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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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weil sie alles, was sie thut, mit gar wunderlichen
Kapriolen begleitet. Sonderbar genug scheint
bei ihr jetzt jede Miene berechnet zu seyn; was sie
auch thut, und wie sie sich geberdet, so blickt sie
immer nach ihm, ob er es auch bemerke.

Mathilden, welche recht schlank und schön her-
aufgewachsen ist, kleidet ihr stolz verschämtes Zu-
rücktreten ungemein gut. -- Ueber ihre sehr glück-
liche Aenderung freut besonders Platov sich, der
mir neulich bekannte, er habe gar nicht viel von
ihr gehofft, weil er sie immer zu den gemeinen
Naturen gezählt, aus denen eine recht all-
tägliche Erziehung und strenge Zucht

gerade die brauchbarsten Menschen bilde, und die
eine höhere Natur vergebens ängstige und quäle,
weil sie das Gemeine doch nimmer zu sich hinauf
zu ziehen vermöge. Recht weit ab von der Wahr-
heit liegt diese Bemerkung wohl nicht; nur paßte
sie auf Mathilde nicht. Es gibt Naturen, die
nur durch Strenge, selbst durch körperliche Züch-
tigung orientirt und zu dem angehalten werden
müssen, was die menschliche Gesellschaft unbedingt

weil ſie alles, was ſie thut, mit gar wunderlichen
Kapriolen begleitet. Sonderbar genug ſcheint
bei ihr jetzt jede Miene berechnet zu ſeyn; was ſie
auch thut, und wie ſie ſich geberdet, ſo blickt ſie
immer nach ihm, ob er es auch bemerke.

Mathilden, welche recht ſchlank und ſchön her-
aufgewachſen iſt, kleidet ihr ſtolz verſchämtes Zu-
rücktreten ungemein gut. — Ueber ihre ſehr glück-
liche Aenderung freut beſonders Platov ſich, der
mir neulich bekannte, er habe gar nicht viel von
ihr gehofft, weil er ſie immer zu den gemeinen
Naturen gezählt, aus denen eine recht all-
tägliche Erziehung und ſtrenge Zucht

gerade die brauchbarſten Menſchen bilde, und die
eine höhere Natur vergebens ängſtige und quäle,
weil ſie das Gemeine doch nimmer zu ſich hinauf
zu ziehen vermöge. Recht weit ab von der Wahr-
heit liegt dieſe Bemerkung wohl nicht; nur paßte
ſie auf Mathilde nicht. Es gibt Naturen, die
nur durch Strenge, ſelbſt durch körperliche Züch-
tigung orientirt und zu dem angehalten werden
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[119/0127] weil ſie alles, was ſie thut, mit gar wunderlichen Kapriolen begleitet. Sonderbar genug ſcheint bei ihr jetzt jede Miene berechnet zu ſeyn; was ſie auch thut, und wie ſie ſich geberdet, ſo blickt ſie immer nach ihm, ob er es auch bemerke. Mathilden, welche recht ſchlank und ſchön her- aufgewachſen iſt, kleidet ihr ſtolz verſchämtes Zu- rücktreten ungemein gut. — Ueber ihre ſehr glück- liche Aenderung freut beſonders Platov ſich, der mir neulich bekannte, er habe gar nicht viel von ihr gehofft, weil er ſie immer zu den gemeinen Naturen gezählt, aus denen eine recht all- tägliche Erziehung und ſtrenge Zucht gerade die brauchbarſten Menſchen bilde, und die eine höhere Natur vergebens ängſtige und quäle, weil ſie das Gemeine doch nimmer zu ſich hinauf zu ziehen vermöge. Recht weit ab von der Wahr- heit liegt dieſe Bemerkung wohl nicht; nur paßte ſie auf Mathilde nicht. Es gibt Naturen, die nur durch Strenge, ſelbſt durch körperliche Züch- tigung orientirt und zu dem angehalten werden müſſen, was die menſchliche Geſellſchaft unbedingt

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/127>, abgerufen am 29.04.2024.