Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite



darnach verlangete. Das erste Wort, das er die
Dorcas fragte, war, ob ich in seiner Abwesenheit
einen Brief erhalten hätte. Sie antwortete ihm:
Ja! und ich hätte seit der Zeit geweinet, und nichts
essen wollen. Dorcas sagte mir dieses selbst wieder.

Er lies mich bitten, daß ich ihn sprechen möchte.

Jch lies antworten: es sey mir nicht wohl. Wenn
mir aber morgen besser wäre, so wollte ich ihn spre-
chen, so früh als es ihm beliebte.

War das nicht demüthig genug? Allein er gieng
schon so königlich mit mir um, daß es ihm nicht de-
müthig genug geantwortet schien: denn Dorcas
sagte, er habe sich das Gesicht gerieben, sey aus ei-
ner Stube in die andere gegangen, und habe etwas
gesagt, das sie nicht gern wiedersagen möchte.

Nach einer halben Stunde schickte er noch ein-
mahl, und verlangte, daß wir den Abend beysam-
men speisen möchten. Er wollte von nichts reden,
als von solchen Materien, auf die ich selbst die Re-
de lenckete.

Das heißt: ich soll die Freyheit haben, ihm gu-
te Worte zu geben.

Jch bat abermahls, mich entschuldiget zu halten.

Meine Augen waren gantz dicke von Weinen.
Jch war sehr niedergeschlagen, und konnte nicht
auf einmahl nach so langer Entfernung anfangen
so frey und vertraut mit ihm umzugehen, als es bey
meinen jetzigen Umständen und nach Jhrem Rath
nöthig ist.

Er schickte nochmahls an mich, und lies mir sa-
gen: er hörte, daß ich fastete. Wenn ich nur ver-

sprechen
E 4



darnach verlangete. Das erſte Wort, das er die
Dorcas fragte, war, ob ich in ſeiner Abweſenheit
einen Brief erhalten haͤtte. Sie antwortete ihm:
Ja! und ich haͤtte ſeit der Zeit geweinet, und nichts
eſſen wollen. Dorcas ſagte mir dieſes ſelbſt wieder.

Er lies mich bitten, daß ich ihn ſprechen moͤchte.

Jch lies antworten: es ſey mir nicht wohl. Wenn
mir aber morgen beſſer waͤre, ſo wollte ich ihn ſpre-
chen, ſo fruͤh als es ihm beliebte.

War das nicht demuͤthig genug? Allein er gieng
ſchon ſo koͤniglich mit mir um, daß es ihm nicht de-
muͤthig genug geantwortet ſchien: denn Dorcas
ſagte, er habe ſich das Geſicht gerieben, ſey aus ei-
ner Stube in die andere gegangen, und habe etwas
geſagt, das ſie nicht gern wiederſagen moͤchte.

Nach einer halben Stunde ſchickte er noch ein-
mahl, und verlangte, daß wir den Abend beyſam-
men ſpeiſen moͤchten. Er wollte von nichts reden,
als von ſolchen Materien, auf die ich ſelbſt die Re-
de lenckete.

Das heißt: ich ſoll die Freyheit haben, ihm gu-
te Worte zu geben.

Jch bat abermahls, mich entſchuldiget zu halten.

Meine Augen waren gantz dicke von Weinen.
Jch war ſehr niedergeſchlagen, und konnte nicht
auf einmahl nach ſo langer Entfernung anfangen
ſo frey und vertraut mit ihm umzugehen, als es bey
meinen jetzigen Umſtaͤnden und nach Jhrem Rath
noͤthig iſt.

Er ſchickte nochmahls an mich, und lies mir ſa-
gen: er hoͤrte, daß ich faſtete. Wenn ich nur ver-

