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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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sobald Sie diese Zeilen der Sterbenden gelesen ha-
ben. Vielleicht kommt einst der Vater meiner
Seraphine, der unglückliche Gatte seines einst ge-
liebten und jetzt verkannten Weibes zurück. Dann
sagen Sie ihm, daß seine Gattin unschuldig war,
und daß sie ihm alles alles vergeben, und mit ei-
nem Herzen voll Liebe zu Gott gegangen.

Jch wollte Jhnen noch danken, daß Sie meine
Bitte erfüllen -- aber es ist zu Ende mit mir.
Gott gebe Jhnen einst ein schöneres Ende -- Einst
führen Sie mir meine Seraphine wieder in die
Arme, und namenlose Seligkeit vergilt alle Werke
Jhres himmlischen Herzens. --

Denke Dir, beste Emma, die Wirkung dieses
Briefes, den ich Bruno zum Vorlesen reichte, weil
ich es nicht konnte. Die Kinder waren wie auf-
gelös't von heiliger Rührung. Als wir uns ein
wenig gesammelt, hieß ich die Magd uns voran-
gehen, und folgte ihr mit Jda. Bruno begleitete
uns zum Hause der Unglücklichen. Das Kind
spielte am Bette der entseelten Mutter. Es lachte



ſobald Sie dieſe Zeilen der Sterbenden geleſen ha-
ben. Vielleicht kommt einſt der Vater meiner
Seraphine, der unglückliche Gatte ſeines einſt ge-
liebten und jetzt verkannten Weibes zurück. Dann
ſagen Sie ihm, daß ſeine Gattin unſchuldig war,
und daß ſie ihm alles alles vergeben, und mit ei-
nem Herzen voll Liebe zu Gott gegangen.

Jch wollte Jhnen noch danken, daß Sie meine
Bitte erfüllen — aber es iſt zu Ende mit mir.
Gott gebe Jhnen einſt ein ſchöneres Ende — Einſt
führen Sie mir meine Seraphine wieder in die
Arme, und namenloſe Seligkeit vergilt alle Werke
Jhres himmliſchen Herzens. —

Denke Dir, beſte Emma, die Wirkung dieſes
Briefes, den ich Bruno zum Vorleſen reichte, weil
ich es nicht konnte. Die Kinder waren wie auf-
gelöſ’t von heiliger Rührung. Als wir uns ein
wenig geſammelt, hieß ich die Magd uns voran-
gehen, und folgte ihr mit Jda. Bruno begleitete
uns zum Hauſe der Unglücklichen. Das Kind
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[203/0211] ſobald Sie dieſe Zeilen der Sterbenden geleſen ha- ben. Vielleicht kommt einſt der Vater meiner Seraphine, der unglückliche Gatte ſeines einſt ge- liebten und jetzt verkannten Weibes zurück. Dann ſagen Sie ihm, daß ſeine Gattin unſchuldig war, und daß ſie ihm alles alles vergeben, und mit ei- nem Herzen voll Liebe zu Gott gegangen. Jch wollte Jhnen noch danken, daß Sie meine Bitte erfüllen — aber es iſt zu Ende mit mir. Gott gebe Jhnen einſt ein ſchöneres Ende — Einſt führen Sie mir meine Seraphine wieder in die Arme, und namenloſe Seligkeit vergilt alle Werke Jhres himmliſchen Herzens. — Denke Dir, beſte Emma, die Wirkung dieſes Briefes, den ich Bruno zum Vorleſen reichte, weil ich es nicht konnte. Die Kinder waren wie auf- gelöſ’t von heiliger Rührung. Als wir uns ein wenig geſammelt, hieß ich die Magd uns voran- gehen, und folgte ihr mit Jda. Bruno begleitete uns zum Hauſe der Unglücklichen. Das Kind ſpielte am Bette der entſeelten Mutter. Es lachte

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/211>, abgerufen am 30.04.2024.