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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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Man nehme einen Birkenzweig zur Hand oder trete vor ein Apfel-
oder Birn-Spalierbäumchen, um sofort zu sehen, daß sich daran hinsichtlich
der Länge zweierlei sehr verschiedene Triebe finden: solche welche eine
sehr bedeutende Ausdehnung zeigen und bei manchen Arten -- von den
drei genannten bei der Birke nicht -- bis in den Herbst an der sich ver-
jüngenden Spitze immer noch fortwachsen, und dann solche, welche kurz
und dick sind und nur an der Spitze ein Paar Blätter und zwischen diesen
die Endknospe für das kommende Jahr tragen. Erstere nennen wir mit
Willkomm in Tharand Langtriebe, letztere Kurztriebe*).

Diese Verschiedenheit, welche übrigens auf einer unerforschten inneren
Ursache beruht, ist aber nicht so scharf begründet, daß an einem Baume
die Kurztriebe im Fortwachsen immer Kurztriebe, die Langtriebe immer
Langtriebe bleiben müßten. Oft bleiben sie es allerdings eine Reihe von
Jahren hintereinander; oft aber auch ermannt sich ein Kurztrieb plötzlich
zu einem kräftigen Langtriebe oder ein solcher sinkt zu einem Kurztriebe
herab.

Ich schalte hier ein, daß diese Verschiedenheit der Triebe einen be-
deutenden Einfluß auf den Habitus der Bäume ausübt, denn ihr verdanken
wir z. B., daß die Birke nicht ganz und gar wie eine durchsichtige Trauer-
weide aussieht, indem zahlreiche, fast immer nur 2 oder höchstens 3 Blätter
tragende Kurztriebe die Krone füllen helfen.

Hinsichtlich dieser Triebverschiedenheit stellt sich in auffallender Weise
ein Nadelholz auf die Seite der Laubhölzer, was es auch dadurch thut,
daß es im Winter seine Nadeln verliert: die Lärche. Diese hat außer
sehr langen Langtrieben, an denen die Nadeln einzeln und auffallend
weitläufig stehen, sehr übereinstimmend gebaute, höchstens 1/2 Zoll lang
werdende und dabei doch an 10 Jahr alte Kurztriebe, an deren Spitze
ein Kranz von zahlreichen Nadeln steht.

Woran erkennt man nun aber die Lang- und die Kurztriebe; woran
sieht man überhaupt äußerlich an einem Zweige, wieviel von seiner Länge
auf je ein Jahr kommt? Es sind bei einiger Aufmerksamkeit an jedem
Baumzweige leicht Merkmale aufzufinden, an welchen man bestimmt sehen

*) Th. Hartig, welcher zuerst auf diesen Unterschied aufmerksam machte, nennt
letztere meines Wissens Stauchlinge.

Man nehme einen Birkenzweig zur Hand oder trete vor ein Apfel-
oder Birn-Spalierbäumchen, um ſofort zu ſehen, daß ſich daran hinſichtlich
der Länge zweierlei ſehr verſchiedene Triebe finden: ſolche welche eine
ſehr bedeutende Ausdehnung zeigen und bei manchen Arten — von den
drei genannten bei der Birke nicht — bis in den Herbſt an der ſich ver-
jüngenden Spitze immer noch fortwachſen, und dann ſolche, welche kurz
und dick ſind und nur an der Spitze ein Paar Blätter und zwiſchen dieſen
die Endknospe für das kommende Jahr tragen. Erſtere nennen wir mit
Willkomm in Tharand Langtriebe, letztere Kurztriebe*).

Dieſe Verſchiedenheit, welche übrigens auf einer unerforſchten inneren
Urſache beruht, iſt aber nicht ſo ſcharf begründet, daß an einem Baume
die Kurztriebe im Fortwachſen immer Kurztriebe, die Langtriebe immer
Langtriebe bleiben müßten. Oft bleiben ſie es allerdings eine Reihe von
Jahren hintereinander; oft aber auch ermannt ſich ein Kurztrieb plötzlich
zu einem kräftigen Langtriebe oder ein ſolcher ſinkt zu einem Kurztriebe
herab.