ſprechen
E 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0077" n="71"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
darnach verlangete. Das er&#x017F;te Wort, das er die<lb/><hi rendition="#fr">Dorcas</hi> fragte, war, ob ich in &#x017F;einer Abwe&#x017F;enheit<lb/>
einen Brief erhalten ha&#x0364;tte. Sie antwortete ihm:<lb/>
Ja! und ich ha&#x0364;tte &#x017F;eit der Zeit geweinet, und nichts<lb/>
e&#x017F;&#x017F;en wollen. <hi rendition="#fr">Dorcas</hi> &#x017F;agte mir die&#x017F;es &#x017F;elb&#x017F;t wieder.</p><lb/>
          <p>Er lies mich bitten, daß ich ihn &#x017F;prechen mo&#x0364;chte.</p><lb/>
          <p>Jch lies antworten: es &#x017F;ey mir nicht wohl. Wenn<lb/>
mir aber morgen be&#x017F;&#x017F;er wa&#x0364;re, &#x017F;o wollte ich ihn &#x017F;pre-<lb/>
chen, &#x017F;o fru&#x0364;h als es ihm beliebte.</p><lb/>
          <p>War das nicht demu&#x0364;thig genug? Allein er gieng<lb/>
&#x017F;chon &#x017F;o ko&#x0364;niglich mit mir um, daß es ihm nicht de-<lb/>
mu&#x0364;thig genug geantwortet &#x017F;chien: denn <hi rendition="#fr">Dorcas</hi><lb/>
&#x017F;agte, er habe &#x017F;ich das Ge&#x017F;icht gerieben, &#x017F;ey aus ei-<lb/>
ner Stube in die andere gegangen, und habe etwas<lb/>
ge&#x017F;agt, das &#x017F;ie nicht gern wieder&#x017F;agen mo&#x0364;chte.</p><lb/>
          <p>Nach einer halben Stunde &#x017F;chickte er noch ein-<lb/>
mahl, und verlangte, daß wir den Abend bey&#x017F;am-<lb/>
men &#x017F;pei&#x017F;en mo&#x0364;chten. Er wollte von nichts reden,<lb/>
als von &#x017F;olchen Materien, auf die ich &#x017F;elb&#x017F;t die Re-<lb/>
de lenckete.</p><lb/>
          <p>Das heißt: ich &#x017F;oll die Freyheit haben, ihm gu-<lb/>
te Worte zu geben.</p><lb/>
          <p>Jch bat abermahls, mich ent&#x017F;chuldiget zu halten.</p><lb/>
          <p>Meine Augen waren gantz dicke von Weinen.<lb/>
Jch war &#x017F;ehr niederge&#x017F;chlagen, und konnte nicht<lb/>
auf einmahl nach &#x017F;o langer Entfernung anfangen<lb/>
&#x017F;o frey und vertraut mit ihm umzugehen, als es bey<lb/>
meinen jetzigen Um&#x017F;ta&#x0364;nden und nach Jhrem Rath<lb/>
no&#x0364;thig i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Er &#x017F;chickte nochmahls an mich, und lies mir &#x017F;a-<lb/>
gen: er ho&#x0364;rte, daß ich fa&#x017F;tete. Wenn ich nur ver-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E 4</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;prechen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[71/0077] darnach verlangete. Das erſte Wort, das er die Dorcas fragte, war, ob ich in ſeiner Abweſenheit einen Brief erhalten haͤtte. Sie antwortete ihm: Ja! und ich haͤtte ſeit der Zeit geweinet, und nichts eſſen wollen. Dorcas ſagte mir dieſes ſelbſt wieder. Er lies mich bitten, daß ich ihn ſprechen moͤchte. Jch lies antworten: es ſey mir nicht wohl. Wenn mir aber morgen beſſer waͤre, ſo wollte ich ihn ſpre- chen, ſo fruͤh als es ihm beliebte. War das nicht demuͤthig genug? Allein er gieng ſchon ſo koͤniglich mit mir um, daß es ihm nicht de- muͤthig genug geantwortet ſchien: denn Dorcas ſagte, er habe ſich das Geſicht gerieben, ſey aus ei- ner Stube in die andere gegangen, und habe etwas geſagt, das ſie nicht gern wiederſagen moͤchte. Nach einer halben Stunde ſchickte er noch ein- mahl, und verlangte, daß wir den Abend beyſam- men ſpeiſen moͤchten. Er wollte von nichts reden, als von ſolchen Materien, auf die ich ſelbſt die Re- de lenckete. Das heißt: ich ſoll die Freyheit haben, ihm gu- te Worte zu geben. Jch bat abermahls, mich entſchuldiget zu halten. Meine Augen waren gantz dicke von Weinen. Jch war ſehr niedergeſchlagen, und konnte nicht auf einmahl nach ſo langer Entfernung anfangen ſo frey und vertraut mit ihm umzugehen, als es bey meinen jetzigen Umſtaͤnden und nach Jhrem Rath noͤthig iſt. Er ſchickte nochmahls an mich, und lies mir ſa- gen: er hoͤrte, daß ich faſtete. Wenn ich nur ver- ſprechen E 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/77
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/77>, abgerufen am 29.04.2024.