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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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Oft drängt sich unser Interesse ein in die freie Vergesellschaftung der
Pflanzen und wir wenden alle Mittel der vorgeschrittenen Feldbestellung
an, um von unseren Getreidefeldern gewisse Pflanzen fern zu halten,
welche von Natur das Bedürfniß zu haben scheinen, die Gesellschaft der
Getreidepflanzen, ja deren Schutz zu suchen. Gehaßte Unkräuter werden
uns dann auch jene drei vom Dichter gepriesenen Blumen, die "blaue
Cyane" nebst Kornrade und Ackermohn, deren heimathliche Berechtigung
zuletzt die Schnitterin dennoch anerkennt, wenn sie dem segenschweren
Wagen auf dem Rechen den Erntekranz vorträgt, in welchem sie jene drei
Blumen zwischen die falben Aehren geflochten hatte.

Der Wald steigert das ins Große, was die Wiese im Kleinen zeigt
und zwar in vielen Abstufungen. Ich darf mich hier auf die Wahr-
nehmungen aller Waldfreunde berufen -- und wer wäre kein Waldfreund?
Wir alle kennen die verschiedenen Grade der Gastfreundschaft der Wälder.
Der dicht geschaarte Fichtenwald verstattet nur dem zierlichen Völkchen der
Moose das Lager zu den Füßen seiner Stämme, während der weitästige
Eichenwald Raum läßt für ein ganzes Heer von Gesträuchen und Kräu-
tern, der Buchenwald hingegen, den Nadelhölzern es an Selbstgenüg-
samkeit noch zuvorthuend, unter sich fast gar keine Waldkräuter duldet,
denn er bedeckt den Boden fußhoch mit den schier unverweslichen Leichen
seines Laubes.

Ist also auch der Wald ein an sich klarer und Niemand zweifelhafter
Begriff, so schließt er doch Manchfaltigkeit seiner Ausprägung nicht aus.
Ja diese Manchfaltigkeiten sind so groß, daß sie unsere Gemüthsstimmung
auf die verschiedenste Weise anregen; und es geschieht dies nicht bloß
durch die Baumverschiedenheit der Wälder, sondern fast mehr noch durch
den Charakter ihrer Bodendecke. Mit diesem Namen wollen wir nämlich,
dem Forstmanne folgend, die Art bezeichnen, wie der Waldboden zwischen
den Bäumen verhüllt ist, was bald durch die abgefallenen Nadeln oder
Blätter, oder durch mehr oder weniger dicht stehende Pflanzen niederen
Ranges geschieht. Wie verschieden der Wald die Saiten unseres Gemüths
anzuschlagen vermag, das werden wir sofort inne, wenn wir uns in einen
sonndurchglüheten, harzduftenden Kiefernwald und dann wieder in einen
Buchenwald versetzen. Wir werden später Veranlassung finden, uns dieser
Anregungen des Waldes und ihrer Gründe klar bewußt zu werden. Jetzt

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Oft drängt ſich unſer Intereſſe ein in die freie Vergeſellſchaftung der
Pflanzen und wir wenden alle Mittel der vorgeſchrittenen Feldbeſtellung
an, um von unſeren Getreidefeldern gewiſſe Pflanzen fern zu halten,
welche von Natur das Bedürfniß zu haben ſcheinen, die Geſellſchaft der
Getreidepflanzen, ja deren Schutz zu ſuchen. Gehaßte Unkräuter werden
uns dann auch jene drei vom Dichter geprieſenen Blumen, die „blaue
Cyane“ nebſt Kornrade und Ackermohn, deren heimathliche Berechtigung
zuletzt die Schnitterin dennoch anerkennt, wenn ſie dem ſegenſchweren
Wagen auf dem Rechen den Erntekranz vorträgt, in welchem ſie jene drei
Blumen zwiſchen die falben Aehren geflochten hatte.

Der Wald ſteigert das ins Große, was die Wieſe im Kleinen zeigt
und zwar in vielen Abſtufungen. Ich darf mich hier auf die Wahr-
nehmungen aller Waldfreunde berufen — und wer wäre kein Waldfreund?
Wir alle kennen die verſchiedenen Grade der Gaſtfreundſchaft der Wälder.
Der dicht geſchaarte Fichtenwald verſtattet nur dem zierlichen Völkchen der
Mooſe das Lager zu den Füßen ſeiner Stämme, während der weitäſtige
Eichenwald Raum läßt für ein ganzes Heer von Geſträuchen und Kräu-
tern, der Buchenwald hingegen, den Nadelhölzern es an Selbſtgenüg-
ſamkeit noch zuvorthuend, unter ſich faſt gar keine Waldkräuter duldet,
denn er bedeckt den Boden fußhoch mit den ſchier unverweslichen Leichen
ſeines Laubes.

