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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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Homerlectüre in die Handschriften der Ilias aufgenommen wor-
den waren. Es ist längst bemerkt, dass die Hypothesis der
Kyprien in ihrer Erzählung von der Rückfahrt des Paris sich
mit den Kyprien selbst im entschiedensten Widerspruch befindet,
hingegen mit der Ilias genau übereinstimmt. Herodot II 117 be-
zeugt mit teilweise wörtlicher Anführung, dass in den Kyprien
Paris nach dreitägiger Fahrt "mit günstigem Wind und bei
ruhiger See" in Ilion anlangte; er macht auf den Widerspruch
dieser Darstellung mit der Ilias Z 290 f. aufmerksam und be-
gründet damit seine Behauptung, dass die Kyprien von einem
anderen Verfasser herrühren müssten, als die Ilias. Bei Proklos
hingegen lesen wir: kheimona de autois ephistesin Era; kai pros-
enekhtheis Sidoni o Alexandros airei ten polin, Worte, welche
zu den Iliasversen Z 289--292:

enth esan oi peploi pampoikiloi, erga gunaikon
Sidonion, tas autos Alexandros theoeides
egage Sidoniethen epiplos eurea ponton
ten odon, en Elenen per anegagen eupatereian

aufs Beste stimmen, aber sich mit der Angabe Herodots auf
keine Weise in Einklang setzen lassen. Schon Wüllner de cyclo
epico
p. 73 erkannte diese willkürliche Änderung und ihren
Grund; und wenn er die angeführten Worte deshalb für Inter-
polation erklärt, so hat er auch von dem heutigen Standpunkt
unserer Kenntnisse aus Recht; nur ist der Urheber derselben nicht
der, qui hoc argumentum e Proclo excerpsit (also Photios?), son-
dern der, welcher zuerst diese Hypothesis in die Iliashandschriften
aufnahm, wo sie auch Proklos las. Ich denke, die bei dieser Ände-
rung massgebende Absicht liegt auf der Hand. Etwas Ähnliches
scheint aber auch in der Hypothesis der Nostoi vorzuliegen.
Der erste Teil derselben Athena Agamemnona -- en to pelagei
entspricht genau mit zuweilen wörtlicher Anlehnung den Erzäh-
lungen des Nestor (g 132--183 u. 254--328), und auch an an-
deren Stellen zeigt sie gleiche Übereinstimmung mit der Odyssee.
Es ist also bei dem Mangel anderweitiger Zeugnisse schlechterdings
nicht auszumachen, ob in der That Nosten und Odyssee in diesen

Homerlectüre in die Handschriften der Ilias aufgenommen wor-
den waren. Es ist längst bemerkt, daſs die Hypothesis der
Kyprien in ihrer Erzählung von der Rückfahrt des Paris sich
mit den Kyprien selbst im entschiedensten Widerspruch befindet,
hingegen mit der Ilias genau übereinstimmt. Herodot II 117 be-
zeugt mit teilweise wörtlicher Anführung, daſs in den Kyprien
Paris nach dreitägiger Fahrt „mit günstigem Wind und bei
ruhiger See“ in Ilion anlangte; er macht auf den Widerspruch
dieser Darstellung mit der Ilias Ζ 290 f. aufmerksam und be-
gründet damit seine Behauptung, daſs die Kyprien von einem
anderen Verfasser herrühren müſsten, als die Ilias. Bei Proklos
hingegen lesen wir: χειμῶνα δὲ αὐτοῖς ἐφίστησιν Ἥρα· καὶ προσ-
ενεχϑεὶς Σιδῶνι ὁ Ἀλέξανδρος αἱρεῖ τὴν πόλιν, Worte, welche
zu den Iliasversen Ζ 289—292:

