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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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bringt theils er selbst auf den Markt, theils überantwortet er es der
Hand des verbreitenden Verkehrs. Beides thut die Wurzel im Vereine
mit dem Stamme. So dringt die aus der Natur genommene Gabe in
die Blätter, in die tausend arbeitenden Hände des Gewerbes, welche das
Verarbeitete denen zurückgeben, von denen sie es als Rohstoff empfingen.

Was uns Decandolle in dem Motto sagte, erinnert uns jetzt daran,
daß viele Bäume heute noch leben und grünen, welche durch ihr hohes
Alter sich dem Vergleiche mit einem Staate vollkommen ebenbürtig zeigen.
Es hat wohl niemals ein Volk gegeben, wenigstens kein Kulturvolk, das
chinesische vielleicht nicht ausgenommen, welches 3000 Jahre als ein ge-
schichtliches Ganzes bestanden hat, wie man z. B. dem Taxusbaum auf
dem Kirchhofe zu Braburn in Kent dieses Alter beimißt.

Es fällt uns hierbei unwillkürlich ein, wie oft uns zur Bezeichnung
menschlicher Verhältnisse der Baum als Gleichniß dient und wir freuen
uns jetzt darüber, wie sehr dies bisher von uns vielleicht ohne tieferes
Verständniß angewendete Gleichniß in der Natur des Baumes begründet ist.

Für einen späteren Abschnitt eine eingehende Beschreibung der Baum-
natur uns vorbehaltend, müssen wir jetzt aber noch etwas vom Baume
lernen, was uns eine Seite des Pflanzenreichs beleuchten soll, die wir
bisher vielleicht übersehen haben.

Dadurch, daß die Pflanze, und am allerwenigsten der Baum, nicht
in dem Sinne des Thieres ein Individuum ist, ging ihr auch das Eben-
maaß, die Symmetrie, des Baues verloren. Ob auch wir dabei etwas
verloren oder nicht vielmehr gewonnen haben, dessen wollen wir uns in
folgenden Betrachtungen klar zu werden suchen, welche ich aus Nr. 9 des
Jahrganges 1860 meines naturwissenschaftlichen Volksblattes "aus der
Heimath" entlehne.

"Zu den mancherlei naturwissenschaftlichen und ästhetischen Unter-
schieden zwischen dem Thier- und Gewächsreiche gehört als ein zunächst
in das Auge fallender, aber doch oft nicht zum Bewußtsein gelangender,
das Verhalten der Pflanzen und Thiere zu dem Formgesetz der Eben-
mäßigkeit (Symmetrie).

An unzähligen Punkten der Welt der Gestalten verlangt der gebildete
Geschmack Ebenmaaß und wird verletzt, wenn er es vermißt. Das schönste

bringt theils er ſelbſt auf den Markt, theils überantwortet er es der
Hand des verbreitenden Verkehrs. Beides thut die Wurzel im Vereine
mit dem Stamme. So dringt die aus der Natur genommene Gabe in
die Blätter, in die tauſend arbeitenden Hände des Gewerbes, welche das
Verarbeitete denen zurückgeben, von denen ſie es als Rohſtoff empfingen.

Was uns Decandolle in dem Motto ſagte, erinnert uns jetzt daran,
daß viele Bäume heute noch leben und grünen, welche durch ihr hohes
Alter ſich dem Vergleiche mit einem Staate vollkommen ebenbürtig zeigen.
Es hat wohl niemals ein Volk gegeben, wenigſtens kein Kulturvolk, das
chineſiſche vielleicht nicht ausgenommen, welches 3000 Jahre als ein ge-
ſchichtliches Ganzes beſtanden hat, wie man z. B. dem Taxusbaum auf
dem Kirchhofe zu Braburn in Kent dieſes Alter beimißt.

Es fällt uns hierbei unwillkürlich ein, wie oft uns zur Bezeichnung
menſchlicher Verhältniſſe der Baum als Gleichniß dient und wir freuen
uns jetzt darüber, wie ſehr dies bisher von uns vielleicht ohne tieferes
Verſtändniß angewendete Gleichniß in der Natur des Baumes begründet iſt.

