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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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phantastischen Verlauf, der nicht hieher gehört, ermordet das
Ungeheuer die Geliebte Frankensteins und verliert sich dann
in die Nebel des Nordens. Diese verworrene, weiblich auf¬
gebauschte Composition hat manches Kühne und Tiefe, das
sie anziehend macht. Das reifste Product menschlicher Tech¬
nik, wenn es mit der Wunderthat des Schöpfers rivalisiren
will, wird gerade durch das erreichte künstliche Leben zum
Monstrum, das in seiner absoluten Isolirung, keinem Wesen
naturverwandt, sich höchst elend fühlt. Gerade im Augen¬
blick, als Frankenstein dem Triumph seiner mühseligen Arbeit
sich nähert, erbebt er vor seiner Schöpfung, entfernt sich
das eine Mal, zerstört sie das andere Mal. Und bei dieser
Zerstörung erschrickt er nicht etwa nur vor den Folgen in
Beziehung auf sein Wohl, sondern es durchschauert ihn wie
bei einem Morde. In diesem Gefühl culminirt hier die
Schilderung des Spukhaften, denn das Spukhafte besteht
nicht nur darin, daß Todte als Lebendige sich regen, sondern
vorzüglich darin, daß todte Dinge, Besenstiele, Messer,
Uhren, Bilder, Puppen, lebendig werden und noch eine
Potenz höher nur noch darin, daß wunderliche Töne er¬
klingen, seltsame, ganz unerhörte, unaussprechliche Mysterien
bergend; denn wenn noch ein gewisser ethischer Zusammen¬
hang da ist, wie in Kleist's Bettelweib von Locarno,
wo aus dem Winkel eines Zimmers zu einer gewissen Zeit
ein röchelnd durchdringender Ton erschallt, weil man hier
einmal ein armes Bettelweib hat verschmachten lassen, dessen
Todesseufzer zur selben Stunde sich seitdem als eine gräßlich
feierliche Mahnung zum Mitleid vernehmen läßt, so ist noch
viel zu viel Vernunft da. Der ganz inhaltlose, ganz in der
Luft schwebende Ton, ist diesen Romantikern a la Hoffmann
erst recht romantisch, wie ihre Blume nicht Rose und Veil¬

phantaſtiſchen Verlauf, der nicht hieher gehört, ermordet das
Ungeheuer die Geliebte Frankenſteins und verliert ſich dann
in die Nebel des Nordens. Dieſe verworrene, weiblich auf¬
gebauſchte Compoſition hat manches Kühne und Tiefe, das
ſie anziehend macht. Das reifſte Product menſchlicher Tech¬
nik, wenn es mit der Wunderthat des Schöpfers rivaliſiren
will, wird gerade durch das erreichte künſtliche Leben zum
Monſtrum, das in ſeiner abſoluten Iſolirung, keinem Weſen
naturverwandt, ſich höchſt elend fühlt. Gerade im Augen¬
blick, als Frankenſtein dem Triumph ſeiner mühſeligen Arbeit
ſich nähert, erbebt er vor ſeiner Schöpfung, entfernt ſich
das eine Mal, zerſtört ſie das andere Mal. Und bei dieſer
Zerſtörung erſchrickt er nicht etwa nur vor den Folgen in
Beziehung auf ſein Wohl, ſondern es durchſchauert ihn wie
bei einem Morde. In dieſem Gefühl culminirt hier die
Schilderung des Spukhaften, denn das Spukhafte beſteht
nicht nur darin, daß Todte als Lebendige ſich regen, ſondern
vorzüglich darin, daß todte Dinge, Beſenſtiele, Meſſer,
Uhren, Bilder, Puppen, lebendig werden und noch eine
Potenz höher nur noch darin, daß wunderliche Töne er¬
klingen, ſeltſame, ganz unerhörte, unausſprechliche Myſterien
bergend; denn wenn noch ein gewiſſer ethiſcher Zuſammen¬
hang da iſt, wie in Kleiſt's Bettelweib von Locarno,
wo aus dem Winkel eines Zimmers zu einer gewiſſen Zeit
ein röchelnd durchdringender Ton erſchallt, weil man hier
einmal ein armes Bettelweib hat verſchmachten laſſen, deſſen
Todesſeufzer zur ſelben Stunde ſich ſeitdem als eine gräßlich
feierliche Mahnung zum Mitleid vernehmen läßt, ſo iſt noch
viel zu viel Vernunft da. Der ganz inhaltloſe, ganz in der
Luft ſchwebende Ton, iſt dieſen Romantikern à la Hoffmann
erſt recht romantiſch, wie ihre Blume nicht Roſe und Veil¬

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[351/0373] phantaſtiſchen Verlauf, der nicht hieher gehört, ermordet das Ungeheuer die Geliebte Frankenſteins und verliert ſich dann in die Nebel des Nordens. Dieſe verworrene, weiblich auf¬ gebauſchte Compoſition hat manches Kühne und Tiefe, das ſie anziehend macht. Das reifſte Product menſchlicher Tech¬ nik, wenn es mit der Wunderthat des Schöpfers rivaliſiren will, wird gerade durch das erreichte künſtliche Leben zum Monſtrum, das in ſeiner abſoluten Iſolirung, keinem Weſen naturverwandt, ſich höchſt elend fühlt. Gerade im Augen¬ blick, als Frankenſtein dem Triumph ſeiner mühſeligen Arbeit ſich nähert, erbebt er vor ſeiner Schöpfung, entfernt ſich das eine Mal, zerſtört ſie das andere Mal. Und bei dieſer Zerſtörung erſchrickt er nicht etwa nur vor den Folgen in Beziehung auf ſein Wohl, ſondern es durchſchauert ihn wie bei einem Morde. In dieſem Gefühl culminirt hier die Schilderung des Spukhaften, denn das Spukhafte beſteht nicht nur darin, daß Todte als Lebendige ſich regen, ſondern vorzüglich darin, daß todte Dinge, Beſenſtiele, Meſſer, Uhren, Bilder, Puppen, lebendig werden und noch eine Potenz höher nur noch darin, daß wunderliche Töne er¬ klingen, ſeltſame, ganz unerhörte, unausſprechliche Myſterien bergend; denn wenn noch ein gewiſſer ethiſcher Zuſammen¬ hang da iſt, wie in Kleiſt's Bettelweib von Locarno, wo aus dem Winkel eines Zimmers zu einer gewiſſen Zeit ein röchelnd durchdringender Ton erſchallt, weil man hier einmal ein armes Bettelweib hat verſchmachten laſſen, deſſen Todesſeufzer zur ſelben Stunde ſich ſeitdem als eine gräßlich feierliche Mahnung zum Mitleid vernehmen läßt, ſo iſt noch viel zu viel Vernunft da. Der ganz inhaltloſe, ganz in der Luft ſchwebende Ton, iſt dieſen Romantikern à la Hoffmann erſt recht romantiſch, wie ihre Blume nicht Roſe und Veil¬

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/373>, abgerufen am 29.04.2024.