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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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gleiche ist und mit gleichen Worten ausgesprochen wird --
dass wir überall in dem Glaubenskreise einer und derselben
Secte festgehalten werden, und die zu verschiedenen Höhen
der Seligkeit aufstrebenden Hoffnungen verschiedenen Stufen
des Erlösungsganges entsprechen. Wer, durch seine Theilnahme
an den heiligen Weihen, die alte Schuld gesühnt hat, den kann
die Göttin zu dem Lustorte der Reinen im Inneren des Hades zu-
lassen. Aber er muss in nachfolgenden Geburten auf der Erde
erst den Kreis völlig durchmessen haben, ehe er gänzlich von
Wiedergeburt befreit wird und nun ganz wieder ist, was er von
Anbeginn war, ein Gott. Der Todte der ersten Tafel ist an dem
Ziel seiner Wallfahrt angekommen, die der zwei andern Tafeln
erst auf einer Zwischenstation1). Eine andere Inschrift, in
einem Grabe derselben Gegend gefunden2), giebt sich schon
durch Wiederholung einer, auch der ersten Fassung jener Vers-
gruppen angehängten mystischen Formel3) als eine Glaubens-
äusserung aus gleicher Secte wie jene zu erkennen. Sie enthält,
unter allerlei unzusammenhängend und ohne Ordnung durch-
einander geworfenen Anweisungen und Anrufungen an den
Todten4), abermals die Versicherung: ein Gott bist du nun

1) Man bemerkt leicht die Aehnlichkeit mit der Abstufung der Be-
lohnungen für die Frommen bei Pindar: khoros eusebon im Hades; dann
erst Ausscheiden aus der Unterwelt wie aus dem Menschenleben. Nur
dass bei P. am letzten Ende die Seele zum eros wird, hier zum theos.
2) I. Gr. Sic. et It. 642.
3) 641, 1 V. 10: eriphos es gal epeton. 642, 4: theos egenou ex anthro-
pou. eriphos es gala epetes. Dass dieses "als Zicklein bin ich in die Milch
gefallen" eine Vorbedingung zu dem: "ich bin ein Gott geworden" sein soll,
geht aus der Zusammenstellung beider Aussagen in 642 hervor. Man
wird in dem Spruch jedenfalls ein sunthema, sumbolon der Mysten erken-
nen müssen, ähnlich den in anderen Geheimweihen gebräuchlichen: ek
tumpanou ephagon ktl. (s. Lobeck Agl. 23 ff.), die sich auf symbolische
Handlungen bei der Weihe beziehen. Den bestimmten Sinn dieses
sunthema können wir nicht errathen (Dieterichs Bemühungen, a. O. p. 35 f.
haben die Sache nicht aufklären können).
4) Bemerkenswerth ist die Anweisung all opotam psukhe prolipe
phaos aelioio, dexion eisienai pephulagmenos eu mala panta (so etwa mag die,
nach dem Eindringen des erklärenden Zusatzes dei tina zerrüttete Zeile

gleiche ist und mit gleichen Worten ausgesprochen wird —
dass wir überall in dem Glaubenskreise einer und derselben
Secte festgehalten werden, und die zu verschiedenen Höhen
der Seligkeit aufstrebenden Hoffnungen verschiedenen Stufen
des Erlösungsganges entsprechen. Wer, durch seine Theilnahme
an den heiligen Weihen, die alte Schuld gesühnt hat, den kann
die Göttin zu dem Lustorte der Reinen im Inneren des Hades zu-
lassen. Aber er muss in nachfolgenden Geburten auf der Erde
erst den Kreis völlig durchmessen haben, ehe er gänzlich von
Wiedergeburt befreit wird und nun ganz wieder ist, was er von
Anbeginn war, ein Gott. Der Todte der ersten Tafel ist an dem
Ziel seiner Wallfahrt angekommen, die der zwei andern Tafeln
erst auf einer Zwischenstation1). Eine andere Inschrift, in
einem Grabe derselben Gegend gefunden2), giebt sich schon
durch Wiederholung einer, auch der ersten Fassung jener Vers-
gruppen angehängten mystischen Formel3) als eine Glaubens-
äusserung aus gleicher Secte wie jene zu erkennen. Sie enthält,
unter allerlei unzusammenhängend und ohne Ordnung durch-
einander geworfenen Anweisungen und Anrufungen an den
Todten4), abermals die Versicherung: ein Gott bist du nun

