Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

Glas um, wodurch Hertha ein wenig naß ge-
macht worden. Hertha schalt sie einen Klotz. Lie-
sel ward feuerroth und sagte nichts. Jda ergrif
der Liesel Hand, drückte sie liebreich und sagte:
liebe Liesel, so etwas begegnet einem wohl ein-
mal, ich habe gestern auch eins umgestoßen. Jch
thue es nun so bald nicht wieder, denn ich habe
jetzt besser acht. Liesel hatte eine Thräne im Auge,
und ging hinaus. Hertha sah die Thräne nicht,
und sagte zu Jda: wer wollte doch mit der Dienst-
magd so viel Aufhebens machen! Unsere Mägde
mußten sich ganz andre Dinge gefallen lassen.
Manche Ohrfeige haben sie umsonst bekommen, aber
manche hat mein Vater ihnen auch hernach bezahlt,
und noch neulich hat die Gunda für eine einen
Dukaten bekommen. Hier kam ich dazu und ließ
mir das andere erzählen. Ja, was ist denn nun
mehr, sagte Hertha; eine Magd muß ja wissen,
daß ein Unterschied ist unter Menschen. Jch faß-
te Hertha scharf ins Auge, und schaute sie bei
diesen Worten lange unverwandt an. Ein Unter-
schied (sagte ich) ist allerdings jetzt zwischen Dir
und Liesel, und ein recht großer. Hertha

Glas um, wodurch Hertha ein wenig naß ge-
macht worden. Hertha ſchalt ſie einen Klotz. Lie-
ſel ward feuerroth und ſagte nichts. Jda ergrif
der Lieſel Hand, drückte ſie liebreich und ſagte:
liebe Lieſel, ſo etwas begegnet einem wohl ein-
mal, ich habe geſtern auch eins umgeſtoßen. Jch
thue es nun ſo bald nicht wieder, denn ich habe
jetzt beſſer acht. Lieſel hatte eine Thräne im Auge,
und ging hinaus. Hertha ſah die Thräne nicht,
und ſagte zu Jda: wer wollte doch mit der Dienſt-
magd ſo viel Aufhebens machen! Unſere Mägde
mußten ſich ganz andre Dinge gefallen laſſen.
Manche Ohrfeige haben ſie umſonſt bekommen, aber
manche hat mein Vater ihnen auch hernach bezahlt,
und noch neulich hat die Gunda für eine einen
Dukaten bekommen. Hier kam ich dazu und ließ
mir das andere erzählen. Ja, was iſt denn nun
mehr, ſagte Hertha; eine Magd muß ja wiſſen,
daß ein Unterſchied iſt unter Menſchen. Jch faß-
te Hertha ſcharf ins Auge, und ſchaute ſie bei
dieſen Worten lange unverwandt an. Ein Unter-
ſchied (ſagte ich) iſt allerdings jetzt zwiſchen Dir
und Lieſel, und ein recht großer. Hertha

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0104" n="96"/>
Glas um, wodurch Hertha ein wenig naß ge-<lb/>
macht worden. Hertha &#x017F;chalt &#x017F;ie einen Klotz. Lie-<lb/>
&#x017F;el ward feuerroth und &#x017F;agte nichts. Jda ergrif<lb/>
der Lie&#x017F;el Hand, drückte &#x017F;ie liebreich und &#x017F;agte:<lb/>
liebe Lie&#x017F;el, &#x017F;o etwas begegnet einem wohl ein-<lb/>
mal, ich habe ge&#x017F;tern auch eins umge&#x017F;toßen. Jch<lb/>
thue es nun &#x017F;o bald nicht wieder, denn ich habe<lb/>
jetzt be&#x017F;&#x017F;er acht. Lie&#x017F;el hatte eine Thräne im Auge,<lb/>
und ging hinaus. Hertha &#x017F;ah die Thräne nicht,<lb/>
und &#x017F;agte zu Jda: wer wollte doch mit der Dien&#x017F;t-<lb/>
magd &#x017F;o viel Aufhebens machen! Un&#x017F;ere Mägde<lb/>
mußten &#x017F;ich ganz andre Dinge gefallen la&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Manche Ohrfeige haben &#x017F;ie um&#x017F;on&#x017F;t bekommen, aber<lb/>
manche hat mein Vater ihnen auch hernach bezahlt,<lb/>
und noch neulich hat die Gunda für eine einen<lb/>
Dukaten bekommen. Hier kam ich dazu und ließ<lb/>
mir das andere erzählen. Ja, was i&#x017F;t denn nun<lb/>
mehr, &#x017F;agte Hertha; eine Magd muß ja wi&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
daß ein Unter&#x017F;chied i&#x017F;t unter Men&#x017F;chen. Jch faß-<lb/>
te Hertha &#x017F;charf ins Auge, und &#x017F;chaute &#x017F;ie bei<lb/>
die&#x017F;en Worten lange unverwandt an. Ein Unter-<lb/>
&#x017F;chied (&#x017F;agte ich) i&#x017F;t allerdings jetzt zwi&#x017F;chen Dir<lb/>
und Lie&#x017F;el, und <hi rendition="#g">ein recht großer</hi>. Hertha<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[96/0104] Glas um, wodurch Hertha ein wenig naß ge- macht worden. Hertha ſchalt ſie einen Klotz. Lie- ſel ward feuerroth und ſagte nichts. Jda ergrif der Lieſel Hand, drückte ſie liebreich und ſagte: liebe Lieſel, ſo etwas begegnet einem wohl ein- mal, ich habe geſtern auch eins umgeſtoßen. Jch thue es nun ſo bald nicht wieder, denn ich habe jetzt beſſer acht. Lieſel hatte eine Thräne im Auge, und ging hinaus. Hertha ſah die Thräne nicht, und ſagte zu Jda: wer wollte doch mit der Dienſt- magd ſo viel Aufhebens machen! Unſere Mägde mußten ſich ganz andre Dinge gefallen laſſen. Manche Ohrfeige haben ſie umſonſt bekommen, aber manche hat mein Vater ihnen auch hernach bezahlt, und noch neulich hat die Gunda für eine einen Dukaten bekommen. Hier kam ich dazu und ließ mir das andere erzählen. Ja, was iſt denn nun mehr, ſagte Hertha; eine Magd muß ja wiſſen, daß ein Unterſchied iſt unter Menſchen. Jch faß- te Hertha ſcharf ins Auge, und ſchaute ſie bei dieſen Worten lange unverwandt an. Ein Unter- ſchied (ſagte ich) iſt allerdings jetzt zwiſchen Dir und Lieſel, und ein recht großer. Hertha

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/104
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/104>, abgerufen am 28.04.2024.