Iſt alſo auch der Wald ein an ſich klarer und Niemand zweifelhafter
Begriff, ſo ſchließt er doch Manchfaltigkeit ſeiner Ausprägung nicht aus.
Ja dieſe Manchfaltigkeiten ſind ſo groß, daß ſie unſere Gemüthsſtimmung
auf die verſchiedenſte Weiſe anregen; und es geſchieht dies nicht bloß
durch die Baumverſchiedenheit der Wälder, ſondern faſt mehr noch durch
den Charakter ihrer Bodendecke. Mit dieſem Namen wollen wir nämlich,
dem Forſtmanne folgend, die Art bezeichnen, wie der Waldboden zwiſchen
den Bäumen verhüllt iſt, was bald durch die abgefallenen Nadeln oder
Blätter, oder durch mehr oder weniger dicht ſtehende Pflanzen niederen
Ranges geſchieht. Wie verſchieden der Wald die Saiten unſeres Gemüths
anzuſchlagen vermag, das werden wir ſofort inne, wenn wir uns in einen
ſonndurchglüheten, harzduftenden Kiefernwald und dann wieder in einen
Buchenwald verſetzen. Wir werden ſpäter Veranlaſſung finden, uns dieſer
Anregungen des Waldes und ihrer Gründe klar bewußt zu werden. Jetzt

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[3/0027] Oft drängt ſich unſer Intereſſe ein in die freie Vergeſellſchaftung der Pflanzen und wir wenden alle Mittel der vorgeſchrittenen Feldbeſtellung an, um von unſeren Getreidefeldern gewiſſe Pflanzen fern zu halten, welche von Natur das Bedürfniß zu haben ſcheinen, die Geſellſchaft der Getreidepflanzen, ja deren Schutz zu ſuchen. Gehaßte Unkräuter werden uns dann auch jene drei vom Dichter geprieſenen Blumen, die „blaue Cyane“ nebſt Kornrade und Ackermohn, deren heimathliche Berechtigung zuletzt die Schnitterin dennoch anerkennt, wenn ſie dem ſegenſchweren Wagen auf dem Rechen den Erntekranz vorträgt, in welchem ſie jene drei Blumen zwiſchen die falben Aehren geflochten hatte. Der Wald ſteigert das ins Große, was die Wieſe im Kleinen zeigt und zwar in vielen Abſtufungen. Ich darf mich hier auf die Wahr- nehmungen aller Waldfreunde berufen — und wer wäre kein Waldfreund? Wir alle kennen die verſchiedenen Grade der Gaſtfreundſchaft der Wälder. Der dicht geſchaarte Fichtenwald verſtattet nur dem zierlichen Völkchen der Mooſe das Lager zu den Füßen ſeiner Stämme, während der weitäſtige Eichenwald Raum läßt für ein ganzes Heer von Geſträuchen und Kräu- tern, der Buchenwald hingegen, den Nadelhölzern es an Selbſtgenüg- ſamkeit noch zuvorthuend, unter ſich faſt gar keine Waldkräuter duldet, denn er bedeckt den Boden fußhoch mit den ſchier unverweslichen Leichen ſeines Laubes. Iſt alſo auch der Wald ein an ſich klarer und Niemand zweifelhafter Begriff, ſo ſchließt er doch Manchfaltigkeit ſeiner Ausprägung nicht aus. Ja dieſe Manchfaltigkeiten ſind ſo groß, daß ſie unſere Gemüthsſtimmung auf die verſchiedenſte Weiſe anregen; und es geſchieht dies nicht bloß durch die Baumverſchiedenheit der Wälder, ſondern faſt mehr noch durch den Charakter ihrer Bodendecke. Mit dieſem Namen wollen wir nämlich, dem Forſtmanne folgend, die Art bezeichnen, wie der Waldboden zwiſchen den Bäumen verhüllt iſt, was bald durch die abgefallenen Nadeln oder Blätter, oder durch mehr oder weniger dicht ſtehende Pflanzen niederen Ranges geſchieht. Wie verſchieden der Wald die Saiten unſeres Gemüths anzuſchlagen vermag, das werden wir ſofort inne, wenn wir uns in einen ſonndurchglüheten, harzduftenden Kiefernwald und dann wieder in einen Buchenwald verſetzen. Wir werden ſpäter Veranlaſſung finden, uns dieſer Anregungen des Waldes und ihrer Gründe klar bewußt zu werden. Jetzt 1*

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/27>, abgerufen am 28.04.2024.