Für einen ſpäteren Abſchnitt eine eingehende Beſchreibung der Baum-
natur uns vorbehaltend, müſſen wir jetzt aber noch etwas vom Baume
lernen, was uns eine Seite des Pflanzenreichs beleuchten ſoll, die wir
bisher vielleicht überſehen haben.

Dadurch, daß die Pflanze, und am allerwenigſten der Baum, nicht
in dem Sinne des Thieres ein Individuum iſt, ging ihr auch das Eben-
maaß, die Symmetrie, des Baues verloren. Ob auch wir dabei etwas
verloren oder nicht vielmehr gewonnen haben, deſſen wollen wir uns in
folgenden Betrachtungen klar zu werden ſuchen, welche ich aus Nr. 9 des
Jahrganges 1860 meines naturwiſſenſchaftlichen Volksblattes „aus der
Heimath“ entlehne.

„Zu den mancherlei naturwiſſenſchaftlichen und äſthetiſchen Unter-
ſchieden zwiſchen dem Thier- und Gewächsreiche gehört als ein zunächſt
in das Auge fallender, aber doch oft nicht zum Bewußtſein gelangender,
das Verhalten der Pflanzen und Thiere zu dem Formgeſetz der Eben-
mäßigkeit (Symmetrie).

An unzähligen Punkten der Welt der Geſtalten verlangt der gebildete
Geſchmack Ebenmaaß und wird verletzt, wenn er es vermißt. Das ſchönſte

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[21/0045] bringt theils er ſelbſt auf den Markt, theils überantwortet er es der Hand des verbreitenden Verkehrs. Beides thut die Wurzel im Vereine mit dem Stamme. So dringt die aus der Natur genommene Gabe in die Blätter, in die tauſend arbeitenden Hände des Gewerbes, welche das Verarbeitete denen zurückgeben, von denen ſie es als Rohſtoff empfingen. Was uns Decandolle in dem Motto ſagte, erinnert uns jetzt daran, daß viele Bäume heute noch leben und grünen, welche durch ihr hohes Alter ſich dem Vergleiche mit einem Staate vollkommen ebenbürtig zeigen. Es hat wohl niemals ein Volk gegeben, wenigſtens kein Kulturvolk, das chineſiſche vielleicht nicht ausgenommen, welches 3000 Jahre als ein ge- ſchichtliches Ganzes beſtanden hat, wie man z. B. dem Taxusbaum auf dem Kirchhofe zu Braburn in Kent dieſes Alter beimißt. Es fällt uns hierbei unwillkürlich ein, wie oft uns zur Bezeichnung menſchlicher Verhältniſſe der Baum als Gleichniß dient und wir freuen uns jetzt darüber, wie ſehr dies bisher von uns vielleicht ohne tieferes Verſtändniß angewendete Gleichniß in der Natur des Baumes begründet iſt. Für einen ſpäteren Abſchnitt eine eingehende Beſchreibung der Baum- natur uns vorbehaltend, müſſen wir jetzt aber noch etwas vom Baume lernen, was uns eine Seite des Pflanzenreichs beleuchten ſoll, die wir bisher vielleicht überſehen haben. Dadurch, daß die Pflanze, und am allerwenigſten der Baum, nicht in dem Sinne des Thieres ein Individuum iſt, ging ihr auch das Eben- maaß, die Symmetrie, des Baues verloren. Ob auch wir dabei etwas verloren oder nicht vielmehr gewonnen haben, deſſen wollen wir uns in folgenden Betrachtungen klar zu werden ſuchen, welche ich aus Nr. 9 des Jahrganges 1860 meines naturwiſſenſchaftlichen Volksblattes „aus der Heimath“ entlehne. „Zu den mancherlei naturwiſſenſchaftlichen und äſthetiſchen Unter- ſchieden zwiſchen dem Thier- und Gewächsreiche gehört als ein zunächſt in das Auge fallender, aber doch oft nicht zum Bewußtſein gelangender, das Verhalten der Pflanzen und Thiere zu dem Formgeſetz der Eben- mäßigkeit (Symmetrie). An unzähligen Punkten der Welt der Geſtalten verlangt der gebildete Geſchmack Ebenmaaß und wird verletzt, wenn er es vermißt. Das ſchönſte

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/45>, abgerufen am 28.04.2024.