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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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Von der Verehlichung.
findet aber auch in Gegentheil wieder andere, die die
Vernunfft nicht weniger, als das vorhergehende
aus den Augen setzen, weil sie allzu hitzig sind. Jh-
re Liebe ist nicht so wohl ein Zug des Hertzens, als
vielmehr ein höchstgewaltsamer Affect, der durch
das Anblicken eines schönen Angesichts in ihnen er-
hitzt worden. Die Vorstellung der fleischlichen
Lüste, und die Abkühlung der Brunst, die ihnen mit
dem Vieh gemeinschafftlich, ist das Band, womit
sie ihren Ehestand verknüpffen.

§. 3. Dieser Classe sind unter andern auch eini-
ge von denjenigen jungen Leuten beyzuzehlen, die
ohne Grund aus ihrem Stand eheyrathen, darinnen
sie GOtt hat lassen gebohren werden, oder eine so
genandte mes alliance schlüssen, sie vergaffen sich
in ein Mädgen zu der Zeit, da sie an nichts weniger,
als an den Ehestand gedencken solten, sie beküm-
mern sich nicht um die Beurtheilung ihres Verstan-
des, oder ihrer Tugend, welches doch das Haupt-
werck seyn solte, sie bedencken nicht den Nachwin-
ter, und ob sie auch wohl in den künfftigen Zeiten
möchten in den Stand seyn, ihren Ehegatten, und
ihre Kinder, die ihnen GOtt beschehren möchte, zu
ernehren und zu versorgen, sondern sehen bloß auf
die Erfüllung ihrer Begierden, sie beurtheilen nicht,
ob sie ihre Familie betrüben und beschimpffen, und
ob sie nicht durch dergleichen Heyrath aller ihrer
Ehren, die sie noch bißher gehabt, und ihrer gan-
tzen zeitlichen Glückseligkeit möchten verlustig wer-
den, sie nehmen keine vernünfftigen Gegen-Vor-

stellun-

Von der Verehlichung.
findet aber auch in Gegentheil wieder andere, die die
Vernunfft nicht weniger, als das vorhergehende
aus den Augen ſetzen, weil ſie allzu hitzig ſind. Jh-
re Liebe iſt nicht ſo wohl ein Zug des Hertzens, als
vielmehr ein hoͤchſtgewaltſamer Affect, der durch
das Anblicken eines ſchoͤnen Angeſichts in ihnen er-
hitzt worden. Die Vorſtellung der fleiſchlichen
Luͤſte, und die Abkuͤhlung der Brunſt, die ihnen mit
dem Vieh gemeinſchafftlich, iſt das Band, womit
ſie ihren Eheſtand verknuͤpffen.

§. 3. Dieſer Claſſe ſind unter andern auch eini-
ge von denjenigen jungen Leuten beyzuzehlen, die
ohne Grund aus ihrem Stand eheyrathen, darinnen
ſie GOtt hat laſſen gebohren werden, oder eine ſo
genandte mes alliance ſchluͤſſen, ſie vergaffen ſich
in ein Maͤdgen zu der Zeit, da ſie an nichts weniger,
als an den Eheſtand gedencken ſolten, ſie bekuͤm-
mern ſich nicht um die Beurtheilung ihres Verſtan-
des, oder ihrer Tugend, welches doch das Haupt-
werck ſeyn ſolte, ſie bedencken nicht den Nachwin-
ter, und ob ſie auch wohl in den kuͤnfftigen Zeiten
moͤchten in den Stand ſeyn, ihren Ehegatten, und
ihre Kinder, die ihnen GOtt beſchehren moͤchte, zu
ernehren und zu verſorgen, ſondern ſehen bloß auf
die Erfuͤllung ihrer Begierden, ſie beurtheilen nicht,
ob ſie ihre Familie betruͤben und beſchimpffen, und
ob ſie nicht durch dergleichen Heyrath aller ihrer
Ehren, die ſie noch bißher gehabt, und ihrer gan-
tzen zeitlichen Gluͤckſeligkeit moͤchten verluſtig wer-
den, ſie nehmen keine vernuͤnfftigen Gegen-Vor-

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[591/0611] Von der Verehlichung. findet aber auch in Gegentheil wieder andere, die die Vernunfft nicht weniger, als das vorhergehende aus den Augen ſetzen, weil ſie allzu hitzig ſind. Jh- re Liebe iſt nicht ſo wohl ein Zug des Hertzens, als vielmehr ein hoͤchſtgewaltſamer Affect, der durch das Anblicken eines ſchoͤnen Angeſichts in ihnen er- hitzt worden. Die Vorſtellung der fleiſchlichen Luͤſte, und die Abkuͤhlung der Brunſt, die ihnen mit dem Vieh gemeinſchafftlich, iſt das Band, womit ſie ihren Eheſtand verknuͤpffen. §. 3. Dieſer Claſſe ſind unter andern auch eini- ge von denjenigen jungen Leuten beyzuzehlen, die ohne Grund aus ihrem Stand eheyrathen, darinnen ſie GOtt hat laſſen gebohren werden, oder eine ſo genandte mes alliance ſchluͤſſen, ſie vergaffen ſich in ein Maͤdgen zu der Zeit, da ſie an nichts weniger, als an den Eheſtand gedencken ſolten, ſie bekuͤm- mern ſich nicht um die Beurtheilung ihres Verſtan- des, oder ihrer Tugend, welches doch das Haupt- werck ſeyn ſolte, ſie bedencken nicht den Nachwin- ter, und ob ſie auch wohl in den kuͤnfftigen Zeiten moͤchten in den Stand ſeyn, ihren Ehegatten, und ihre Kinder, die ihnen GOtt beſchehren moͤchte, zu ernehren und zu verſorgen, ſondern ſehen bloß auf die Erfuͤllung ihrer Begierden, ſie beurtheilen nicht, ob ſie ihre Familie betruͤben und beſchimpffen, und ob ſie nicht durch dergleichen Heyrath aller ihrer Ehren, die ſie noch bißher gehabt, und ihrer gan- tzen zeitlichen Gluͤckſeligkeit moͤchten verluſtig wer- den, ſie nehmen keine vernuͤnfftigen Gegen-Vor- ſtellun-

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 591. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/611>, abgerufen am 26.04.2024.