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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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Jch schlich leise wieder zur Thüre hinaus, ohne
von ihm bemerkt zu werden. Die Thüre war
nur angelehnt. Jch mischte mich unten wieder
unter die Kinder. Woldemar kam den Abend
nicht -- Also es ist beschlossen, wir reisen; so in
dieser schwülen schwermüthig schwärmerischen
Einsamkeit beisammen bleiben dürfen wir nicht.
Wir reisen nun bald, und gehen bis Schafhausen
oder Kostanz mit einander. -- Dann nehmen wir
den Weg nach Genf, und die Männer gehen ent-
weder über den Gotthard nach Mailand, oder beglei-
ten uns bis Genf, und besuchen das wilde Savoyen.
Ungern habe ich mich entschlossen, auch Hertha
mit nach der Schweiz zu nehmen; aber Bruno
läßt nicht ab von mir. Es ist gar eine wunder-
liche Mischung von Eigenheiten in diesem Kinde,
die ein eigenes sehr sorgfältiges Studium erfo-
dern. -- Jhr Bestreben angenehme Eindrücke zu
machen ist so sehr sichtbar. So sorglos, ja oft
widerwärtig ihr Betragen ist, wenn sie bloß mit
uns ist, so gemessen, von so schlauer Aufmerksam-
keit geleitet, zeigt es sich, so bald Männer da
sind. Wie sie um Woldemar bemüht ist, habe

Jch ſchlich leiſe wieder zur Thüre hinaus, ohne
von ihm bemerkt zu werden. Die Thüre war
nur angelehnt. Jch miſchte mich unten wieder
unter die Kinder. Woldemar kam den Abend
nicht — Alſo es iſt beſchloſſen, wir reiſen; ſo in
dieſer ſchwülen ſchwermüthig ſchwärmeriſchen
Einſamkeit beiſammen bleiben dürfen wir nicht.
Wir reiſen nun bald, und gehen bis Schafhauſen
oder Koſtanz mit einander. — Dann nehmen wir
den Weg nach Genf, und die Männer gehen ent-
weder über den Gotthard nach Mailand, oder beglei-
ten uns bis Genf, und beſuchen das wilde Savoyen.
Ungern habe ich mich entſchloſſen, auch Hertha
mit nach der Schweiz zu nehmen; aber Bruno
läßt nicht ab von mir. Es iſt gar eine wunder-
liche Miſchung von Eigenheiten in dieſem Kinde,
die ein eigenes ſehr ſorgfältiges Studium erfo-
dern. — Jhr Beſtreben angenehme Eindrücke zu
machen iſt ſo ſehr ſichtbar. So ſorglos, ja oft
widerwärtig ihr Betragen iſt, wenn ſie bloß mit
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ſind. Wie ſie um Woldemar bemüht iſt, habe

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[124/0132] Jch ſchlich leiſe wieder zur Thüre hinaus, ohne von ihm bemerkt zu werden. Die Thüre war nur angelehnt. Jch miſchte mich unten wieder unter die Kinder. Woldemar kam den Abend nicht — Alſo es iſt beſchloſſen, wir reiſen; ſo in dieſer ſchwülen ſchwermüthig ſchwärmeriſchen Einſamkeit beiſammen bleiben dürfen wir nicht. Wir reiſen nun bald, und gehen bis Schafhauſen oder Koſtanz mit einander. — Dann nehmen wir den Weg nach Genf, und die Männer gehen ent- weder über den Gotthard nach Mailand, oder beglei- ten uns bis Genf, und beſuchen das wilde Savoyen. Ungern habe ich mich entſchloſſen, auch Hertha mit nach der Schweiz zu nehmen; aber Bruno läßt nicht ab von mir. Es iſt gar eine wunder- liche Miſchung von Eigenheiten in dieſem Kinde, die ein eigenes ſehr ſorgfältiges Studium erfo- dern. — Jhr Beſtreben angenehme Eindrücke zu machen iſt ſo ſehr ſichtbar. So ſorglos, ja oft widerwärtig ihr Betragen iſt, wenn ſie bloß mit uns iſt, ſo gemeſſen, von ſo ſchlauer Aufmerkſam- keit geleitet, zeigt es ſich, ſo bald Männer da ſind. Wie ſie um Woldemar bemüht iſt, habe

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/132>, abgerufen am 28.04.2024.