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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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klärte: Kathinka will heute nicht gewaschen seyn,
wie sie es schon anfängt, was ist da zu thun?
Vielleicht nichts weiter, als daß sie die Mutter
zum Gutenmorgen nicht küssen darf. Reichte das
nicht hin, so darf sie nicht fühstücken; wollte sie
auch das verschmerzen, so bleibt sie auf der Schlaf-
kammer, und darf nicht mit Dir hinunter gehen.
Gertrude wird schon auf sie acht haben, ohne sie
angenehm zu beschäftigen; das darf freilich nicht
geschehen, sonst würde sie auch diese Strafe weg-
trotzen. Kommt sie dann eine Stunde oder noch
später nachher, und will gewaschen seyn, so thut
es Gertrude, ohne ihr Vorwürfe zu machen, sagt
ihr aber: wenn du morgen wieder so lange war-
test, so wasche ich dich nicht, und dann kannst du
gar nicht zu Vater und Mutter heruntergehen.
Dies wird sicher helfen. Vor allen Dingen aber
laß Gertrud sich wohl vorsehen, daß sie die sanf-
tere Virginia ihr nicht lobend zum Muster stelle. Daß
sie letzterer in ihrem Herzen den Vorzug gibt, kann
sie nicht hehlen, äußern darf sie das aber nicht,
dies müßte für beide verderblich werden. Am
nachtheiligsten würde es auf Kathinka wirken.

klärte: Kathinka will heute nicht gewaſchen ſeyn,
wie ſie es ſchon anfängt, was iſt da zu thun?
Vielleicht nichts weiter, als daß ſie die Mutter
zum Gutenmorgen nicht küſſen darf. Reichte das
nicht hin, ſo darf ſie nicht fühſtücken; wollte ſie
auch das verſchmerzen, ſo bleibt ſie auf der Schlaf-
kammer, und darf nicht mit Dir hinunter gehen.
Gertrude wird ſchon auf ſie acht haben, ohne ſie
angenehm zu beſchäftigen; das darf freilich nicht
geſchehen, ſonſt würde ſie auch dieſe Strafe weg-
trotzen. Kommt ſie dann eine Stunde oder noch
ſpäter nachher, und will gewaſchen ſeyn, ſo thut
es Gertrude, ohne ihr Vorwürfe zu machen, ſagt
ihr aber: wenn du morgen wieder ſo lange war-
teſt, ſo waſche ich dich nicht, und dann kannſt du
gar nicht zu Vater und Mutter heruntergehen.
Dies wird ſicher helfen. Vor allen Dingen aber
laß Gertrud ſich wohl vorſehen, daß ſie die ſanf-
tere Virginia ihr nicht lobend zum Muſter ſtelle. Daß
ſie letzterer in ihrem Herzen den Vorzug gibt, kann
ſie nicht hehlen, äußern darf ſie das aber nicht,
dies müßte für beide verderblich werden. Am
nachtheiligſten würde es auf Kathinka wirken.

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[59/0067] klärte: Kathinka will heute nicht gewaſchen ſeyn, wie ſie es ſchon anfängt, was iſt da zu thun? Vielleicht nichts weiter, als daß ſie die Mutter zum Gutenmorgen nicht küſſen darf. Reichte das nicht hin, ſo darf ſie nicht fühſtücken; wollte ſie auch das verſchmerzen, ſo bleibt ſie auf der Schlaf- kammer, und darf nicht mit Dir hinunter gehen. Gertrude wird ſchon auf ſie acht haben, ohne ſie angenehm zu beſchäftigen; das darf freilich nicht geſchehen, ſonſt würde ſie auch dieſe Strafe weg- trotzen. Kommt ſie dann eine Stunde oder noch ſpäter nachher, und will gewaſchen ſeyn, ſo thut es Gertrude, ohne ihr Vorwürfe zu machen, ſagt ihr aber: wenn du morgen wieder ſo lange war- teſt, ſo waſche ich dich nicht, und dann kannſt du gar nicht zu Vater und Mutter heruntergehen. Dies wird ſicher helfen. Vor allen Dingen aber laß Gertrud ſich wohl vorſehen, daß ſie die ſanf- tere Virginia ihr nicht lobend zum Muſter ſtelle. Daß ſie letzterer in ihrem Herzen den Vorzug gibt, kann ſie nicht hehlen, äußern darf ſie das aber nicht, dies müßte für beide verderblich werden. Am nachtheiligſten würde es auf Kathinka wirken.

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/67>, abgerufen am 27.04.2024.