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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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bereiten und durch das Blut den Stoffwechsel zu unterhalten, das heißt,
die Theile seines Leibes fortwährend zu verjüngen. Aber es tritt in
seinem Lebensverlauf ein Zeitpunkt ein, wo ihm nicht nur kein neuer
Körpertheil mehr hinzugebildet wird, sondern wo auch sein körperlicher
Gesammtumfang sich nicht mehr verändert. Nachdem der Zahnwechsel
stattgefunden hat, bleibt nur noch der jährliche Haarwechsel übrig, welcher
für den dauernden Körperbestand keine Bedeutung hat.

Wie ganz anders verhält sich in dieser Hinsicht der wachsende Baum!
Der einfache Hinweis genügt, uns an diese große Verschiedenheit zwischen
Thier- und Pflanzenleib zu erinnern und es ist kaum noch nöthig, weiter
auszuführen, worin dieser Unterschied beruht. Wir wollen es aber dennoch
thun, weil wir jetzt auch des Bekannten bedürfen, um uns den Begriff
und das Wesen des Baumes recht lebendig und deutlich vorzustellen.

Wir haben am Baume zwei Dinge zu unterscheiden, welche sich, wie
sie in Gestalt und Lebensbedeutung von einander sehr abweichen, in diesem
Augenblicke für uns namentlich die beiden Gegensätze des Trägers und
des Getragenen herauskehren, Wurzel, Stamm und Zweige die einen --
Knospen, Blätter und Blüthen die andern. Dieser Gegensatz ist, wie wir
sogleich sehen werden, nicht blos eine figürliche Redewendung und wir
sagen nicht blos in solchem Sinne: dieser Baum trägt schlechte Früchte.
Wenn uns ein Baum nur schlechte Früchte trägt, so -- geben wir ihm
andere zu tragen, indem wir ihm eine oder gleichzeitig mehrere edlere
Sorten durch Okuliren oder Pfropfen aufladen.

Im Thierreiche haben wir nichts Aehnliches; wir müßten denn die
Rhinoplastik, die künstliche Nasenbildung aus der Stirnhaut oder selbst
aus der eines lebenden Thieres hierher rechnen wollen.

Der Baum trägt also nicht blos seine eigenen Blätter und Blüthen,
er trägt auch die anderer Arten, wenn ihm diese verwandt sind, er trägt
sogar ganze Pflanzen unverwandter Arten, denen er als Wurzelboden
und daher auch als Ernährer dient. Dies ist der Fall mit den echten
Schmarotzern, z. B. der Mistel, Viscum album, und der Riemenblume,
Loranthus europaeus.

Allein das Verhältniß zwischen Stengel- und Blattgebilden, wie wir
wissenschaftlich jene zwei Klassen der Baumtheile nennen wollen, ist nicht
allein das des Tragens und Getragenseins, wobei die einen sich handelnd

bereiten und durch das Blut den Stoffwechſel zu unterhalten, das heißt,
die Theile ſeines Leibes fortwährend zu verjüngen. Aber es tritt in
ſeinem Lebensverlauf ein Zeitpunkt ein, wo ihm nicht nur kein neuer
Körpertheil mehr hinzugebildet wird, ſondern wo auch ſein körperlicher
Geſammtumfang ſich nicht mehr verändert. Nachdem der Zahnwechſel
ſtattgefunden hat, bleibt nur noch der jährliche Haarwechſel übrig, welcher
für den dauernden Körperbeſtand keine Bedeutung hat.

Wie ganz anders verhält ſich in dieſer Hinſicht der wachſende Baum!
Der einfache Hinweis genügt, uns an dieſe große Verſchiedenheit zwiſchen
Thier- und Pflanzenleib zu erinnern und es iſt kaum noch nöthig, weiter
auszuführen, worin dieſer Unterſchied beruht. Wir wollen es aber dennoch
thun, weil wir jetzt auch des Bekannten bedürfen, um uns den Begriff
und das Weſen des Baumes recht lebendig und deutlich vorzuſtellen.

