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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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und die anderen leidend verhalten würden, sondern es besteht ein weit
wichtigeres Gegenseitigkeitsverhältniß zwischen beiden. Die Einen führen
den Anderen Nahrung zu.

Wir wissen, daß im Frühjahre im Holzkörper des Stammes und der
Zweige ein wasserheller Saft aufwärts steigt, welchen die Wurzel aus
dem Boden aufgenommen hat. Dieser Frühjahrssaft ist aber nicht reines
Wasser, sondern er enthält verschiedene Stoffe aufgelöst, und indem er
aufwärts steigend in den Holzzellen vorwärts dringt, löst er die in diesen
vom vorigen Jahre her aufgespeicherten Nahrungsvorräthe auf. Besonders
in den Zellen der Markstrahlen ist zu dieser Zeit ein großer Vorrath von
Stärkemehl enthalten. So wird der aufsteigende Frühjahrssaft, je höher
er empordringt, immer reicher an nährenden Stoffen.

So gelangt er in die äußersten Triebe und dringt in die Knospen
ein, welche sich im vorigen Jahre in den Blattwinkeln der nun längst
abgefallenen Blätter entwickelt hatten.

Derselbe Wärmegrad, welcher in der Wurzel das Aufsaugungsvermögen
weckte, weckt nun auch die Bildungsthätigkeit in den Knospen. Den Bau
dieser werden wir später genauer zu betrachten haben; jetzt genügt es,
uns daran zu erinnern, daß aus jeder Knospe ein neuer Trieb -- wenn
es Triebknospen sind, oder nur Blüthen sich entwickeln, wenn es Blüthen-
knospen sind, oder endlich beides, wenn es gemischte Knospen sind.

In den Knospen wird aber aus dem ihnen zuströmenden Frühjahrs-
safte nicht nur der Stoff zu den sich aus ihnen entwickelnden Gebilden
bereitet, sondern sie geben auch die Stoffe her, durch welche sich ihr
Nahrungsbringer, der Stamm mit seinen Zweigen und die Wurzel, sich
vergrößert. Dies geschieht bekanntlich nur an deren Umfange, und in
dieser jährlichen Dickenzunahme beruht bekanntlich die Bildung der soge-
nannten Jahresringe, welche wir an einem Stamm- oder Zweigquerschnitte
zählen können.

Dieser von den Knospengebilden, namentlich den Blättern, zubereitete
bildungsfähige Saft, heißt nun Bildungssaft. Er steigt zwischen der
Rinde und dem zuletzt vorher gebildeten Jahresringe der Stammgebilde
abwärts und bildet unterwegs den neuen Jahresring.

Wenn wir diesen Rückweg des zum Bildungssaft veredelten Frühjahr-
saftes hemmen, indem wir rings um den Baum etwa zwei Zoll breit die

und die anderen leidend verhalten würden, ſondern es beſteht ein weit
wichtigeres Gegenſeitigkeitsverhältniß zwiſchen beiden. Die Einen führen
den Anderen Nahrung zu.

Wir wiſſen, daß im Frühjahre im Holzkörper des Stammes und der
Zweige ein waſſerheller Saft aufwärts ſteigt, welchen die Wurzel aus
dem Boden aufgenommen hat. Dieſer Frühjahrsſaft iſt aber nicht reines
Waſſer, ſondern er enthält verſchiedene Stoffe aufgelöſt, und indem er
aufwärts ſteigend in den Holzzellen vorwärts dringt, löſt er die in dieſen
vom vorigen Jahre her aufgeſpeicherten Nahrungsvorräthe auf. Beſonders
in den Zellen der Markſtrahlen iſt zu dieſer Zeit ein großer Vorrath von
Stärkemehl enthalten. So wird der aufſteigende Frühjahrsſaft, je höher
er empordringt, immer reicher an nährenden Stoffen.

So gelangt er in die äußerſten Triebe und dringt in die Knospen
ein, welche ſich im vorigen Jahre in den Blattwinkeln der nun längſt
abgefallenen Blätter entwickelt hatten.

