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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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Lebe wohl für heute; bald hörst Du mehr
von uns.



Vier und vierzigster Brief.

Durch ein Ungefähr kam es neulich einmal
am Tisch zur Sprache, daß Woldemar nicht Dein
Sohn sey, und also nicht Jda's rechter Bruder,
wovon bis jetzt in dieser Familie und von den
Kindern niemand etwas geahnet, auch Platov
wußte es nicht, daß Dein D. schon zuvor einmal
vermählt war, und seine Gattin gleich nach Wol-
demar's Geburt verloren. Jda weinte schmerz-
lich; sie konnte den Gedanken gar nicht ertragen,
daß Woldemar nicht Dein Sohn sey. Jch suchte
sie von diesem widerwärtigen Gedanken ab auf
eine freundliche Ansicht der Sache zu leiten, und
sagte ihr halb scherzend, wie Du den großen Feh-
ler, nicht Deines Mannes erste Gattin, und nicht
Mutter seines Sohnes zu seyn, durch ein solches
Maaß von zarter Sorge und weiser Liebe für

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von uns.



Vier und vierzigſter Brief.

Durch ein Ungefähr kam es neulich einmal
am Tiſch zur Sprache, daß Woldemar nicht Dein
Sohn ſey, und alſo nicht Jda’s rechter Bruder,
wovon bis jetzt in dieſer Familie und von den
Kindern niemand etwas geahnet, auch Platov
wußte es nicht, daß Dein D. ſchon zuvor einmal
vermählt war, und ſeine Gattin gleich nach Wol-
demar’s Geburt verloren. Jda weinte ſchmerz-
lich; ſie konnte den Gedanken gar nicht ertragen,
daß Woldemar nicht Dein Sohn ſey. Jch ſuchte
ſie von dieſem widerwärtigen Gedanken ab auf
eine freundliche Anſicht der Sache zu leiten, und
ſagte ihr halb ſcherzend, wie Du den großen Feh-
ler, nicht Deines Mannes erſte Gattin, und nicht
Mutter ſeines Sohnes zu ſeyn, durch ein ſolches
Maaß von zarter Sorge und weiſer Liebe für

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[70/0078] Lebe wohl für heute; bald hörſt Du mehr von uns. Vier und vierzigſter Brief. Durch ein Ungefähr kam es neulich einmal am Tiſch zur Sprache, daß Woldemar nicht Dein Sohn ſey, und alſo nicht Jda’s rechter Bruder, wovon bis jetzt in dieſer Familie und von den Kindern niemand etwas geahnet, auch Platov wußte es nicht, daß Dein D. ſchon zuvor einmal vermählt war, und ſeine Gattin gleich nach Wol- demar’s Geburt verloren. Jda weinte ſchmerz- lich; ſie konnte den Gedanken gar nicht ertragen, daß Woldemar nicht Dein Sohn ſey. Jch ſuchte ſie von dieſem widerwärtigen Gedanken ab auf eine freundliche Anſicht der Sache zu leiten, und ſagte ihr halb ſcherzend, wie Du den großen Feh- ler, nicht Deines Mannes erſte Gattin, und nicht Mutter ſeines Sohnes zu ſeyn, durch ein ſolches Maaß von zarter Sorge und weiſer Liebe für

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/78>, abgerufen am 27.04.2024.