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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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lieben, werth- oder nicht werthschätzen, eine große
Uebereinstimmung haben, und daß sie fest an ein-
ander glauben, d. h. einer den andern mit höch-
ster Gewißheit für brav, gut und selbst für edel
halte, so daß er für ihn stehen kann, wie für sich
selbst. Es gehört auch dazu, daß das Maaß ihrer
Geistesgaben nicht gar zu verschieden sey. Völlig
gleich dürfen ihre Fähigkeiten und Neigungen
nicht seyn; das wäre nicht einmal gut zur Freund-
schaft. Trifft dies alles, was ich sagte, bei zwei
Menschen zusammen, und kommen sie sich persön-
lich nahe, so ahnen sie oft im ersten Augenblick
ihre Geistes- und Gemüths-Verwandtschaft, und
schauen einander in die innerste Tiefe der Seele.
Alsdann suchen und wünschen sie sich beständig
nahe zu seyn, können sich schwer entbehren, und
lassen nimmer wieder ganz von einander, auch
wenn sie sich einmal nicht verstanden haben sollten.
Und sind es Männer, so vertheidigen oder erretten
sie einander mit Blut und Leben, wo es Noth
thut. Hierüber will ich euch in der nächsten poe-
tischen Stunde eine Geschichte erzählen von ein
Paar Freunden, Damon und Phidias genannt,

lieben, werth- oder nicht werthſchätzen, eine große
Uebereinſtimmung haben, und daß ſie feſt an ein-
ander glauben, d. h. einer den andern mit höch-
ſter Gewißheit für brav, gut und ſelbſt für edel
halte, ſo daß er für ihn ſtehen kann, wie für ſich
ſelbſt. Es gehört auch dazu, daß das Maaß ihrer
Geiſtesgaben nicht gar zu verſchieden ſey. Völlig
gleich dürfen ihre Fähigkeiten und Neigungen
nicht ſeyn; das wäre nicht einmal gut zur Freund-
ſchaft. Trifft dies alles, was ich ſagte, bei zwei
Menſchen zuſammen, und kommen ſie ſich perſön-
lich nahe, ſo ahnen ſie oft im erſten Augenblick
ihre Geiſtes- und Gemüths-Verwandtſchaft, und
ſchauen einander in die innerſte Tiefe der Seele.
Alsdann ſuchen und wünſchen ſie ſich beſtändig
nahe zu ſeyn, können ſich ſchwer entbehren, und
laſſen nimmer wieder ganz von einander, auch
wenn ſie ſich einmal nicht verſtanden haben ſollten.
Und ſind es Männer, ſo vertheidigen oder erretten
ſie einander mit Blut und Leben, wo es Noth
thut. Hierüber will ich euch in der nächſten poe-
tiſchen Stunde eine Geſchichte erzählen von ein
Paar Freunden, Damon und Phidias genannt,

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[318/0332] lieben, werth- oder nicht werthſchätzen, eine große Uebereinſtimmung haben, und daß ſie feſt an ein- ander glauben, d. h. einer den andern mit höch- ſter Gewißheit für brav, gut und ſelbſt für edel halte, ſo daß er für ihn ſtehen kann, wie für ſich ſelbſt. Es gehört auch dazu, daß das Maaß ihrer Geiſtesgaben nicht gar zu verſchieden ſey. Völlig gleich dürfen ihre Fähigkeiten und Neigungen nicht ſeyn; das wäre nicht einmal gut zur Freund- ſchaft. Trifft dies alles, was ich ſagte, bei zwei Menſchen zuſammen, und kommen ſie ſich perſön- lich nahe, ſo ahnen ſie oft im erſten Augenblick ihre Geiſtes- und Gemüths-Verwandtſchaft, und ſchauen einander in die innerſte Tiefe der Seele. Alsdann ſuchen und wünſchen ſie ſich beſtändig nahe zu ſeyn, können ſich ſchwer entbehren, und laſſen nimmer wieder ganz von einander, auch wenn ſie ſich einmal nicht verſtanden haben ſollten. Und ſind es Männer, ſo vertheidigen oder erretten ſie einander mit Blut und Leben, wo es Noth thut. Hierüber will ich euch in der nächſten poe- tiſchen Stunde eine Geſchichte erzählen von ein Paar Freunden, Damon und Phidias genannt,

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/332>, abgerufen am 29.04.2024.