Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite



noch so schön, oder noch so kläglich fodern. Schreit
sie, so darf sie es unter keiner Bedingung haben.
Damit sie aber zur Begierde dessen, was sie nicht
haben soll, nicht gereizt werde, so laß solche Din-
ge, wo das Vermeiden nur immer möglich ist,
gar nicht in ihre Nähe kommen. Der verbotene
Baum in Eden war ein Erziehungsmittel der
Himmlischen für den schon erwachsenen Menschen,
und doch wissen wir, wie schlecht der Mensch die
Probe bestand. Wollen wir von unsern kleinen
Kindern mehr fodern, als unsere ersten Eltern
leisteten? Einige Eltern -- recht als wollten sie
die böse Lust in ihren Kindern erwecken -- umge-
ben sie allenthalben mit solchen Dingen, die die
Kinder nicht haben sollen, und pflanzen einen
ganzen Wald von verbotenen Bäumen um sie; ei-
nige aus Sorglosigkeit, andere, um den Gehor-
sam zu prüfen. Du nicht also, liebste Emma!
Laß aus Jda's Stübchen alles fern bleiben, was
sie nicht anrühren darf -- besonders wenn es auf-
fällt und sehr reizt. Gabeln, Messer und Scheeren
halte so fern, als Du kannst. Kleine Kinder freut
der Glanz, und erregt ihre Begier darnach. Ent-



noch ſo ſchön, oder noch ſo kläglich fodern. Schreit
ſie, ſo darf ſie es unter keiner Bedingung haben.
Damit ſie aber zur Begierde deſſen, was ſie nicht
haben ſoll, nicht gereizt werde, ſo laß ſolche Din-
ge, wo das Vermeiden nur immer möglich iſt,
gar nicht in ihre Nähe kommen. Der verbotene
Baum in Eden war ein Erziehungsmittel der
Himmliſchen für den ſchon erwachſenen Menſchen,
und doch wiſſen wir, wie ſchlecht der Menſch die
Probe beſtand. Wollen wir von unſern kleinen
Kindern mehr fodern, als unſere erſten Eltern
leiſteten? Einige Eltern — recht als wollten ſie
die böſe Luſt in ihren Kindern erwecken — umge-
ben ſie allenthalben mit ſolchen Dingen, die die
Kinder nicht haben ſollen, und pflanzen einen
ganzen Wald von verbotenen Bäumen um ſie; ei-
nige aus Sorgloſigkeit, andere, um den Gehor-
ſam zu prüfen. Du nicht alſo, liebſte Emma!
Laß aus Jda’s Stübchen alles fern bleiben, was
ſie nicht anrühren darf — beſonders wenn es auf-
fällt und ſehr reizt. Gabeln, Meſſer und Scheeren
halte ſo fern, als Du kannſt. Kleine Kinder freut
der Glanz, und erregt ihre Begier darnach. Ent-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0040" n="26"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
noch &#x017F;o &#x017F;chön, oder noch &#x017F;o kläglich fodern. Schreit<lb/>
&#x017F;ie, &#x017F;o darf &#x017F;ie es unter keiner Bedingung haben.<lb/>
Damit &#x017F;ie aber zur Begierde de&#x017F;&#x017F;en, was &#x017F;ie nicht<lb/>
haben &#x017F;oll, nicht gereizt werde, &#x017F;o laß &#x017F;olche Din-<lb/>
ge, wo das Vermeiden nur immer möglich i&#x017F;t,<lb/>
gar nicht in ihre Nähe kommen. Der verbotene<lb/>
Baum in Eden war ein Erziehungsmittel der<lb/>
Himmli&#x017F;chen für den &#x017F;chon erwach&#x017F;enen Men&#x017F;chen,<lb/>
und doch wi&#x017F;&#x017F;en wir, wie &#x017F;chlecht der Men&#x017F;ch die<lb/>
Probe be&#x017F;tand. Wollen wir von un&#x017F;ern kleinen<lb/>
Kindern mehr fodern, als un&#x017F;ere er&#x017F;ten Eltern<lb/>
lei&#x017F;teten? Einige Eltern &#x2014; recht als wollten &#x017F;ie<lb/>
die bö&#x017F;e Lu&#x017F;t in ihren Kindern erwecken &#x2014; umge-<lb/>
ben &#x017F;ie allenthalben mit &#x017F;olchen Dingen, die die<lb/>
Kinder nicht haben &#x017F;ollen, und pflanzen einen<lb/>
ganzen Wald von verbotenen Bäumen um &#x017F;ie; ei-<lb/>
nige aus Sorglo&#x017F;igkeit, andere, um den Gehor-<lb/>
&#x017F;am zu prüfen. Du nicht al&#x017F;o, lieb&#x017F;te Emma!<lb/>
Laß aus Jda&#x2019;s Stübchen alles fern bleiben, was<lb/>
&#x017F;ie nicht anrühren darf &#x2014; be&#x017F;onders wenn es auf-<lb/>
fällt und &#x017F;ehr reizt. Gabeln, Me&#x017F;&#x017F;er und Scheeren<lb/>
halte &#x017F;o fern, als Du kann&#x017F;t. Kleine Kinder freut<lb/>
der Glanz, und erregt ihre Begier darnach. Ent-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0040] noch ſo ſchön, oder noch ſo kläglich fodern. Schreit ſie, ſo darf ſie es unter keiner Bedingung haben. Damit ſie aber zur Begierde deſſen, was ſie nicht haben ſoll, nicht gereizt werde, ſo laß ſolche Din- ge, wo das Vermeiden nur immer möglich iſt, gar nicht in ihre Nähe kommen. Der verbotene Baum in Eden war ein Erziehungsmittel der Himmliſchen für den ſchon erwachſenen Menſchen, und doch wiſſen wir, wie ſchlecht der Menſch die Probe beſtand. Wollen wir von unſern kleinen Kindern mehr fodern, als unſere erſten Eltern leiſteten? Einige Eltern — recht als wollten ſie die böſe Luſt in ihren Kindern erwecken — umge- ben ſie allenthalben mit ſolchen Dingen, die die Kinder nicht haben ſollen, und pflanzen einen ganzen Wald von verbotenen Bäumen um ſie; ei- nige aus Sorgloſigkeit, andere, um den Gehor- ſam zu prüfen. Du nicht alſo, liebſte Emma! Laß aus Jda’s Stübchen alles fern bleiben, was ſie nicht anrühren darf — beſonders wenn es auf- fällt und ſehr reizt. Gabeln, Meſſer und Scheeren halte ſo fern, als Du kannſt. Kleine Kinder freut der Glanz, und erregt ihre Begier darnach. Ent-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/40
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/40>, abgerufen am 03.11.2024.