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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.

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Jch sagte dem Capitain: Jch wollte ihm nicht
vergeblich fragen lassen, sondern ihm alles sagen,
wenn ich gewiß wüßte, daß er geheim damit seyn
wollte, und daß insonderheit Jacob Harlowe
nichts davon erführe. Nachdem er mir dieses in
seinem und in des alten Onckels Nahmen verspro-
chen hatte, so sagte ich ihm die reine Wahrheit:
daß wir nehmlich noch nicht getrauet wären.
Jch gab ihm die Ursachen zu verstehen, dadurch
mein Wunsch so weit hinaus gesetzet ist: nehmlich
theils wäre ein unglückliches Misverständniß zwi-
schen uns an dem Ausschube schuld gewesen;
hauptsächlich aber das allzu große Verlangen der
Fräulein, mit den Jhrigen vorher ausgeföhnet zu
werden, und eine gewisse Zärtlichkeit für alles, das
man Wohlstand nennen kann, die ihres gleichen
nicht hätte.

Andere Frauenzimmer sehen es gerne, wenn
man ihnen Grausamkeit und Verzögerungen, die
sie selbst mit Willen verursachet hatten, schuld giebt.
Sie sorgen dabey wenig vor ihre Ehre: denn sie
geben stillschweigend zu verstehen, daß sie am mei-
sten bey der Verbindung gewinnen, weil sie den
Aufschub derselben für eine so große Selbst Ver-
leugnung halten.

Jch erzählte ihm, aus was für Ursachen wir
uns bey den Leuten im Hause für verheyrathet
ausgegeben hätten, wir sich aber versprochen hätten
einander noch nicht zu berühren. Wir wären des-
wegen von beyden Seyten übermäßig sittsam ge-
wesen: nehmlich, ich hätte mich sehr surchtsam, und

die


Jch ſagte dem Capitain: Jch wollte ihm nicht
vergeblich fragen laſſen, ſondern ihm alles ſagen,
wenn ich gewiß wuͤßte, daß er geheim damit ſeyn
wollte, und daß inſonderheit Jacob Harlowe
nichts davon erfuͤhre. Nachdem er mir dieſes in
ſeinem und in des alten Onckels Nahmen verſpro-
chen hatte, ſo ſagte ich ihm die reine Wahrheit:
daß wir nehmlich noch nicht getrauet waͤren.
Jch gab ihm die Urſachen zu verſtehen, dadurch
mein Wunſch ſo weit hinaus geſetzet iſt: nehmlich
theils waͤre ein ungluͤckliches Misverſtaͤndniß zwi-
ſchen uns an dem Auſſchube ſchuld geweſen;
hauptſaͤchlich aber das allzu große Verlangen der
Fraͤulein, mit den Jhrigen vorher ausgefoͤhnet zu
werden, und eine gewiſſe Zaͤrtlichkeit fuͤr alles, das
man Wohlſtand nennen kann, die ihres gleichen
nicht haͤtte.

Andere Frauenzimmer ſehen es gerne, wenn
man ihnen Grauſamkeit und Verzoͤgerungen, die
ſie ſelbſt mit Willen verurſachet hatten, ſchuld giebt.
Sie ſorgen dabey wenig vor ihre Ehre: denn ſie
geben ſtillſchweigend zu verſtehen, daß ſie am mei-
ſten bey der Verbindung gewinnen, weil ſie den
Aufſchub derſelben fuͤr eine ſo große Selbſt Ver-
leugnung halten.

Jch erzaͤhlte ihm, aus was fuͤr Urſachen wir
uns bey den Leuten im Hauſe fuͤr verheyrathet
ausgegeben haͤtten, wir ſich aber verſprochen haͤtten
einander noch nicht zu beruͤhren. Wir waͤren des-
wegen von beyden Seyten uͤbermaͤßig ſittſam ge-
weſen: nehmlich, ich haͤtte mich ſehr ſurchtſam, und

die
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[367/0373] Jch ſagte dem Capitain: Jch wollte ihm nicht vergeblich fragen laſſen, ſondern ihm alles ſagen, wenn ich gewiß wuͤßte, daß er geheim damit ſeyn wollte, und daß inſonderheit Jacob Harlowe nichts davon erfuͤhre. Nachdem er mir dieſes in ſeinem und in des alten Onckels Nahmen verſpro- chen hatte, ſo ſagte ich ihm die reine Wahrheit: daß wir nehmlich noch nicht getrauet waͤren. Jch gab ihm die Urſachen zu verſtehen, dadurch mein Wunſch ſo weit hinaus geſetzet iſt: nehmlich theils waͤre ein ungluͤckliches Misverſtaͤndniß zwi- ſchen uns an dem Auſſchube ſchuld geweſen; hauptſaͤchlich aber das allzu große Verlangen der Fraͤulein, mit den Jhrigen vorher ausgefoͤhnet zu werden, und eine gewiſſe Zaͤrtlichkeit fuͤr alles, das man Wohlſtand nennen kann, die ihres gleichen nicht haͤtte. Andere Frauenzimmer ſehen es gerne, wenn man ihnen Grauſamkeit und Verzoͤgerungen, die ſie ſelbſt mit Willen verurſachet hatten, ſchuld giebt. Sie ſorgen dabey wenig vor ihre Ehre: denn ſie geben ſtillſchweigend zu verſtehen, daß ſie am mei- ſten bey der Verbindung gewinnen, weil ſie den Aufſchub derſelben fuͤr eine ſo große Selbſt Ver- leugnung halten. Jch erzaͤhlte ihm, aus was fuͤr Urſachen wir uns bey den Leuten im Hauſe fuͤr verheyrathet ausgegeben haͤtten, wir ſich aber verſprochen haͤtten einander noch nicht zu beruͤhren. Wir waͤren des- wegen von beyden Seyten uͤbermaͤßig ſittſam ge- weſen: nehmlich, ich haͤtte mich ſehr ſurchtſam, und die

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/373>, abgerufen am 28.04.2024.