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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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kann, bis hierher war der Zweig im vorigen Jahre gewachsen und von
hier an ist er in diesem Jahre gewachsen. Man wird dabei die über-
raschende Thatsache finden, daß dies ebensowohl eine Länge von 2 Ellen
und darüber und eine Länge von kaum 1/12 Zoll betragen kann.

Wir dürfen jetzt nur die Figur III. 4. (S. 60) ansehen, um an
dem dargestellten Eschenzweige eine auffallende Abtheilung in Glieder durch
Sternchen bezeichnet, zu bemerken, welche fast von selbst für eben so viele
Wachsthumsstillstände Zeugniß ablegt.

Jede Triebknospe kann aus sich einen neuen Trieb entwickeln, aber
nicht jede thut es und die es thun, thun es mit verschie-
denem Erfolge
. Ein Blick auf einen Baumzweig belehrt uns, daß
viele Knospen sitzen bleiben, nicht zur Entfaltung kommen, wofür wir den
nähern Grund um so weniger anzugeben wissen, als die sitzen bleibenden
Knospen doch gewöhnlich die unteren am Triebe sind, also der zuströmende
Frühjahrssaft früher zu ihnen kommt, als zu den über ihnen am Triebe
stehenden. Allerdings sind die unentwickelt bleibenden Knospen fast immer
schwächlicher und unvollkommener als die, welche sich entwickeln, und so
wäre dies ein Grund für jene Erscheinung. Aber die Blätter, von
welchen diese unvollkommeneren Knospen gebildet wurden, saßen doch auch
tiefer am jungen Triebe, hatten also den Frühjahrssaft früher, dem Ort
und selbst der Zeit nach, als die höhern! Kurz, den nähern Grund des
Sitzenbleibens so vieler Knospen kennen wir nicht.

Wenn alle Knospen zur Entfaltung kämen, so würden die Kronen
unserer sämmtlichen Bäume nicht allein viel dichter sein, sondern sie
würden auch eine viel größere Regelmäßigkeit der Verzweigung zeigen.
Wenn wir an dem obersten, dem diesjährigen, Gliede (Triebe) des Eschen-
zweiges (III. 4.) die schwarzen Knospen so äußerst regelmäßig stehen sehen
und mit dieser Stellung die Zweigstellungen einer alten Esche vergleichen,
so muß uns die große Verschiedenheit auffallen; wir müssen bemerken,
daß viele Tausende von Knospen fehlgeschlagen sind.

Wir sehen an dem diesjährigen, etwa zolllangen Triebe des abge-
bildeten Eschenzweiges 4 Paar Seitenknospen und die Endknospe; das
unterste Seitenknospenpaar ist ganz klein und unausgebildet geblieben.
Der vorhergehende hatte genau eben so viele gehabt, der vor diesem ein
Seitenknospenpaar mehr und der unterste ebenfalls. Von allen diesen

kann, bis hierher war der Zweig im vorigen Jahre gewachſen und von
hier an iſt er in dieſem Jahre gewachſen. Man wird dabei die über-
raſchende Thatſache finden, daß dies ebenſowohl eine Länge von 2 Ellen
und darüber und eine Länge von kaum 1/12 Zoll betragen kann.

Wir dürfen jetzt nur die Figur III. 4. (S. 60) anſehen, um an
dem dargeſtellten Eſchenzweige eine auffallende Abtheilung in Glieder durch
Sternchen bezeichnet, zu bemerken, welche faſt von ſelbſt für eben ſo viele
Wachsthumsſtillſtände Zeugniß ablegt.

Jede Triebknospe kann aus ſich einen neuen Trieb entwickeln, aber
nicht jede thut es und die es thun, thun es mit verſchie-
denem Erfolge
. Ein Blick auf einen Baumzweig belehrt uns, daß
viele Knospen ſitzen bleiben, nicht zur Entfaltung kommen, wofür wir den
nähern Grund um ſo weniger anzugeben wiſſen, als die ſitzen bleibenden
Knospen doch gewöhnlich die unteren am Triebe ſind, alſo der zuſtrömende
Frühjahrsſaft früher zu ihnen kommt, als zu den über ihnen am Triebe
ſtehenden. Allerdings ſind die unentwickelt bleibenden Knospen faſt immer
ſchwächlicher und unvollkommener als die, welche ſich entwickeln, und ſo
wäre dies ein Grund für jene Erſcheinung. Aber die Blätter, von
welchen dieſe unvollkommeneren Knospen gebildet wurden, ſaßen doch auch
tiefer am jungen Triebe, hatten alſo den Frühjahrsſaft früher, dem Ort
und ſelbſt der Zeit nach, als die höhern! Kurz, den nähern Grund des
Sitzenbleibens ſo vieler Knospen kennen wir nicht.

