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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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noch vor dem Winter verödete. Von den Kindern
hast Du wenigstens seither Nachricht über unsern
Gesundheitszustand erhalten. Laß mich jetzt von
den Begebenheiten dieses langen Zwischenraumes
einiges nachholen.

Bald nach meinem letzten Briefe ward Debo-
rah immer schwächer und nahete dem Ende immer
sichtbarer. Die Kinder hatten wechselsweise die
Aufwartung, so daß immer eine beständig um die
Kranke war, die andern gingen ab und zu. Mit
der störrigen Hertha hatte ich eine Art Vertrag
geschlossen, daß sie, so lange Deborah leiden wür-
de, durchaus gehorsam und still wie ein Lamm
seyn, oder ins väterliche Haus zurückgehen müsse.
Der hiesige Aufenthalt mußte ihr schon lieb ge-
worden seyn; denn sie wählte das erste. Jch gab
ihr viel zu thun, und versprach, wenn sie es gut
machte, daß auch sie uns in der Krankenpflege un-
terstützen sollte. Und dazu kam es am Ende.
Die Kranke war nach jenem feierlichen Abend
recht still und sehr schwach: doch flammte, wie bei
solchen Kranken gewöhnlich, das verlöschende Licht

noch vor dem Winter verödete. Von den Kindern
haſt Du wenigſtens ſeither Nachricht über unſern
Geſundheitszuſtand erhalten. Laß mich jetzt von
den Begebenheiten dieſes langen Zwiſchenraumes
einiges nachholen.

Bald nach meinem letzten Briefe ward Debo-
rah immer ſchwächer und nahete dem Ende immer
ſichtbarer. Die Kinder hatten wechſelsweiſe die
Aufwartung, ſo daß immer eine beſtändig um die
Kranke war, die andern gingen ab und zu. Mit
der ſtörrigen Hertha hatte ich eine Art Vertrag
geſchloſſen, daß ſie, ſo lange Deborah leiden wür-
de, durchaus gehorſam und ſtill wie ein Lamm
ſeyn, oder ins väterliche Haus zurückgehen müſſe.
Der hieſige Aufenthalt mußte ihr ſchon lieb ge-
worden ſeyn; denn ſie wählte das erſte. Jch gab
ihr viel zu thun, und verſprach, wenn ſie es gut
machte, daß auch ſie uns in der Krankenpflege un-
terſtützen ſollte. Und dazu kam es am Ende.
Die Kranke war nach jenem feierlichen Abend
recht ſtill und ſehr ſchwach: doch flammte, wie bei
ſolchen Kranken gewöhnlich, das verlöſchende Licht

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[102/0110] noch vor dem Winter verödete. Von den Kindern haſt Du wenigſtens ſeither Nachricht über unſern Geſundheitszuſtand erhalten. Laß mich jetzt von den Begebenheiten dieſes langen Zwiſchenraumes einiges nachholen. Bald nach meinem letzten Briefe ward Debo- rah immer ſchwächer und nahete dem Ende immer ſichtbarer. Die Kinder hatten wechſelsweiſe die Aufwartung, ſo daß immer eine beſtändig um die Kranke war, die andern gingen ab und zu. Mit der ſtörrigen Hertha hatte ich eine Art Vertrag geſchloſſen, daß ſie, ſo lange Deborah leiden wür- de, durchaus gehorſam und ſtill wie ein Lamm ſeyn, oder ins väterliche Haus zurückgehen müſſe. Der hieſige Aufenthalt mußte ihr ſchon lieb ge- worden ſeyn; denn ſie wählte das erſte. Jch gab ihr viel zu thun, und verſprach, wenn ſie es gut machte, daß auch ſie uns in der Krankenpflege un- terſtützen ſollte. Und dazu kam es am Ende. Die Kranke war nach jenem feierlichen Abend recht ſtill und ſehr ſchwach: doch flammte, wie bei ſolchen Kranken gewöhnlich, das verlöſchende Licht

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/110>, abgerufen am 29.04.2024.