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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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trocknen auch diese Büschchen schnell vollkommen aus, und unser Tritt
zertrümmert dann mit einem feinen Knistern die starren zerbrechlichen
Gebilde, die dadurch, wie auch in der Gestalt, feinen Korallenbäumchen
ähnlicher sind, als Gewächsen.

Im Nadelwald des Gebirges tragen die Flechten oft sehr viel zur
Bildung des Waldbodens bei und geben ihm durch ihre vorwaltend bleiche,
grau- oder grüngelbliche Färbung einen ungewöhnlichen Farbenton. Nur
im Morgen- und Abendthau und bei anhaltend feuchtem Wetter vermögen
einige sich einigermaßen zur Farbenstufe des Pflanzenreichs empor zu
schwingen; dann leuchtet nämlich unter der angefeuchtet durchscheinend
werdenden äußeren Zellenschicht das in tiefer liegenden Zellenschichten ab-
gelagerte Pflanzengrün etwas hindurch.

Fühlt sich das Auge von den zierlichen Gestalten angezogen und bückt
man sich nach ihnen, so staunt man entweder über die unerwartete Starr-
heit und Zerbrechlichkeit oder über die noch fast überraschendere Zartheit
und Zerreißbarkeit derselben, jenachdem wir bei trockner oder bei feuchter
Luft unsern Waldgang machen. Und fangen wir dann an, all' die ver-
schiedenen Formen zu sammeln, so werden wir gar leicht daran irre, ob
hier die Natur auch bestimmte Arten oder nur freie, nie mit einander
vollkommen übereinstimmende Formen geschaffen habe. Besonders die
Gattung der Säulenflechten, Cladonia, entfalten auf dem Waldboden,
wenn die Standortsverhältnisse ihnen zusagen, eine unglaubliche Veränder-
lichkeit der Formen und nur die Rennthierflechte, welche wir schon als
Cladonie kennen, zeigt eine Beharrlichkeit in der Ausprägung ihrer Art-
kennzeichen. Zwei andere Arten dieser beinahe nur in der Veränderlichkeit
beständigen Gattung, die ebenfalls den Waldboden höherer Gebirgslagen
lieben, sind die I. 4. und 5. abgebildete Korallenflechte, Cladonia
pleurota
und die wirtelförmige Säulenflechte, Cladonia verticillata.
In ersterer erkennen wir das bekannte Korallen"moos" der Brockensträußchen.
Ist einmal die Lage des Waldes rauh und an kalten Nebeln reich
genug, wie es die Flechten lieben, so wird man auch stets bei genauerer
Aufmerksamkeit am Boden eine große Zahl ihrer chamäleontischen Formen
finden. Selbst an den umherliegenden größeren Steinen, wenn sie na-
mentlich hinlänglich ebene Flächen darbieten, siedeln sich eine Menge
Flechten an, bald blos kaum für belebte Wesen anzusehende Krusten, bald

trocknen auch dieſe Büſchchen ſchnell vollkommen aus, und unſer Tritt
zertrümmert dann mit einem feinen Kniſtern die ſtarren zerbrechlichen
Gebilde, die dadurch, wie auch in der Geſtalt, feinen Korallenbäumchen
ähnlicher ſind, als Gewächſen.

Im Nadelwald des Gebirges tragen die Flechten oft ſehr viel zur
Bildung des Waldbodens bei und geben ihm durch ihre vorwaltend bleiche,
grau- oder grüngelbliche Färbung einen ungewöhnlichen Farbenton. Nur
im Morgen- und Abendthau und bei anhaltend feuchtem Wetter vermögen
einige ſich einigermaßen zur Farbenſtufe des Pflanzenreichs empor zu
ſchwingen; dann leuchtet nämlich unter der angefeuchtet durchſcheinend
werdenden äußeren Zellenſchicht das in tiefer liegenden Zellenſchichten ab-
gelagerte Pflanzengrün etwas hindurch.