Derſelbe Wärmegrad, welcher in der Wurzel das Aufſaugungsvermögen
weckte, weckt nun auch die Bildungsthätigkeit in den Knospen. Den Bau
dieſer werden wir ſpäter genauer zu betrachten haben; jetzt genügt es,
uns daran zu erinnern, daß aus jeder Knospe ein neuer Trieb — wenn
es Triebknospen ſind, oder nur Blüthen ſich entwickeln, wenn es Blüthen-
knospen ſind, oder endlich beides, wenn es gemiſchte Knospen ſind.

In den Knospen wird aber aus dem ihnen zuſtrömenden Frühjahrs-
ſafte nicht nur der Stoff zu den ſich aus ihnen entwickelnden Gebilden
bereitet, ſondern ſie geben auch die Stoffe her, durch welche ſich ihr
Nahrungsbringer, der Stamm mit ſeinen Zweigen und die Wurzel, ſich
vergrößert. Dies geſchieht bekanntlich nur an deren Umfange, und in
dieſer jährlichen Dickenzunahme beruht bekanntlich die Bildung der ſoge-
nannten Jahresringe, welche wir an einem Stamm- oder Zweigquerſchnitte
zählen können.

Dieſer von den Knospengebilden, namentlich den Blättern, zubereitete
bildungsfähige Saft, heißt nun Bildungsſaft. Er ſteigt zwiſchen der
Rinde und dem zuletzt vorher gebildeten Jahresringe der Stammgebilde
abwärts und bildet unterwegs den neuen Jahresring.

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ſaftes hemmen, indem wir rings um den Baum etwa zwei Zoll breit die

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[15/0039] und die anderen leidend verhalten würden, ſondern es beſteht ein weit wichtigeres Gegenſeitigkeitsverhältniß zwiſchen beiden. Die Einen führen den Anderen Nahrung zu. Wir wiſſen, daß im Frühjahre im Holzkörper des Stammes und der Zweige ein waſſerheller Saft aufwärts ſteigt, welchen die Wurzel aus dem Boden aufgenommen hat. Dieſer Frühjahrsſaft iſt aber nicht reines Waſſer, ſondern er enthält verſchiedene Stoffe aufgelöſt, und indem er aufwärts ſteigend in den Holzzellen vorwärts dringt, löſt er die in dieſen vom vorigen Jahre her aufgeſpeicherten Nahrungsvorräthe auf. Beſonders in den Zellen der Markſtrahlen iſt zu dieſer Zeit ein großer Vorrath von Stärkemehl enthalten. So wird der aufſteigende Frühjahrsſaft, je höher er empordringt, immer reicher an nährenden Stoffen. So gelangt er in die äußerſten Triebe und dringt in die Knospen ein, welche ſich im vorigen Jahre in den Blattwinkeln der nun längſt abgefallenen Blätter entwickelt hatten. Derſelbe Wärmegrad, welcher in der Wurzel das Aufſaugungsvermögen weckte, weckt nun auch die Bildungsthätigkeit in den Knospen. Den Bau dieſer werden wir ſpäter genauer zu betrachten haben; jetzt genügt es, uns daran zu erinnern, daß aus jeder Knospe ein neuer Trieb — wenn es Triebknospen ſind, oder nur Blüthen ſich entwickeln, wenn es Blüthen- knospen ſind, oder endlich beides, wenn es gemiſchte Knospen ſind. In den Knospen wird aber aus dem ihnen zuſtrömenden Frühjahrs- ſafte nicht nur der Stoff zu den ſich aus ihnen entwickelnden Gebilden bereitet, ſondern ſie geben auch die Stoffe her, durch welche ſich ihr Nahrungsbringer, der Stamm mit ſeinen Zweigen und die Wurzel, ſich vergrößert. Dies geſchieht bekanntlich nur an deren Umfange, und in dieſer jährlichen Dickenzunahme beruht bekanntlich die Bildung der ſoge- nannten Jahresringe, welche wir an einem Stamm- oder Zweigquerſchnitte zählen können. Dieſer von den Knospengebilden, namentlich den Blättern, zubereitete bildungsfähige Saft, heißt nun Bildungsſaft. Er ſteigt zwiſchen der Rinde und dem zuletzt vorher gebildeten Jahresringe der Stammgebilde abwärts und bildet unterwegs den neuen Jahresring. Wenn wir dieſen Rückweg des zum Bildungsſaft veredelten Frühjahr- ſaftes hemmen, indem wir rings um den Baum etwa zwei Zoll breit die

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/39>, abgerufen am 28.04.2024.