Wir haben am Baume zwei Dinge zu unterſcheiden, welche ſich, wie
ſie in Geſtalt und Lebensbedeutung von einander ſehr abweichen, in dieſem
Augenblicke für uns namentlich die beiden Gegenſätze des Trägers und
des Getragenen herauskehren, Wurzel, Stamm und Zweige die einen —
Knospen, Blätter und Blüthen die andern. Dieſer Gegenſatz iſt, wie wir
ſogleich ſehen werden, nicht blos eine figürliche Redewendung und wir
ſagen nicht blos in ſolchem Sinne: dieſer Baum trägt ſchlechte Früchte.
Wenn uns ein Baum nur ſchlechte Früchte trägt, ſo — geben wir ihm
andere zu tragen, indem wir ihm eine oder gleichzeitig mehrere edlere
Sorten durch Okuliren oder Pfropfen aufladen.

Im Thierreiche haben wir nichts Aehnliches; wir müßten denn die
Rhinoplaſtik, die künſtliche Naſenbildung aus der Stirnhaut oder ſelbſt
aus der eines lebenden Thieres hierher rechnen wollen.

Der Baum trägt alſo nicht blos ſeine eigenen Blätter und Blüthen,
er trägt auch die anderer Arten, wenn ihm dieſe verwandt ſind, er trägt
ſogar ganze Pflanzen unverwandter Arten, denen er als Wurzelboden
und daher auch als Ernährer dient. Dies iſt der Fall mit den echten
Schmarotzern, z. B. der Miſtel, Viscum album, und der Riemenblume,
Loranthus europaeus.

Allein das Verhältniß zwiſchen Stengel- und Blattgebilden, wie wir
wiſſenſchaftlich jene zwei Klaſſen der Baumtheile nennen wollen, iſt nicht
allein das des Tragens und Getragenſeins, wobei die einen ſich handelnd

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[14/0038] bereiten und durch das Blut den Stoffwechſel zu unterhalten, das heißt, die Theile ſeines Leibes fortwährend zu verjüngen. Aber es tritt in ſeinem Lebensverlauf ein Zeitpunkt ein, wo ihm nicht nur kein neuer Körpertheil mehr hinzugebildet wird, ſondern wo auch ſein körperlicher Geſammtumfang ſich nicht mehr verändert. Nachdem der Zahnwechſel ſtattgefunden hat, bleibt nur noch der jährliche Haarwechſel übrig, welcher für den dauernden Körperbeſtand keine Bedeutung hat. Wie ganz anders verhält ſich in dieſer Hinſicht der wachſende Baum! Der einfache Hinweis genügt, uns an dieſe große Verſchiedenheit zwiſchen Thier- und Pflanzenleib zu erinnern und es iſt kaum noch nöthig, weiter auszuführen, worin dieſer Unterſchied beruht. Wir wollen es aber dennoch thun, weil wir jetzt auch des Bekannten bedürfen, um uns den Begriff und das Weſen des Baumes recht lebendig und deutlich vorzuſtellen. Wir haben am Baume zwei Dinge zu unterſcheiden, welche ſich, wie ſie in Geſtalt und Lebensbedeutung von einander ſehr abweichen, in dieſem Augenblicke für uns namentlich die beiden Gegenſätze des Trägers und des Getragenen herauskehren, Wurzel, Stamm und Zweige die einen — Knospen, Blätter und Blüthen die andern. Dieſer Gegenſatz iſt, wie wir ſogleich ſehen werden, nicht blos eine figürliche Redewendung und wir ſagen nicht blos in ſolchem Sinne: dieſer Baum trägt ſchlechte Früchte. Wenn uns ein Baum nur ſchlechte Früchte trägt, ſo — geben wir ihm andere zu tragen, indem wir ihm eine oder gleichzeitig mehrere edlere Sorten durch Okuliren oder Pfropfen aufladen. Im Thierreiche haben wir nichts Aehnliches; wir müßten denn die Rhinoplaſtik, die künſtliche Naſenbildung aus der Stirnhaut oder ſelbſt aus der eines lebenden Thieres hierher rechnen wollen. Der Baum trägt alſo nicht blos ſeine eigenen Blätter und Blüthen, er trägt auch die anderer Arten, wenn ihm dieſe verwandt ſind, er trägt ſogar ganze Pflanzen unverwandter Arten, denen er als Wurzelboden und daher auch als Ernährer dient. Dies iſt der Fall mit den echten Schmarotzern, z. B. der Miſtel, Viscum album, und der Riemenblume, Loranthus europaeus. Allein das Verhältniß zwiſchen Stengel- und Blattgebilden, wie wir wiſſenſchaftlich jene zwei Klaſſen der Baumtheile nennen wollen, iſt nicht allein das des Tragens und Getragenſeins, wobei die einen ſich handelnd

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/38>, abgerufen am 27.04.2024.