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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst.
aus zwei Akanthushalbblättern ausgestattet. Gemäss unseren Aus-
führungen auf S. 219 haben wir darin nichts anderes zu erblicken als
Halbpalmetten in plastisch-perspektivischer Projektion. Gleichwie an
Fig. 125 erscheinen die Scheitelenden der Palmetten verdickt und nach
auswärts gekrümmt; die Rankenabzweigung, deren Zwickel sie zu füllen
haben, läuft unterhalb der gekrümmten Scheitelspitze hinweg. Diese
energische Auswärtskrümmung ist zugleich ein Beweis dafür, dass die
griechischen Kunsthandwerker der hellenistischen Zeit nicht daran
dachten, dem vegetabilischen Element der Halbpalmette unnatürlichen
Zwang anzuthun, woraus wir wohl berechtigt sind die entsprechenden
Rückschlüsse auch auf die flache, scheinbar unfreie Halbpalmette
[Abbildung] Fig. 130.

Steinerner Relieffries aus Pompeji.

(S. 244) zu ziehen, an welcher wir der eigenthümlichen Projektion halber
über die eigentlichen Absichten des Vasenmalers im Unklaren geblieben
waren.

Als Beispiel römischer Behandlung der fortlaufenden Akanthus-
ranke diene Fig. 130 vom Isisheiligthum zu Pompeji58). Der römische
Akanthus ist zwar in der Regel schwerer und üppiger, und lässt nicht
so viel von den Rankenstengeln frei. Aber das gegebene Beispiel aus
einer frühen Zeit der bezüglichen Entwicklung eignet sich gerade seiner
verhältnissmässig mageren Behandlung halber besser zu dem Zwecke,
die Zusammensetzung der römischen Akanthusranke im Einzelnen auf-
zuzeigen. Die Ausführung ist eine plastische in Stein, wiewohl zur
gleichen Zeit die Wandmalerei bereits den reichlichsten Gebrauch von
der Akanthusranke gemacht hat, wovon gleichfalls aus dem Isisheilig-
thum geradezu klassische Beispiele vorliegen59).


58) Nach Nicolini, tempio d'Iside X.
59) Publicirt bei Nicolini, Owen Jones u. A.

B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst.
aus zwei Akanthushalbblättern ausgestattet. Gemäss unseren Aus-
führungen auf S. 219 haben wir darin nichts anderes zu erblicken als
Halbpalmetten in plastisch-perspektivischer Projektion. Gleichwie an
Fig. 125 erscheinen die Scheitelenden der Palmetten verdickt und nach
auswärts gekrümmt; die Rankenabzweigung, deren Zwickel sie zu füllen
haben, läuft unterhalb der gekrümmten Scheitelspitze hinweg. Diese
energische Auswärtskrümmung ist zugleich ein Beweis dafür, dass die
griechischen Kunsthandwerker der hellenistischen Zeit nicht daran
dachten, dem vegetabilischen Element der Halbpalmette unnatürlichen
Zwang anzuthun, woraus wir wohl berechtigt sind die entsprechenden
Rückschlüsse auch auf die flache, scheinbar unfreie Halbpalmette
[Abbildung] Fig. 130.

Steinerner Relieffries aus Pompeji.

(S. 244) zu ziehen, an welcher wir der eigenthümlichen Projektion halber
über die eigentlichen Absichten des Vasenmalers im Unklaren geblieben
waren.

Als Beispiel römischer Behandlung der fortlaufenden Akanthus-
ranke diene Fig. 130 vom Isisheiligthum zu Pompeji58). Der römische
Akanthus ist zwar in der Regel schwerer und üppiger, und lässt nicht
so viel von den Rankenstengeln frei. Aber das gegebene Beispiel aus
einer frühen Zeit der bezüglichen Entwicklung eignet sich gerade seiner
verhältnissmässig mageren Behandlung halber besser zu dem Zwecke,
die Zusammensetzung der römischen Akanthusranke im Einzelnen auf-
zuzeigen. Die Ausführung ist eine plastische in Stein, wiewohl zur
gleichen Zeit die Wandmalerei bereits den reichlichsten Gebrauch von
der Akanthusranke gemacht hat, wovon gleichfalls aus dem Isisheilig-
thum geradezu klassische Beispiele vorliegen59).


58) Nach Nicolini, tempio d’Iside X.
59) Publicirt bei Nicolini, Owen Jones u. A.
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[250/0276] B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst. aus zwei Akanthushalbblättern ausgestattet. Gemäss unseren Aus- führungen auf S. 219 haben wir darin nichts anderes zu erblicken als Halbpalmetten in plastisch-perspektivischer Projektion. Gleichwie an Fig. 125 erscheinen die Scheitelenden der Palmetten verdickt und nach auswärts gekrümmt; die Rankenabzweigung, deren Zwickel sie zu füllen haben, läuft unterhalb der gekrümmten Scheitelspitze hinweg. Diese energische Auswärtskrümmung ist zugleich ein Beweis dafür, dass die griechischen Kunsthandwerker der hellenistischen Zeit nicht daran dachten, dem vegetabilischen Element der Halbpalmette unnatürlichen Zwang anzuthun, woraus wir wohl berechtigt sind die entsprechenden Rückschlüsse auch auf die flache, scheinbar unfreie Halbpalmette [Abbildung Fig. 130. Steinerner Relieffries aus Pompeji.] (S. 244) zu ziehen, an welcher wir der eigenthümlichen Projektion halber über die eigentlichen Absichten des Vasenmalers im Unklaren geblieben waren. Als Beispiel römischer Behandlung der fortlaufenden Akanthus- ranke diene Fig. 130 vom Isisheiligthum zu Pompeji 58). Der römische Akanthus ist zwar in der Regel schwerer und üppiger, und lässt nicht so viel von den Rankenstengeln frei. Aber das gegebene Beispiel aus einer frühen Zeit der bezüglichen Entwicklung eignet sich gerade seiner verhältnissmässig mageren Behandlung halber besser zu dem Zwecke, die Zusammensetzung der römischen Akanthusranke im Einzelnen auf- zuzeigen. Die Ausführung ist eine plastische in Stein, wiewohl zur gleichen Zeit die Wandmalerei bereits den reichlichsten Gebrauch von der Akanthusranke gemacht hat, wovon gleichfalls aus dem Isisheilig- thum geradezu klassische Beispiele vorliegen 59). 58) Nach Nicolini, tempio d’Iside X. 59) Publicirt bei Nicolini, Owen Jones u. A.

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/276>, abgerufen am 27.04.2024.