Ich ſchalte hier ein, daß dieſe Verſchiedenheit der Triebe einen be-
deutenden Einfluß auf den Habitus der Bäume ausübt, denn ihr verdanken
wir z. B., daß die Birke nicht ganz und gar wie eine durchſichtige Trauer-
weide ausſieht, indem zahlreiche, faſt immer nur 2 oder höchſtens 3 Blätter
tragende Kurztriebe die Krone füllen helfen.

Hinſichtlich dieſer Triebverſchiedenheit ſtellt ſich in auffallender Weiſe
ein Nadelholz auf die Seite der Laubhölzer, was es auch dadurch thut,
daß es im Winter ſeine Nadeln verliert: die Lärche. Dieſe hat außer
ſehr langen Langtrieben, an denen die Nadeln einzeln und auffallend
weitläufig ſtehen, ſehr übereinſtimmend gebaute, höchſtens ½ Zoll lang
werdende und dabei doch an 10 Jahr alte Kurztriebe, an deren Spitze
ein Kranz von zahlreichen Nadeln ſteht.

Woran erkennt man nun aber die Lang- und die Kurztriebe; woran
ſieht man überhaupt äußerlich an einem Zweige, wieviel von ſeiner Länge
auf je ein Jahr kommt? Es ſind bei einiger Aufmerkſamkeit an jedem
Baumzweige leicht Merkmale aufzufinden, an welchen man beſtimmt ſehen

*) Th. Hartig, welcher zuerſt auf dieſen Unterſchied aufmerkſam machte, nennt
letztere meines Wiſſens Stauchlinge.
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[74/0098] Man nehme einen Birkenzweig zur Hand oder trete vor ein Apfel- oder Birn-Spalierbäumchen, um ſofort zu ſehen, daß ſich daran hinſichtlich der Länge zweierlei ſehr verſchiedene Triebe finden: ſolche welche eine ſehr bedeutende Ausdehnung zeigen und bei manchen Arten — von den drei genannten bei der Birke nicht — bis in den Herbſt an der ſich ver- jüngenden Spitze immer noch fortwachſen, und dann ſolche, welche kurz und dick ſind und nur an der Spitze ein Paar Blätter und zwiſchen dieſen die Endknospe für das kommende Jahr tragen. Erſtere nennen wir mit Willkomm in Tharand Langtriebe, letztere Kurztriebe *). Dieſe Verſchiedenheit, welche übrigens auf einer unerforſchten inneren Urſache beruht, iſt aber nicht ſo ſcharf begründet, daß an einem Baume die Kurztriebe im Fortwachſen immer Kurztriebe, die Langtriebe immer Langtriebe bleiben müßten. Oft bleiben ſie es allerdings eine Reihe von Jahren hintereinander; oft aber auch ermannt ſich ein Kurztrieb plötzlich zu einem kräftigen Langtriebe oder ein ſolcher ſinkt zu einem Kurztriebe herab. Ich ſchalte hier ein, daß dieſe Verſchiedenheit der Triebe einen be- deutenden Einfluß auf den Habitus der Bäume ausübt, denn ihr verdanken wir z. B., daß die Birke nicht ganz und gar wie eine durchſichtige Trauer- weide ausſieht, indem zahlreiche, faſt immer nur 2 oder höchſtens 3 Blätter tragende Kurztriebe die Krone füllen helfen. Hinſichtlich dieſer Triebverſchiedenheit ſtellt ſich in auffallender Weiſe ein Nadelholz auf die Seite der Laubhölzer, was es auch dadurch thut, daß es im Winter ſeine Nadeln verliert: die Lärche. Dieſe hat außer ſehr langen Langtrieben, an denen die Nadeln einzeln und auffallend weitläufig ſtehen, ſehr übereinſtimmend gebaute, höchſtens ½ Zoll lang werdende und dabei doch an 10 Jahr alte Kurztriebe, an deren Spitze ein Kranz von zahlreichen Nadeln ſteht. Woran erkennt man nun aber die Lang- und die Kurztriebe; woran ſieht man überhaupt äußerlich an einem Zweige, wieviel von ſeiner Länge auf je ein Jahr kommt? Es ſind bei einiger Aufmerkſamkeit an jedem Baumzweige leicht Merkmale aufzufinden, an welchen man beſtimmt ſehen *) Th. Hartig, welcher zuerſt auf dieſen Unterſchied aufmerkſam machte, nennt letztere meines Wiſſens Stauchlinge.

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/98>, abgerufen am 12.05.2024.