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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Fällen (und allerdings mit freier Erfindung der besonderen
Einzelumstände) ausgeführt haben, was der verbreitete Volks-
glaube ihrer Zeit im Allgemeinen vorschrieb. Es kommt aber
hinzu, dass das Orakel Alles, was den Seelencult fördern und
stärken konnte, in seinen Schutz nahm; soweit man von einer
"delphischen Theologie" reden kann, darf man den Unsterb-
lichkeitsglauben in seinen populären Formen und den Cult der
unsterblichen Seelen zu den wichtigsten Bestandtheilen dieser
Theologie rechnen. Wir haben hiervon später noch einiges
zu sagen. Lebten die Priester in solchen Vorstellungen, so
lag es ihnen sehr nahe, bei seltsamen Vorfällen, bei Noth und
schwerer Zeit, als wahre Urheber des Unheils die Geister ver-
storbener Helden der Sage, auch wohl Mächtiger der letzten
Zeiten thätig zu denken und in diesem Sinne die Gläubigen
zu bescheiden. So wurde der delphische Gott der Patron
des Heroenwesens, wie er als ein Patron der Heroen diese all-
jährlich am Theoxenienfeste zum Mahl in seinen Tempel zu-
sammenrief 1).

9.

Von allen Seiten begünstigt, vermehrte der Heroenglaube
die Gegenstände seiner Anbetung in's Unübersehbare. Nach
den grossen, alle heiligsten Gefühle der Griechen tief aufregen-
den Freiheitskämpfen gegen die Perser schien es nicht zu viel,
wenn selbst ganze Schaaren der für die Freiheit Gefallenen
zu Heroen erhöhet würden; bis in späte Zeit fand alljährlich
der feierliche Zug zu Ehren der bei Plataeae gebliebenen
Griechen statt und das Opfer, bei dem der Archon der Stadt
die Seelen "der wackeren Männer, die für Griechenland ge-
storben waren", zum Mahl und Blutsättigung herbeirief 2). Auch

1) ginetai en Delphois erosi xenia, en ois dokei o theos epi xenia kalein
tous eroas Schol. Pind. N. 7, 68.
2) Plut. Aristid. 21. -- Grab der im Perserkriege gefallenen Mega-
renser auf dem Markte der Stadt: C. I. Gr. 1051 (= Simonid. fr. 107
Bgk.), Paus. 1, 43, 3. Von heroischen Ehren für diese erfährt man nichts,
sie sind aber wohl vorauszusetzen. -- So hatte man in Phigalia auf dem

Fällen (und allerdings mit freier Erfindung der besonderen
Einzelumstände) ausgeführt haben, was der verbreitete Volks-
glaube ihrer Zeit im Allgemeinen vorschrieb. Es kommt aber
hinzu, dass das Orakel Alles, was den Seelencult fördern und
stärken konnte, in seinen Schutz nahm; soweit man von einer
„delphischen Theologie“ reden kann, darf man den Unsterb-
lichkeitsglauben in seinen populären Formen und den Cult der
unsterblichen Seelen zu den wichtigsten Bestandtheilen dieser
Theologie rechnen. Wir haben hiervon später noch einiges
zu sagen. Lebten die Priester in solchen Vorstellungen, so
lag es ihnen sehr nahe, bei seltsamen Vorfällen, bei Noth und
schwerer Zeit, als wahre Urheber des Unheils die Geister ver-
storbener Helden der Sage, auch wohl Mächtiger der letzten
Zeiten thätig zu denken und in diesem Sinne die Gläubigen
zu bescheiden. So wurde der delphische Gott der Patron
des Heroenwesens, wie er als ein Patron der Heroen diese all-
jährlich am Theoxenienfeste zum Mahl in seinen Tempel zu-
sammenrief 1).

9.

