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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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Die Arabeske.
nicht zum mindesten die plastisch zusammengelegte Form des
Akanthushalbblatts
, wodurch sich dieses letztere zur Komposition
mehrfacher Kelche zu grösseren Blüthenformen bequem eignete, wie
dies gleich an der centralen Blüthe von Fig. 161 sichtbar ist. Es ist
dieser Umstand deshalb von ganz besonderer Bedeutung, weil wir
späterhin in der Arabeske vegetabilische Formen finden werden, die
aus doppelt zusammengeschlagenen lappigen Kelchblättern gebildet er-
scheinen.

Auf das der sassanidischen Blüthenbildung zu Grunde gelegene
ornamentale Gesetz noch näher einzugehen, verbietet uns schon der
Umstand, dass dies nur dann erfolgreich geschehen könnte, wenn wir
die Blüthenbildung seit hellenistischer Zeit, da eben eine solche von
naturalisirendem Charakter anhebt, im Zusammenhange verfolgen
würden. Diese gewiss dankbare Arbeit bleibt noch zu leisten; Einzelnes
von specieller Bedeutung hervorzuheben wird sich später noch Gelegen-
heit finden.

Betrachten wir das Pilasterkapitäl, Fig. 162, vom Chosroes-Bogen
zu Tak-i-Bostan. Am Halse eine Reihe Akanthuskelche von dem eben
erwähnten plastisch zusammengestülpten Charakter; die "Pfeifen" sind
mit dem Bohrer hineingegraben. Auf dem Kapitäl selbst die Pflanzen-
staude mit dem fleischigen kandelaberartigen Stengel wie in Fig. 161.
Abzweigend Blätter in Profilansicht, von denen es zweifelhaft bleibt, ob
wir sie als flache Halbpalmetten oder als Akanthushalbblätter erklären
sollen; der theilweise Mangel von Volutenkelchen liesse letzteres als
das Wahrscheinlichere erscheinen, wenn nicht unten zwei unzweifelhafte
Akanthushalbblätter in kreisrunder Einrollung sich befänden, die eine
etwas abweichende Behandlung zeigen. An die erwähnten Halbpal-
metten nun schliesst sich jedesmal von der Spitze weg je eine Blume
an, worin wir wieder jenes sattsam erörterte antinaturalistische Gesetz
der Blumenrankenbildung erkennen. -- Auf der Deckplatte liegt eine
Reihe von Dreiblättern (Fig. 143), deren jedes von einer herzförmigen
Linie umschrieben ist.

Diese beiden gegebenen Beispiele sassanidischer Ornamentik werden
wohl genügen, um Owen Jones' Urtheil zu rechtfertigen, der sich dar-
über folgendermaassen ausgedrückt hat: "Die Ornamente sind nach
denselben Principien wie die römischen Ornamente konstruirt, doch ver-
künden sie dieselbe Modifikation der modellirten Oberfläche, die man
in den byzantinischen Ornamenten entdeckt, denen sie auffällig ähnlich
sehen". Diejenigen, die darin ureigenste Hervorbringungen des ver-

Die Arabeske.
nicht zum mindesten die plastisch zusammengelegte Form des
Akanthushalbblatts
, wodurch sich dieses letztere zur Komposition
mehrfacher Kelche zu grösseren Blüthenformen bequem eignete, wie
dies gleich an der centralen Blüthe von Fig. 161 sichtbar ist. Es ist
dieser Umstand deshalb von ganz besonderer Bedeutung, weil wir
späterhin in der Arabeske vegetabilische Formen finden werden, die
aus doppelt zusammengeschlagenen lappigen Kelchblättern gebildet er-
scheinen.

Auf das der sassanidischen Blüthenbildung zu Grunde gelegene
ornamentale Gesetz noch näher einzugehen, verbietet uns schon der
Umstand, dass dies nur dann erfolgreich geschehen könnte, wenn wir
die Blüthenbildung seit hellenistischer Zeit, da eben eine solche von
naturalisirendem Charakter anhebt, im Zusammenhange verfolgen
würden. Diese gewiss dankbare Arbeit bleibt noch zu leisten; Einzelnes
von specieller Bedeutung hervorzuheben wird sich später noch Gelegen-
heit finden.