1) Man bemerkt leicht die Aehnlichkeit mit der Abstufung der Be-
lohnungen für die Frommen bei Pindar: χῶρος εὐσεβῶν im Hades; dann
erst Ausscheiden aus der Unterwelt wie aus dem Menschenleben. Nur
dass bei P. am letzten Ende die Seele zum ἥρως wird, hier zum ϑεός.
2) I. Gr. Sic. et It. 642.
3) 641, 1 V. 10: ἔριφος ἐς γάλ̕ ἔπετον. 642, 4: ϑεὸς ἐγένου ἐξ ἀνϑρώ-
που. ἔριφος ἐς γάλα ἔπετες. Dass dieses „als Zicklein bin ich in die Milch
gefallen“ eine Vorbedingung zu dem: „ich bin ein Gott geworden“ sein soll,
geht aus der Zusammenstellung beider Aussagen in 642 hervor. Man
wird in dem Spruch jedenfalls ein σύνϑημα, σύμβολον der Mysten erken-
nen müssen, ähnlich den in anderen Geheimweihen gebräuchlichen: ἐκ
τυμπάνου ἔφαγον κτλ. (s. Lobeck Agl. 23 ff.), die sich auf symbolische
Handlungen bei der Weihe beziehen. Den bestimmten Sinn dieses
σύνϑημα können wir nicht errathen (Dieterichs Bemühungen, a. O. p. 35 f.
haben die Sache nicht aufklären können).
4) Bemerkenswerth ist die Anweisung ἀλλ̕ ὁπόταμ ψυχὴ προλίπῃ
φάος ἀελίοιο, δεξιὸν εἰσιέναι πεφυλαγμένος εὖ μάλα πάντα (so etwa mag die,
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[512/0528] gleiche ist und mit gleichen Worten ausgesprochen wird — dass wir überall in dem Glaubenskreise einer und derselben Secte festgehalten werden, und die zu verschiedenen Höhen der Seligkeit aufstrebenden Hoffnungen verschiedenen Stufen des Erlösungsganges entsprechen. Wer, durch seine Theilnahme an den heiligen Weihen, die alte Schuld gesühnt hat, den kann die Göttin zu dem Lustorte der Reinen im Inneren des Hades zu- lassen. Aber er muss in nachfolgenden Geburten auf der Erde erst den Kreis völlig durchmessen haben, ehe er gänzlich von Wiedergeburt befreit wird und nun ganz wieder ist, was er von Anbeginn war, ein Gott. Der Todte der ersten Tafel ist an dem Ziel seiner Wallfahrt angekommen, die der zwei andern Tafeln erst auf einer Zwischenstation 1). Eine andere Inschrift, in einem Grabe derselben Gegend gefunden 2), giebt sich schon durch Wiederholung einer, auch der ersten Fassung jener Vers- gruppen angehängten mystischen Formel 3) als eine Glaubens- äusserung aus gleicher Secte wie jene zu erkennen. Sie enthält, unter allerlei unzusammenhängend und ohne Ordnung durch- einander geworfenen Anweisungen und Anrufungen an den Todten 4), abermals die Versicherung: ein Gott bist du nun 1) Man bemerkt leicht die Aehnlichkeit mit der Abstufung der Be- lohnungen für die Frommen bei Pindar: χῶρος εὐσεβῶν im Hades; dann erst Ausscheiden aus der Unterwelt wie aus dem Menschenleben. Nur dass bei P. am letzten Ende die Seele zum ἥρως wird, hier zum ϑεός. 2) I. Gr. Sic. et It. 642. 3) 641, 1 V. 10: ἔριφος ἐς γάλ̕ ἔπετον. 642, 4: ϑεὸς ἐγένου ἐξ ἀνϑρώ- που. ἔριφος ἐς γάλα ἔπετες. Dass dieses „als Zicklein bin ich in die Milch gefallen“ eine Vorbedingung zu dem: „ich bin ein Gott geworden“ sein soll, geht aus der Zusammenstellung beider Aussagen in 642 hervor. Man wird in dem Spruch jedenfalls ein σύνϑημα, σύμβολον der Mysten erken- nen müssen, ähnlich den in anderen Geheimweihen gebräuchlichen: ἐκ τυμπάνου ἔφαγον κτλ. (s. Lobeck Agl. 23 ff.), die sich auf symbolische Handlungen bei der Weihe beziehen. Den bestimmten Sinn dieses σύνϑημα können wir nicht errathen (Dieterichs Bemühungen, a. O. p. 35 f. haben die Sache nicht aufklären können). 4) Bemerkenswerth ist die Anweisung ἀλλ̕ ὁπόταμ ψυχὴ προλίπῃ φάος ἀελίοιο, δεξιὸν εἰσιέναι πεφυλαγμένος εὖ μάλα πάντα (so etwa mag die, nach dem Eindringen des erklärenden Zusatzes δεῖ τινα zerrüttete Zeile

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 512. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/528>, abgerufen am 14.05.2024.