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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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uns auch nicht selten unsers Clärchens Vater,
welchen Platov noch nicht kannte, an dem er
aber großes Wohlgefallen hat. Cläre kann dann
ganz entzückt werden, wenn sie ihren Vater von
dem Manne so gefeiert sieht, den sie mit den
andern Kindern vergöttert. "Tante, sagte sie
gestern, ich möchte närrisch werden vor Freuden,
wenn ich den prächtigen Herrn von Platov mei-
nen herrlichen Vater so zärtlich umarmen sehe!
Es ist mir dann, als ob ich zwei Sonnen am Him-
mel auf einander zukommen sähe."

"Könnt' es Dir noch wohl begegnen, daß du
dem einen oder dem andern in irgend einer Sache
zuwider wärest?"

Unmöglich Tante! Als ich noch ein rohes wil-
des Kalb war, da macht' ich dem Vater oft Ver-
druß, und ich konnt' es gar nicht einmal fühlen,
daß es Unrecht sey, wenn ich ihm in meiner Un-
bändigkeit die schönsten Blumen im Garten zer-
trat, um nach dem Kirschbaum mit den schönen
Glaskirschen schneller hinzukommen, oder wenn

uns auch nicht ſelten unſers Clärchens Vater,
welchen Platov noch nicht kannte, an dem er
aber großes Wohlgefallen hat. Cläre kann dann
ganz entzückt werden, wenn ſie ihren Vater von
dem Manne ſo gefeiert ſieht, den ſie mit den
andern Kindern vergöttert. „Tante, ſagte ſie
geſtern, ich möchte närriſch werden vor Freuden,
wenn ich den prächtigen Herrn von Platov mei-
nen herrlichen Vater ſo zärtlich umarmen ſehe!
Es iſt mir dann, als ob ich zwei Sonnen am Him-
mel auf einander zukommen ſähe.‟

„Könnt’ es Dir noch wohl begegnen, daß du
dem einen oder dem andern in irgend einer Sache
zuwider wäreſt?‟

Unmöglich Tante! Als ich noch ein rohes wil-
des Kalb war, da macht’ ich dem Vater oft Ver-
druß, und ich konnt’ es gar nicht einmal fühlen,
daß es Unrecht ſey, wenn ich ihm in meiner Un-
bändigkeit die ſchönſten Blumen im Garten zer-
trat, um nach dem Kirſchbaum mit den ſchönen
Glaskirſchen ſchneller hinzukommen, oder wenn

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[50/0058] uns auch nicht ſelten unſers Clärchens Vater, welchen Platov noch nicht kannte, an dem er aber großes Wohlgefallen hat. Cläre kann dann ganz entzückt werden, wenn ſie ihren Vater von dem Manne ſo gefeiert ſieht, den ſie mit den andern Kindern vergöttert. „Tante, ſagte ſie geſtern, ich möchte närriſch werden vor Freuden, wenn ich den prächtigen Herrn von Platov mei- nen herrlichen Vater ſo zärtlich umarmen ſehe! Es iſt mir dann, als ob ich zwei Sonnen am Him- mel auf einander zukommen ſähe.‟ „Könnt’ es Dir noch wohl begegnen, daß du dem einen oder dem andern in irgend einer Sache zuwider wäreſt?‟ Unmöglich Tante! Als ich noch ein rohes wil- des Kalb war, da macht’ ich dem Vater oft Ver- druß, und ich konnt’ es gar nicht einmal fühlen, daß es Unrecht ſey, wenn ich ihm in meiner Un- bändigkeit die ſchönſten Blumen im Garten zer- trat, um nach dem Kirſchbaum mit den ſchönen Glaskirſchen ſchneller hinzukommen, oder wenn

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/58>, abgerufen am 27.04.2024.