ἔνϑ̕ ἔσαν οἱ πέπλοι παμποίκιλοι, ἔργα γυναικῶν
Σιδονίων, τὰς αὐτὸς Ἀλέξανδρος ϑεοειδής
ἤγαγε Σιδονίηϑεν ἐπιπλὼς εὐρέα πόντον
τὴν ὁδὸν, ἣν Ἑλένην περ ἀνήγαγεν εὐπατέρειαν

aufs Beste stimmen, aber sich mit der Angabe Herodots auf
keine Weise in Einklang setzen lassen. Schon Wüllner de cyclo
epico
p. 73 erkannte diese willkürliche Änderung und ihren
Grund; und wenn er die angeführten Worte deshalb für Inter-
polation erklärt, so hat er auch von dem heutigen Standpunkt
unserer Kenntnisse aus Recht; nur ist der Urheber derselben nicht
der, qui hoc argumentum e Proclo excerpsit (also Photios?), son-
dern der, welcher zuerst diese Hypothesis in die Iliashandschriften
aufnahm, wo sie auch Proklos las. Ich denke, die bei dieser Ände-
rung maſsgebende Absicht liegt auf der Hand. Etwas Ähnliches
scheint aber auch in der Hypothesis der Νόστοι vorzuliegen.
Der erste Teil derselben Ἀϑηνᾶ Ἀγαμέμνονα — ἐν τῷ πελάγει
entspricht genau mit zuweilen wörtlicher Anlehnung den Erzäh-
lungen des Nestor (γ 132—183 u. 254—328), und auch an an-
deren Stellen zeigt sie gleiche Übereinstimmung mit der Odyssee.
Es ist also bei dem Mangel anderweitiger Zeugnisse schlechterdings
nicht auszumachen, ob in der That Nosten und Odyssee in diesen

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[247/0261] Homerlectüre in die Handschriften der Ilias aufgenommen wor- den waren. Es ist längst bemerkt, daſs die Hypothesis der Kyprien in ihrer Erzählung von der Rückfahrt des Paris sich mit den Kyprien selbst im entschiedensten Widerspruch befindet, hingegen mit der Ilias genau übereinstimmt. Herodot II 117 be- zeugt mit teilweise wörtlicher Anführung, daſs in den Kyprien Paris nach dreitägiger Fahrt „mit günstigem Wind und bei ruhiger See“ in Ilion anlangte; er macht auf den Widerspruch dieser Darstellung mit der Ilias Ζ 290 f. aufmerksam und be- gründet damit seine Behauptung, daſs die Kyprien von einem anderen Verfasser herrühren müſsten, als die Ilias. Bei Proklos hingegen lesen wir: χειμῶνα δὲ αὐτοῖς ἐφίστησιν Ἥρα· καὶ προσ- ενεχϑεὶς Σιδῶνι ὁ Ἀλέξανδρος αἱρεῖ τὴν πόλιν, Worte, welche zu den Iliasversen Ζ 289—292: ἔνϑ̕ ἔσαν οἱ πέπλοι παμποίκιλοι, ἔργα γυναικῶν Σιδονίων, τὰς αὐτὸς Ἀλέξανδρος ϑεοειδής ἤγαγε Σιδονίηϑεν ἐπιπλὼς εὐρέα πόντον τὴν ὁδὸν, ἣν Ἑλένην περ ἀνήγαγεν εὐπατέρειαν aufs Beste stimmen, aber sich mit der Angabe Herodots auf keine Weise in Einklang setzen lassen. Schon Wüllner de cyclo epico p. 73 erkannte diese willkürliche Änderung und ihren Grund; und wenn er die angeführten Worte deshalb für Inter- polation erklärt, so hat er auch von dem heutigen Standpunkt unserer Kenntnisse aus Recht; nur ist der Urheber derselben nicht der, qui hoc argumentum e Proclo excerpsit (also Photios?), son- dern der, welcher zuerst diese Hypothesis in die Iliashandschriften aufnahm, wo sie auch Proklos las. Ich denke, die bei dieser Ände- rung maſsgebende Absicht liegt auf der Hand. Etwas Ähnliches scheint aber auch in der Hypothesis der Νόστοι vorzuliegen. Der erste Teil derselben Ἀϑηνᾶ Ἀγαμέμνονα — ἐν τῷ πελάγει entspricht genau mit zuweilen wörtlicher Anlehnung den Erzäh- lungen des Nestor (γ 132—183 u. 254—328), und auch an an- deren Stellen zeigt sie gleiche Übereinstimmung mit der Odyssee. Es ist also bei dem Mangel anderweitiger Zeugnisse schlechterdings nicht auszumachen, ob in der That Nosten und Odyssee in diesen

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/261>, abgerufen am 27.04.2024.