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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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Woldemar vergütet, daß niemand, der es nicht
wisse, es wahrnehmen könne, und jeder, der es
wisse, Dich und Woldemar nur desto lieber haben
müsse, wenn er die tiefe Verehrung sehe, die
Woldemar für Dich habe, und Deine Zärtlichkeit
für ihn durchaus nicht von der Liebe zu Jda zu
unterscheiden vermöge.

Gern hätte ich diese Entdeckung noch eine Zeit-
lang verhütet; aber sie war nun geschehen, und
Jda's Herz kann es noch immer nicht verschmerzen,
daß der herrliche Bruder nicht ihrer Mutter Sohn
ist. Ob sie Dir darüber schreiben wird, soll mich
verlangen. Fast muß ich zweifeln, daß sie es
werde; denn sie kann nicht anders denken, als daß
sie durch dieses unwillkommene Gefühl auch Dich
vergeblich betrüben müsse, wenn sie es von neuem
in Dir aufregt.

Was mich freut, ist, daß die Entdeckung nicht
bei Woldemar's Hierseyn gemacht ward. Es
kam durch einen Fremden heraus, der den Mit-
tag mit uns speis'te. Dieser Zufall hat mich über

Woldemar vergütet, daß niemand, der es nicht
wiſſe, es wahrnehmen könne, und jeder, der es
wiſſe, Dich und Woldemar nur deſto lieber haben
müſſe, wenn er die tiefe Verehrung ſehe, die
Woldemar für Dich habe, und Deine Zärtlichkeit
für ihn durchaus nicht von der Liebe zu Jda zu
unterſcheiden vermöge.

Gern hätte ich dieſe Entdeckung noch eine Zeit-
lang verhütet; aber ſie war nun geſchehen, und
Jda’s Herz kann es noch immer nicht verſchmerzen,
daß der herrliche Bruder nicht ihrer Mutter Sohn
iſt. Ob ſie Dir darüber ſchreiben wird, ſoll mich
verlangen. Faſt muß ich zweifeln, daß ſie es
werde; denn ſie kann nicht anders denken, als daß
ſie durch dieſes unwillkommene Gefühl auch Dich
vergeblich betrüben müſſe, wenn ſie es von neuem
in Dir aufregt.

Was mich freut, iſt, daß die Entdeckung nicht
bei Woldemar’s Hierſeyn gemacht ward. Es
kam durch einen Fremden heraus, der den Mit-
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[71/0079] Woldemar vergütet, daß niemand, der es nicht wiſſe, es wahrnehmen könne, und jeder, der es wiſſe, Dich und Woldemar nur deſto lieber haben müſſe, wenn er die tiefe Verehrung ſehe, die Woldemar für Dich habe, und Deine Zärtlichkeit für ihn durchaus nicht von der Liebe zu Jda zu unterſcheiden vermöge. Gern hätte ich dieſe Entdeckung noch eine Zeit- lang verhütet; aber ſie war nun geſchehen, und Jda’s Herz kann es noch immer nicht verſchmerzen, daß der herrliche Bruder nicht ihrer Mutter Sohn iſt. Ob ſie Dir darüber ſchreiben wird, ſoll mich verlangen. Faſt muß ich zweifeln, daß ſie es werde; denn ſie kann nicht anders denken, als daß ſie durch dieſes unwillkommene Gefühl auch Dich vergeblich betrüben müſſe, wenn ſie es von neuem in Dir aufregt. Was mich freut, iſt, daß die Entdeckung nicht bei Woldemar’s Hierſeyn gemacht ward. Es kam durch einen Fremden heraus, der den Mit- tag mit uns ſpeiſ’te. Dieſer Zufall hat mich über

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/79>, abgerufen am 27.04.2024.