Fühlt ſich das Auge von den zierlichen Geſtalten angezogen und bückt
man ſich nach ihnen, ſo ſtaunt man entweder über die unerwartete Starr-
heit und Zerbrechlichkeit oder über die noch faſt überraſchendere Zartheit
und Zerreißbarkeit derſelben, jenachdem wir bei trockner oder bei feuchter
Luft unſern Waldgang machen. Und fangen wir dann an, all’ die ver-
ſchiedenen Formen zu ſammeln, ſo werden wir gar leicht daran irre, ob
hier die Natur auch beſtimmte Arten oder nur freie, nie mit einander
vollkommen übereinſtimmende Formen geſchaffen habe. Beſonders die
Gattung der Säulenflechten, Cladonia, entfalten auf dem Waldboden,
wenn die Standortsverhältniſſe ihnen zuſagen, eine unglaubliche Veränder-
lichkeit der Formen und nur die Rennthierflechte, welche wir ſchon als
Cladonie kennen, zeigt eine Beharrlichkeit in der Ausprägung ihrer Art-
kennzeichen. Zwei andere Arten dieſer beinahe nur in der Veränderlichkeit
beſtändigen Gattung, die ebenfalls den Waldboden höherer Gebirgslagen
lieben, ſind die I. 4. und 5. abgebildete Korallenflechte, Cladonia
pleurota
und die wirtelförmige Säulenflechte, Cladonia verticillata.
In erſterer erkennen wir das bekannte Korallen„moos“ der Brockenſträußchen.
Iſt einmal die Lage des Waldes rauh und an kalten Nebeln reich
genug, wie es die Flechten lieben, ſo wird man auch ſtets bei genauerer
Aufmerkſamkeit am Boden eine große Zahl ihrer chamäleontiſchen Formen
finden. Selbſt an den umherliegenden größeren Steinen, wenn ſie na-
mentlich hinlänglich ebene Flächen darbieten, ſiedeln ſich eine Menge
Flechten an, bald blos kaum für belebte Weſen anzuſehende Kruſten, bald

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[34/0058] trocknen auch dieſe Büſchchen ſchnell vollkommen aus, und unſer Tritt zertrümmert dann mit einem feinen Kniſtern die ſtarren zerbrechlichen Gebilde, die dadurch, wie auch in der Geſtalt, feinen Korallenbäumchen ähnlicher ſind, als Gewächſen. Im Nadelwald des Gebirges tragen die Flechten oft ſehr viel zur Bildung des Waldbodens bei und geben ihm durch ihre vorwaltend bleiche, grau- oder grüngelbliche Färbung einen ungewöhnlichen Farbenton. Nur im Morgen- und Abendthau und bei anhaltend feuchtem Wetter vermögen einige ſich einigermaßen zur Farbenſtufe des Pflanzenreichs empor zu ſchwingen; dann leuchtet nämlich unter der angefeuchtet durchſcheinend werdenden äußeren Zellenſchicht das in tiefer liegenden Zellenſchichten ab- gelagerte Pflanzengrün etwas hindurch. Fühlt ſich das Auge von den zierlichen Geſtalten angezogen und bückt man ſich nach ihnen, ſo ſtaunt man entweder über die unerwartete Starr- heit und Zerbrechlichkeit oder über die noch faſt überraſchendere Zartheit und Zerreißbarkeit derſelben, jenachdem wir bei trockner oder bei feuchter Luft unſern Waldgang machen. Und fangen wir dann an, all’ die ver- ſchiedenen Formen zu ſammeln, ſo werden wir gar leicht daran irre, ob hier die Natur auch beſtimmte Arten oder nur freie, nie mit einander vollkommen übereinſtimmende Formen geſchaffen habe. Beſonders die Gattung der Säulenflechten, Cladonia, entfalten auf dem Waldboden, wenn die Standortsverhältniſſe ihnen zuſagen, eine unglaubliche Veränder- lichkeit der Formen und nur die Rennthierflechte, welche wir ſchon als Cladonie kennen, zeigt eine Beharrlichkeit in der Ausprägung ihrer Art- kennzeichen. Zwei andere Arten dieſer beinahe nur in der Veränderlichkeit beſtändigen Gattung, die ebenfalls den Waldboden höherer Gebirgslagen lieben, ſind die I. 4. und 5. abgebildete Korallenflechte, Cladonia pleurota und die wirtelförmige Säulenflechte, Cladonia verticillata. In erſterer erkennen wir das bekannte Korallen„moos“ der Brockenſträußchen. Iſt einmal die Lage des Waldes rauh und an kalten Nebeln reich genug, wie es die Flechten lieben, ſo wird man auch ſtets bei genauerer Aufmerkſamkeit am Boden eine große Zahl ihrer chamäleontiſchen Formen finden. Selbſt an den umherliegenden größeren Steinen, wenn ſie na- mentlich hinlänglich ebene Flächen darbieten, ſiedeln ſich eine Menge Flechten an, bald blos kaum für belebte Weſen anzuſehende Kruſten, bald

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/58>, abgerufen am 13.05.2024.