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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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schwistern. Es ist also nothwendig, daß jede
Mutter den Originalcharakter ihrer
Kinder studire, die besondere Natur ei-
nes jeden erforsche, es dieser gemäß be-
handle, und nie von allen das Gleiche
fodere; nie das sanftere dem lebhafte-
ren, oder umgekehrt das feurigthätige
dem stillempfänglichen zum Muster vor-
halte
. Was von diesen so verschiedenen Natu-
ren in einander übergehen kann, das geschieht
ohne Zuthun der positiven Erziehung, und
macht sich ins Geheim von selbst. Alles absicht-
liche Streben bewirkt aufs höchste sklavische Nach-
ahmung, und es kann durch sie eine schwache Na-
tur ganz aus ihrer Bahn gebracht und jämmerlich
verkrüppelt werden. Und darum ist das Bemühen
aller Fleuri's, ganz verschieden geartete Wesen in
eine Form zu gießen, nicht nur ein schädliches,
sondern auch ein sträfliches Beginnen.

Elwire. Was ist aber hier zu thun?

Jch. Nichts anders, als, wie ich schon sagte:
Mlle. Fleuri zu einer lieberaleren Ansicht von der
Menschennatur und zu einigem Nespekt gegen die-

ſchwiſtern. Es iſt alſo nothwendig, daß jede
Mutter den Originalcharakter ihrer
Kinder ſtudire, die beſondere Natur ei-
nes jeden erforſche, es dieſer gemäß be-
handle, und nie von allen das Gleiche
fodere; nie das ſanftere dem lebhafte-
ren, oder umgekehrt das feurigthätige
dem ſtillempfänglichen zum Muſter vor-
halte
. Was von dieſen ſo verſchiedenen Natu-
ren in einander übergehen kann, das geſchieht
ohne Zuthun der poſitiven Erziehung, und
macht ſich ins Geheim von ſelbſt. Alles abſicht-
liche Streben bewirkt aufs höchſte ſklaviſche Nach-
ahmung, und es kann durch ſie eine ſchwache Na-
tur ganz aus ihrer Bahn gebracht und jämmerlich
verkrüppelt werden. Und darum iſt das Bemühen
aller Fleuri’s, ganz verſchieden geartete Weſen in
eine Form zu gießen, nicht nur ein ſchädliches,
ſondern auch ein ſträfliches Beginnen.

Elwire. Was iſt aber hier zu thun?

Jch. Nichts anders, als, wie ich ſchon ſagte:
Mlle. Fleuri zu einer lieberaleren Anſicht von der
Menſchennatur und zu einigem Neſpekt gegen die-

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[143/0151] ſchwiſtern. Es iſt alſo nothwendig, daß jede Mutter den Originalcharakter ihrer Kinder ſtudire, die beſondere Natur ei- nes jeden erforſche, es dieſer gemäß be- handle, und nie von allen das Gleiche fodere; nie das ſanftere dem lebhafte- ren, oder umgekehrt das feurigthätige dem ſtillempfänglichen zum Muſter vor- halte. Was von dieſen ſo verſchiedenen Natu- ren in einander übergehen kann, das geſchieht ohne Zuthun der poſitiven Erziehung, und macht ſich ins Geheim von ſelbſt. Alles abſicht- liche Streben bewirkt aufs höchſte ſklaviſche Nach- ahmung, und es kann durch ſie eine ſchwache Na- tur ganz aus ihrer Bahn gebracht und jämmerlich verkrüppelt werden. Und darum iſt das Bemühen aller Fleuri’s, ganz verſchieden geartete Weſen in eine Form zu gießen, nicht nur ein ſchädliches, ſondern auch ein ſträfliches Beginnen. Elwire. Was iſt aber hier zu thun? Jch. Nichts anders, als, wie ich ſchon ſagte: Mlle. Fleuri zu einer lieberaleren Anſicht von der Menſchennatur und zu einigem Neſpekt gegen die-

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/151>, abgerufen am 02.05.2024.