Wenn alle Knospen zur Entfaltung kämen, ſo würden die Kronen
unſerer ſämmtlichen Bäume nicht allein viel dichter ſein, ſondern ſie
würden auch eine viel größere Regelmäßigkeit der Verzweigung zeigen.
Wenn wir an dem oberſten, dem diesjährigen, Gliede (Triebe) des Eſchen-
zweiges (III. 4.) die ſchwarzen Knospen ſo äußerſt regelmäßig ſtehen ſehen
und mit dieſer Stellung die Zweigſtellungen einer alten Eſche vergleichen,
ſo muß uns die große Verſchiedenheit auffallen; wir müſſen bemerken,
daß viele Tauſende von Knospen fehlgeſchlagen ſind.

Wir ſehen an dem diesjährigen, etwa zolllangen Triebe des abge-
bildeten Eſchenzweiges 4 Paar Seitenknospen und die Endknospe; das
unterſte Seitenknospenpaar iſt ganz klein und unausgebildet geblieben.
Der vorhergehende hatte genau eben ſo viele gehabt, der vor dieſem ein
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[75/0099] kann, bis hierher war der Zweig im vorigen Jahre gewachſen und von hier an iſt er in dieſem Jahre gewachſen. Man wird dabei die über- raſchende Thatſache finden, daß dies ebenſowohl eine Länge von 2 Ellen und darüber und eine Länge von kaum 1/12 Zoll betragen kann. Wir dürfen jetzt nur die Figur III. 4. (S. 60) anſehen, um an dem dargeſtellten Eſchenzweige eine auffallende Abtheilung in Glieder durch Sternchen bezeichnet, zu bemerken, welche faſt von ſelbſt für eben ſo viele Wachsthumsſtillſtände Zeugniß ablegt. Jede Triebknospe kann aus ſich einen neuen Trieb entwickeln, aber nicht jede thut es und die es thun, thun es mit verſchie- denem Erfolge. Ein Blick auf einen Baumzweig belehrt uns, daß viele Knospen ſitzen bleiben, nicht zur Entfaltung kommen, wofür wir den nähern Grund um ſo weniger anzugeben wiſſen, als die ſitzen bleibenden Knospen doch gewöhnlich die unteren am Triebe ſind, alſo der zuſtrömende Frühjahrsſaft früher zu ihnen kommt, als zu den über ihnen am Triebe ſtehenden. Allerdings ſind die unentwickelt bleibenden Knospen faſt immer ſchwächlicher und unvollkommener als die, welche ſich entwickeln, und ſo wäre dies ein Grund für jene Erſcheinung. Aber die Blätter, von welchen dieſe unvollkommeneren Knospen gebildet wurden, ſaßen doch auch tiefer am jungen Triebe, hatten alſo den Frühjahrsſaft früher, dem Ort und ſelbſt der Zeit nach, als die höhern! Kurz, den nähern Grund des Sitzenbleibens ſo vieler Knospen kennen wir nicht. Wenn alle Knospen zur Entfaltung kämen, ſo würden die Kronen unſerer ſämmtlichen Bäume nicht allein viel dichter ſein, ſondern ſie würden auch eine viel größere Regelmäßigkeit der Verzweigung zeigen. Wenn wir an dem oberſten, dem diesjährigen, Gliede (Triebe) des Eſchen- zweiges (III. 4.) die ſchwarzen Knospen ſo äußerſt regelmäßig ſtehen ſehen und mit dieſer Stellung die Zweigſtellungen einer alten Eſche vergleichen, ſo muß uns die große Verſchiedenheit auffallen; wir müſſen bemerken, daß viele Tauſende von Knospen fehlgeſchlagen ſind. Wir ſehen an dem diesjährigen, etwa zolllangen Triebe des abge- bildeten Eſchenzweiges 4 Paar Seitenknospen und die Endknospe; das unterſte Seitenknospenpaar iſt ganz klein und unausgebildet geblieben. Der vorhergehende hatte genau eben ſo viele gehabt, der vor dieſem ein Seitenknospenpaar mehr und der unterſte ebenfalls. Von allen dieſen

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/99>, abgerufen am 13.05.2024.