Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

Entweder sie gewöhnte sich früh, mit kalter
Gleichgültigkeit das Wohlwollen der Person zu
entbehren, mit der sie doch so viel lebt, oder sie
würde heimlich bitter gegen das Unrecht, welches
sie sich angethan glaubt. Jn dieser Rücksicht al-
so die vollkommenste Gleichheit und Unparthei-
lichkeit beobachtet, das bitte ich.

Laß besonders Kathinka nie vergebens nach et-
was verlangen, das ihr gewährt werden kann;
bewillige ihr alles, was irgend zugestanden wer-
den darf; aber laß ihren Trotz doch nie wankend
machen in dem, was Du einmal beschlossen.

Kathinka ist ein herrliches Geschöpf. O laß
ja nicht die Anlagen zu einer großen Seele in
Selbstsucht und Uebermuth verwildernd ausarten.
Sie liebt Dich jetzt schon so feurig; an diesem
Bande leite sie, doch hüte Dich vor der Weise der
Mütter, die den Eigenwillen einer starken Kin-
desseele, und die Kraft eines großen Gemüths
durch die Gewalt der Rührung brechen wollen.
Ein lebhaftes schlaues Kind kommt der pädagogi-

Entweder ſie gewöhnte ſich früh, mit kalter
Gleichgültigkeit das Wohlwollen der Perſon zu
entbehren, mit der ſie doch ſo viel lebt, oder ſie
würde heimlich bitter gegen das Unrecht, welches
ſie ſich angethan glaubt. Jn dieſer Rückſicht al-
ſo die vollkommenſte Gleichheit und Unparthei-
lichkeit beobachtet, das bitte ich.

Laß beſonders Kathinka nie vergebens nach et-
was verlangen, das ihr gewährt werden kann;
bewillige ihr alles, was irgend zugeſtanden wer-
den darf; aber laß ihren Trotz doch nie wankend
machen in dem, was Du einmal beſchloſſen.

Kathinka iſt ein herrliches Geſchöpf. O laß
ja nicht die Anlagen zu einer großen Seele in
Selbſtſucht und Uebermuth verwildernd ausarten.
Sie liebt Dich jetzt ſchon ſo feurig; an dieſem
Bande leite ſie, doch hüte Dich vor der Weiſe der
Mütter, die den Eigenwillen einer ſtarken Kin-
desſeele, und die Kraft eines großen Gemüths
durch die Gewalt der Rührung brechen wollen.
Ein lebhaftes ſchlaues Kind kommt der pädagogi-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0068" n="60"/>
Entweder &#x017F;ie gewöhnte &#x017F;ich früh, mit kalter<lb/>
Gleichgültigkeit das Wohlwollen der Per&#x017F;on zu<lb/>
entbehren, mit der &#x017F;ie doch &#x017F;o viel lebt, oder &#x017F;ie<lb/>
würde heimlich bitter gegen das Unrecht, welches<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich angethan glaubt. Jn die&#x017F;er Rück&#x017F;icht al-<lb/>
&#x017F;o die vollkommen&#x017F;te Gleichheit und Unparthei-<lb/>
lichkeit beobachtet, das bitte ich.</p><lb/>
          <p>Laß be&#x017F;onders Kathinka nie vergebens nach et-<lb/>
was verlangen, das ihr gewährt werden kann;<lb/>
bewillige ihr alles, was irgend zuge&#x017F;tanden wer-<lb/>
den darf; aber laß ihren Trotz doch nie wankend<lb/>
machen in dem, was Du einmal be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Kathinka i&#x017F;t ein herrliches Ge&#x017F;chöpf. O laß<lb/>
ja nicht die Anlagen zu einer großen Seele in<lb/>
Selb&#x017F;t&#x017F;ucht und Uebermuth verwildernd ausarten.<lb/>
Sie liebt Dich jetzt &#x017F;chon &#x017F;o feurig; an die&#x017F;em<lb/>
Bande leite &#x017F;ie, doch hüte Dich vor der Wei&#x017F;e der<lb/>
Mütter, die den Eigenwillen einer &#x017F;tarken Kin-<lb/>
des&#x017F;eele, und die Kraft eines großen Gemüths<lb/>
durch die Gewalt der Rührung brechen wollen.<lb/>
Ein lebhaftes &#x017F;chlaues Kind kommt der pädagogi-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[60/0068] Entweder ſie gewöhnte ſich früh, mit kalter Gleichgültigkeit das Wohlwollen der Perſon zu entbehren, mit der ſie doch ſo viel lebt, oder ſie würde heimlich bitter gegen das Unrecht, welches ſie ſich angethan glaubt. Jn dieſer Rückſicht al- ſo die vollkommenſte Gleichheit und Unparthei- lichkeit beobachtet, das bitte ich. Laß beſonders Kathinka nie vergebens nach et- was verlangen, das ihr gewährt werden kann; bewillige ihr alles, was irgend zugeſtanden wer- den darf; aber laß ihren Trotz doch nie wankend machen in dem, was Du einmal beſchloſſen. Kathinka iſt ein herrliches Geſchöpf. O laß ja nicht die Anlagen zu einer großen Seele in Selbſtſucht und Uebermuth verwildernd ausarten. Sie liebt Dich jetzt ſchon ſo feurig; an dieſem Bande leite ſie, doch hüte Dich vor der Weiſe der Mütter, die den Eigenwillen einer ſtarken Kin- desſeele, und die Kraft eines großen Gemüths durch die Gewalt der Rührung brechen wollen. Ein lebhaftes ſchlaues Kind kommt der pädagogi-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/68
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/68>, abgerufen am 27.04.2024.