Betrachten wir das Pilasterkapitäl, Fig. 162, vom Chosroes-Bogen
zu Tak-i-Bostan. Am Halse eine Reihe Akanthuskelche von dem eben
erwähnten plastisch zusammengestülpten Charakter; die „Pfeifen“ sind
mit dem Bohrer hineingegraben. Auf dem Kapitäl selbst die Pflanzen-
staude mit dem fleischigen kandelaberartigen Stengel wie in Fig. 161.
Abzweigend Blätter in Profilansicht, von denen es zweifelhaft bleibt, ob
wir sie als flache Halbpalmetten oder als Akanthushalbblätter erklären
sollen; der theilweise Mangel von Volutenkelchen liesse letzteres als
das Wahrscheinlichere erscheinen, wenn nicht unten zwei unzweifelhafte
Akanthushalbblätter in kreisrunder Einrollung sich befänden, die eine
etwas abweichende Behandlung zeigen. An die erwähnten Halbpal-
metten nun schliesst sich jedesmal von der Spitze weg je eine Blume
an, worin wir wieder jenes sattsam erörterte antinaturalistische Gesetz
der Blumenrankenbildung erkennen. — Auf der Deckplatte liegt eine
Reihe von Dreiblättern (Fig. 143), deren jedes von einer herzförmigen
Linie umschrieben ist.

Diese beiden gegebenen Beispiele sassanidischer Ornamentik werden
wohl genügen, um Owen Jones’ Urtheil zu rechtfertigen, der sich dar-
über folgendermaassen ausgedrückt hat: „Die Ornamente sind nach
denselben Principien wie die römischen Ornamente konstruirt, doch ver-
künden sie dieselbe Modifikation der modellirten Oberfläche, die man
in den byzantinischen Ornamenten entdeckt, denen sie auffällig ähnlich
sehen“. Diejenigen, die darin ureigenste Hervorbringungen des ver-

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[300/0326] Die Arabeske. nicht zum mindesten die plastisch zusammengelegte Form des Akanthushalbblatts, wodurch sich dieses letztere zur Komposition mehrfacher Kelche zu grösseren Blüthenformen bequem eignete, wie dies gleich an der centralen Blüthe von Fig. 161 sichtbar ist. Es ist dieser Umstand deshalb von ganz besonderer Bedeutung, weil wir späterhin in der Arabeske vegetabilische Formen finden werden, die aus doppelt zusammengeschlagenen lappigen Kelchblättern gebildet er- scheinen. Auf das der sassanidischen Blüthenbildung zu Grunde gelegene ornamentale Gesetz noch näher einzugehen, verbietet uns schon der Umstand, dass dies nur dann erfolgreich geschehen könnte, wenn wir die Blüthenbildung seit hellenistischer Zeit, da eben eine solche von naturalisirendem Charakter anhebt, im Zusammenhange verfolgen würden. Diese gewiss dankbare Arbeit bleibt noch zu leisten; Einzelnes von specieller Bedeutung hervorzuheben wird sich später noch Gelegen- heit finden. Betrachten wir das Pilasterkapitäl, Fig. 162, vom Chosroes-Bogen zu Tak-i-Bostan. Am Halse eine Reihe Akanthuskelche von dem eben erwähnten plastisch zusammengestülpten Charakter; die „Pfeifen“ sind mit dem Bohrer hineingegraben. Auf dem Kapitäl selbst die Pflanzen- staude mit dem fleischigen kandelaberartigen Stengel wie in Fig. 161. Abzweigend Blätter in Profilansicht, von denen es zweifelhaft bleibt, ob wir sie als flache Halbpalmetten oder als Akanthushalbblätter erklären sollen; der theilweise Mangel von Volutenkelchen liesse letzteres als das Wahrscheinlichere erscheinen, wenn nicht unten zwei unzweifelhafte Akanthushalbblätter in kreisrunder Einrollung sich befänden, die eine etwas abweichende Behandlung zeigen. An die erwähnten Halbpal- metten nun schliesst sich jedesmal von der Spitze weg je eine Blume an, worin wir wieder jenes sattsam erörterte antinaturalistische Gesetz der Blumenrankenbildung erkennen. — Auf der Deckplatte liegt eine Reihe von Dreiblättern (Fig. 143), deren jedes von einer herzförmigen Linie umschrieben ist. Diese beiden gegebenen Beispiele sassanidischer Ornamentik werden wohl genügen, um Owen Jones’ Urtheil zu rechtfertigen, der sich dar- über folgendermaassen ausgedrückt hat: „Die Ornamente sind nach denselben Principien wie die römischen Ornamente konstruirt, doch ver- künden sie dieselbe Modifikation der modellirten Oberfläche, die man in den byzantinischen Ornamenten entdeckt, denen sie auffällig ähnlich sehen“. Diejenigen, die darin ureigenste Hervorbringungen des ver-

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/326>, abgerufen am 04.05.2024.