werden es daran ſehen, daß das erſte Blat zerdruͤckt iſt, das ich in den Buſen ſte- cken mußte, weil mich meine Mutter uͤberfiel. Wir haben wieder einen ziemlich artigen Streit gehabt; es verlohnt ſich aber nicht der Muͤhe, Sie durch Er- zaͤhlung deſſen, was vorgegangen iſt, zu verunruhi- gen. Allein wahrhaftig ‒ ‒ Jch frage nichts dar- nach, wenn auch ‒ ‒ ‒ Jhre Hannichen koͤnnen Sie nicht zur Auf- wartung bekommen. Das arme Maͤdchen hat we- gen eines Fluß-Fiebers ſchon vor 14 Tagen aus dem Dienſte gehen muͤſſen, und kann noch nicht aus der Stube kommen. Sie hat geweint, als ihr meine Kitty den Antrag gethan hat, und geſagt: ſie hielte ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/298
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/298>, abgerufen am 06.05.2024.