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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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notiren durfte, über welchen sie nach der Stunde
nähere Belehrung wünschte. Hierdurch war ihr
Muthwille gezügelt, und ihre Spässe oft zurück-
gehalten. Auch hat sie sich nach und nach zu wirk-
lich ausharrender Aufmerksamkeit gewöhnt, da sie
anfangs durch ihre närrischen Zwischenfragen sich
selbst und die andern oft vom eigentlichen Punkt
ablenkte, und die Lehrstunde störte. Sie faßt gar
schnell, und hat Clärchen in manchem schon einge-
holt. Eine unbändige Freude zeigt sie aber nicht
selten, wie eine Lehrstunde zu Ende ist, auch wenn
sie mit dem größten Verlangen der Stunde entge-
gen gesehen. Als Bruno neulich Abends ihnen die
Sternbilder am Himmel zeigte, die sie zuvor auf
der Bode'schen Charte gesehen, meinte sie, die
Menschen müßten doch von jeher rechte Spielkin-
der gewesen seyn.

Wenn ich, sagte sie, mir diese Bilder ausge-
sonnen, und an den Himmel gefaselt hätte, so
wollte ich mal sehen, wie es über die arme Hertha
hergehen würde. Was würdest Du sagen, lieber
Bruder Bruno, wenn die Perücke der Berenice,
oder das Medusenhaupt meine Erfindung wäre? --



notiren durfte, über welchen ſie nach der Stunde
nähere Belehrung wünſchte. Hierdurch war ihr
Muthwille gezügelt, und ihre Späſſe oft zurück-
gehalten. Auch hat ſie ſich nach und nach zu wirk-
lich ausharrender Aufmerkſamkeit gewöhnt, da ſie
anfangs durch ihre närriſchen Zwiſchenfragen ſich
ſelbſt und die andern oft vom eigentlichen Punkt
ablenkte, und die Lehrſtunde ſtörte. Sie faßt gar
ſchnell, und hat Clärchen in manchem ſchon einge-
holt. Eine unbändige Freude zeigt ſie aber nicht
ſelten, wie eine Lehrſtunde zu Ende iſt, auch wenn
ſie mit dem größten Verlangen der Stunde entge-
gen geſehen. Als Bruno neulich Abends ihnen die
Sternbilder am Himmel zeigte, die ſie zuvor auf
der Bode’ſchen Charte geſehen, meinte ſie, die
Menſchen müßten doch von jeher rechte Spielkin-
der geweſen ſeyn.

Wenn ich, ſagte ſie, mir dieſe Bilder ausge-
ſonnen, und an den Himmel gefaſelt hätte, ſo
wollte ich mal ſehen, wie es über die arme Hertha
hergehen würde. Was würdeſt Du ſagen, lieber
Bruder Bruno, wenn die Perücke der Berenice,
oder das Meduſenhaupt meine Erfindung wäre? —

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[194/0202] notiren durfte, über welchen ſie nach der Stunde nähere Belehrung wünſchte. Hierdurch war ihr Muthwille gezügelt, und ihre Späſſe oft zurück- gehalten. Auch hat ſie ſich nach und nach zu wirk- lich ausharrender Aufmerkſamkeit gewöhnt, da ſie anfangs durch ihre närriſchen Zwiſchenfragen ſich ſelbſt und die andern oft vom eigentlichen Punkt ablenkte, und die Lehrſtunde ſtörte. Sie faßt gar ſchnell, und hat Clärchen in manchem ſchon einge- holt. Eine unbändige Freude zeigt ſie aber nicht ſelten, wie eine Lehrſtunde zu Ende iſt, auch wenn ſie mit dem größten Verlangen der Stunde entge- gen geſehen. Als Bruno neulich Abends ihnen die Sternbilder am Himmel zeigte, die ſie zuvor auf der Bode’ſchen Charte geſehen, meinte ſie, die Menſchen müßten doch von jeher rechte Spielkin- der geweſen ſeyn. Wenn ich, ſagte ſie, mir dieſe Bilder ausge- ſonnen, und an den Himmel gefaſelt hätte, ſo wollte ich mal ſehen, wie es über die arme Hertha hergehen würde. Was würdeſt Du ſagen, lieber Bruder Bruno, wenn die Perücke der Berenice, oder das Meduſenhaupt meine Erfindung wäre? —

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/202>, abgerufen am 30.04.2024.