Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

Jhnen Rohheit schien, war gewiß nichts fehler-
haftes in den guten Kindern, von denen zwei
mehr von der lebhafteren Natur des Vaters über-
kommen haben, als von der mütterlichen Sanft-
heit. Eine leichte Aufgabe ist es nie, einem
Kinde Ausbildung zu geben, das in seinen Na-
turanlagen von den unsrigen ganz verschieden ist.
Ja es ist schon schwer, gegen ein Kind von ei-
ner uns etwas fremden Natur nur gerecht zu seyn,
da man sich fast nicht in dasselbe hineindenken
kann. Und dennoch haben die meisten Väter oder
Mütter diese zu lösen; da seltener gleichgeartete
Ehegatten sich verbinden als verschiedene. Denn
nicht das Gleiche sucht sich in beiden Geschlechtern,
da das schon Eines ist, sondern das Verschiedene,
damit es eins werde. So geschiehet es vor unsern
Augen. Der stille Mann bewirbt sich gern um
das Leben-sprudelnde Mädchen. Der feurigregsa-
me Jüngling sucht die stillere Jungfrau und hängt
bewundernd an dem Blick der tiefen Ruhe. Jn ei-
ner Familie arten selten alle Sprößlinge nach dem
Vater, oder einzig nach der Mutter, und die
größten Kontraste finden sich oft unter den Ge-

Jhnen Rohheit ſchien, war gewiß nichts fehler-
haftes in den guten Kindern, von denen zwei
mehr von der lebhafteren Natur des Vaters über-
kommen haben, als von der mütterlichen Sanft-
heit. Eine leichte Aufgabe iſt es nie, einem
Kinde Ausbildung zu geben, das in ſeinen Na-
turanlagen von den unſrigen ganz verſchieden iſt.
Ja es iſt ſchon ſchwer, gegen ein Kind von ei-
ner uns etwas fremden Natur nur gerecht zu ſeyn,
da man ſich faſt nicht in daſſelbe hineindenken
kann. Und dennoch haben die meiſten Väter oder
Mütter dieſe zu löſen; da ſeltener gleichgeartete
Ehegatten ſich verbinden als verſchiedene. Denn
nicht das Gleiche ſucht ſich in beiden Geſchlechtern,
da das ſchon Eines iſt, ſondern das Verſchiedene,
damit es eins werde. So geſchiehet es vor unſern
Augen. Der ſtille Mann bewirbt ſich gern um
das Leben-ſprudelnde Mädchen. Der feurigregſa-
me Jüngling ſucht die ſtillere Jungfrau und hängt
bewundernd an dem Blick der tiefen Ruhe. Jn ei-
ner Familie arten ſelten alle Sprößlinge nach dem
Vater, oder einzig nach der Mutter, und die
größten Kontraſte finden ſich oft unter den Ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0150" n="142"/>
Jhnen Rohheit &#x017F;chien, war gewiß nichts fehler-<lb/>
haftes in den guten Kindern, von denen zwei<lb/>
mehr von der lebhafteren Natur des Vaters über-<lb/>
kommen haben, als von der mütterlichen Sanft-<lb/>
heit. Eine leichte Aufgabe i&#x017F;t es nie, einem<lb/>
Kinde Ausbildung zu geben, das in &#x017F;einen Na-<lb/>
turanlagen von den un&#x017F;rigen ganz ver&#x017F;chieden i&#x017F;t.<lb/>
Ja es i&#x017F;t &#x017F;chon &#x017F;chwer, gegen ein Kind von ei-<lb/>
ner uns etwas fremden Natur nur gerecht zu &#x017F;eyn,<lb/>
da man &#x017F;ich fa&#x017F;t nicht in da&#x017F;&#x017F;elbe hineindenken<lb/>
kann. Und dennoch haben die mei&#x017F;ten Väter oder<lb/>
Mütter die&#x017F;e zu lö&#x017F;en; da &#x017F;eltener gleichgeartete<lb/>
Ehegatten &#x017F;ich verbinden als ver&#x017F;chiedene. Denn<lb/>
nicht das Gleiche &#x017F;ucht &#x017F;ich in beiden Ge&#x017F;chlechtern,<lb/>
da das &#x017F;chon Eines i&#x017F;t, &#x017F;ondern das Ver&#x017F;chiedene,<lb/>
damit es eins werde. So ge&#x017F;chiehet es vor un&#x017F;ern<lb/>
Augen. Der &#x017F;tille Mann bewirbt &#x017F;ich gern um<lb/>
das Leben-&#x017F;prudelnde Mädchen. Der feurigreg&#x017F;a-<lb/>
me Jüngling &#x017F;ucht die &#x017F;tillere Jungfrau und hängt<lb/>
bewundernd an dem Blick der tiefen Ruhe. Jn ei-<lb/>
ner Familie arten &#x017F;elten alle Sprößlinge nach dem<lb/>
Vater, oder einzig nach der Mutter, und die<lb/>
größten Kontra&#x017F;te finden &#x017F;ich oft unter den Ge-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[142/0150] Jhnen Rohheit ſchien, war gewiß nichts fehler- haftes in den guten Kindern, von denen zwei mehr von der lebhafteren Natur des Vaters über- kommen haben, als von der mütterlichen Sanft- heit. Eine leichte Aufgabe iſt es nie, einem Kinde Ausbildung zu geben, das in ſeinen Na- turanlagen von den unſrigen ganz verſchieden iſt. Ja es iſt ſchon ſchwer, gegen ein Kind von ei- ner uns etwas fremden Natur nur gerecht zu ſeyn, da man ſich faſt nicht in daſſelbe hineindenken kann. Und dennoch haben die meiſten Väter oder Mütter dieſe zu löſen; da ſeltener gleichgeartete Ehegatten ſich verbinden als verſchiedene. Denn nicht das Gleiche ſucht ſich in beiden Geſchlechtern, da das ſchon Eines iſt, ſondern das Verſchiedene, damit es eins werde. So geſchiehet es vor unſern Augen. Der ſtille Mann bewirbt ſich gern um das Leben-ſprudelnde Mädchen. Der feurigregſa- me Jüngling ſucht die ſtillere Jungfrau und hängt bewundernd an dem Blick der tiefen Ruhe. Jn ei- ner Familie arten ſelten alle Sprößlinge nach dem Vater, oder einzig nach der Mutter, und die größten Kontraſte finden ſich oft unter den Ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/150
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/150>, abgerufen am 28.04.2024.