Von allen Seiten begünstigt, vermehrte der Heroenglaube
die Gegenstände seiner Anbetung in’s Unübersehbare. Nach
den grossen, alle heiligsten Gefühle der Griechen tief aufregen-
den Freiheitskämpfen gegen die Perser schien es nicht zu viel,
wenn selbst ganze Schaaren der für die Freiheit Gefallenen
zu Heroen erhöhet würden; bis in späte Zeit fand alljährlich
der feierliche Zug zu Ehren der bei Plataeae gebliebenen
Griechen statt und das Opfer, bei dem der Archon der Stadt
die Seelen „der wackeren Männer, die für Griechenland ge-
storben waren“, zum Mahl und Blutsättigung herbeirief 2). Auch

1) γίνεται ἐν Δελφοῖς ἥρωσι ξένια, ἐν οἷς δοκεῖ ὁ ϑεὸς ἐπὶ ξένια καλεῖν
τοὺς ἥρωας Schol. Pind. N. 7, 68.
2) Plut. Aristid. 21. — Grab der im Perserkriege gefallenen Mega-
renser auf dem Markte der Stadt: C. I. Gr. 1051 (= Simonid. fr. 107
Bgk.), Paus. 1, 43, 3. Von heroischen Ehren für diese erfährt man nichts,
sie sind aber wohl vorauszusetzen. — So hatte man in Phigalia auf dem
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[170/0186] Fällen (und allerdings mit freier Erfindung der besonderen Einzelumstände) ausgeführt haben, was der verbreitete Volks- glaube ihrer Zeit im Allgemeinen vorschrieb. Es kommt aber hinzu, dass das Orakel Alles, was den Seelencult fördern und stärken konnte, in seinen Schutz nahm; soweit man von einer „delphischen Theologie“ reden kann, darf man den Unsterb- lichkeitsglauben in seinen populären Formen und den Cult der unsterblichen Seelen zu den wichtigsten Bestandtheilen dieser Theologie rechnen. Wir haben hiervon später noch einiges zu sagen. Lebten die Priester in solchen Vorstellungen, so lag es ihnen sehr nahe, bei seltsamen Vorfällen, bei Noth und schwerer Zeit, als wahre Urheber des Unheils die Geister ver- storbener Helden der Sage, auch wohl Mächtiger der letzten Zeiten thätig zu denken und in diesem Sinne die Gläubigen zu bescheiden. So wurde der delphische Gott der Patron des Heroenwesens, wie er als ein Patron der Heroen diese all- jährlich am Theoxenienfeste zum Mahl in seinen Tempel zu- sammenrief 1). 9. Von allen Seiten begünstigt, vermehrte der Heroenglaube die Gegenstände seiner Anbetung in’s Unübersehbare. Nach den grossen, alle heiligsten Gefühle der Griechen tief aufregen- den Freiheitskämpfen gegen die Perser schien es nicht zu viel, wenn selbst ganze Schaaren der für die Freiheit Gefallenen zu Heroen erhöhet würden; bis in späte Zeit fand alljährlich der feierliche Zug zu Ehren der bei Plataeae gebliebenen Griechen statt und das Opfer, bei dem der Archon der Stadt die Seelen „der wackeren Männer, die für Griechenland ge- storben waren“, zum Mahl und Blutsättigung herbeirief 2). Auch 1) γίνεται ἐν Δελφοῖς ἥρωσι ξένια, ἐν οἷς δοκεῖ ὁ ϑεὸς ἐπὶ ξένια καλεῖν τοὺς ἥρωας Schol. Pind. N. 7, 68. 2) Plut. Aristid. 21. — Grab der im Perserkriege gefallenen Mega- renser auf dem Markte der Stadt: C. I. Gr. 1051 (= Simonid. fr. 107 Bgk.), Paus. 1, 43, 3. Von heroischen Ehren für diese erfährt man nichts, sie sind aber wohl vorauszusetzen. — So hatte man in Phigalia auf dem

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/186>, abgerufen am 30.04.2024.