Schreit sie nach den weggeworfenen Sachen, und sie wären ihr von irgend jemand wiedergege- ben, und sie wirft sie dann abermals weg, so ist kein Zweifel daran, daß es Eigensinn sey. Dann muß sie sie nicht wieder haben, und wenn sie noch so heftig weinte; dann würde auch ein liebkosen- der Ton sie nur noch mehr zum Eigensinn anrei- zen. Da waffne Dich gegen Dein allzuweiches Gefühl, und sey nicht eher wieder zärtlich, als bis die böse Stunde bey der Kleinen ganz vorüber ist. Auch diese Mißlaune in dem Kinde kann vom Schmerz herrühren, und Kränkiichkeit ent- hält gewöhnlich den Samen zum Eigensinne: Dennoch darf dieser böse Same nicht genährt werden. Er muß heraus, und frühe ausgejätet werden, ehe er zu viel Kraft gewinnt. -- Gib Jda niemals das, wonach sie schreit; gib ihr das aber gern und mit Deiner ganzen Freundlich- keit, wonach sie freundlich äugelt; komme, wo es seyn kann, auch dem bittenden Blicke schon ge- bend entgegen. Schlage nichts, gar nichts ab, das Du geben darfst: verweigere aber standhaft, was Du einmal abgeschlagen, und sollte sie es
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Schreit ſie nach den weggeworfenen Sachen, und ſie wären ihr von irgend jemand wiedergege- ben, und ſie wirft ſie dann abermals weg, ſo iſt kein Zweifel daran, daß es Eigenſinn ſey. Dann muß ſie ſie nicht wieder haben, und wenn ſie noch ſo heftig weinte; dann würde auch ein liebkoſen- der Ton ſie nur noch mehr zum Eigenſinn anrei- zen. Da waffne Dich gegen Dein allzuweiches Gefühl, und ſey nicht eher wieder zärtlich, als bis die böſe Stunde bey der Kleinen ganz vorüber iſt. Auch dieſe Mißlaune in dem Kinde kann vom Schmerz herrühren, und Kränkiichkeit ent- hält gewöhnlich den Samen zum Eigenſinne: Dennoch darf dieſer böſe Same nicht genährt werden. Er muß heraus, und frühe ausgejätet werden, ehe er zu viel Kraft gewinnt. — Gib Jda niemals das, wonach ſie ſchreit; gib ihr das aber gern und mit Deiner ganzen Freundlich- keit, wonach ſie freundlich äugelt; komme, wo es ſeyn kann, auch dem bittenden Blicke ſchon ge- bend entgegen. Schlage nichts, gar nichts ab, das Du geben darfſt: verweigere aber ſtandhaft, was Du einmal abgeſchlagen, und ſollte ſie es
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Schreit ſie nach den weggeworfenen Sachen,
und ſie wären ihr von irgend jemand wiedergege-
ben, und ſie wirft ſie dann abermals weg, ſo iſt
kein Zweifel daran, daß es Eigenſinn ſey. Dann
muß ſie ſie nicht wieder haben, und wenn ſie noch
ſo heftig weinte; dann würde auch ein liebkoſen-
der Ton ſie nur noch mehr zum Eigenſinn anrei-
zen. Da waffne Dich gegen Dein allzuweiches
Gefühl, und ſey nicht eher wieder zärtlich, als
bis die böſe Stunde bey der Kleinen ganz vorüber
iſt. Auch dieſe Mißlaune in dem Kinde kann
vom Schmerz herrühren, und Kränkiichkeit ent-
hält gewöhnlich den Samen zum Eigenſinne:
Dennoch darf dieſer böſe Same nicht genährt
werden. Er muß heraus, und frühe ausgejätet
werden, ehe er zu viel Kraft gewinnt. — Gib
Jda niemals das, wonach ſie ſchreit; gib ihr
das aber gern und mit Deiner ganzen Freundlich-
keit, wonach ſie freundlich äugelt; komme, wo
es ſeyn kann, auch dem bittenden Blicke ſchon ge-
bend entgegen. Schlage nichts, gar nichts ab,
das Du geben darfſt: verweigere aber ſtandhaft,
was Du einmal abgeſchlagen, und ſollte ſie es
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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/39>, abgerufen am 15.10.2024.
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