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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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die Frage zweifelnd nachsinnen gemacht, ob man
die Kinder nicht lieber so früh als möglich über
ihre wahren Familienverhältnisse belehren solle,
als sie in süßer Täuschung aufwachsen lassen, die
dann in einem Augenblicke gestört werden kann;
und wer steht uns dafür, daß dieser Augenblick
des Zufalls nicht der ungünstigste sey! Und das
Resultat meines Nachsinnens, wie mein entschie-
denes Gefühl ist für die früheste Enthüllung der
Wahrheit, so bald sie dem moralischen Charak-
ter der Eltern oder des einen von ihnen nicht nach-
theilig ist, so lange keines der Kinder sein Da-
seyn einem Vergehen, einer Schuld verdankt.
Wo das ist, da kann weder einem solchen Kinde,
das in die Familie aufgenommen, noch den übri-
gen ächten Kindern der Familie, die Entdeckung
je zu spät kommen, und darf vor den Jahren der
Reife nicht gemacht werden, denn Gott will den
Vater und die Mutter von den Kindern geehrt
haben. Dieses Allerheiligste in der Kindesseele
darf und muß nie auf das Spiel gesetzt werden.
Nichts muß ihnen über die ehrfurchtsvolle Liebe
zu den Eltern gehen, und wer, (sey es auch nur

die Frage zweifelnd nachſinnen gemacht, ob man
die Kinder nicht lieber ſo früh als möglich über
ihre wahren Familienverhältniſſe belehren ſolle,
als ſie in ſüßer Täuſchung aufwachſen laſſen, die
dann in einem Augenblicke geſtört werden kann;
und wer ſteht uns dafür, daß dieſer Augenblick
des Zufalls nicht der ungünſtigſte ſey! Und das
Reſultat meines Nachſinnens, wie mein entſchie-
denes Gefühl iſt für die früheſte Enthüllung der
Wahrheit, ſo bald ſie dem moraliſchen Charak-
ter der Eltern oder des einen von ihnen nicht nach-
theilig iſt, ſo lange keines der Kinder ſein Da-
ſeyn einem Vergehen, einer Schuld verdankt.
Wo das iſt, da kann weder einem ſolchen Kinde,
das in die Familie aufgenommen, noch den übri-
gen ächten Kindern der Familie, die Entdeckung
je zu ſpät kommen, und darf vor den Jahren der
Reife nicht gemacht werden, denn Gott will den
Vater und die Mutter von den Kindern geehrt
haben. Dieſes Allerheiligſte in der Kindesſeele
darf und muß nie auf das Spiel geſetzt werden.
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[72/0080] die Frage zweifelnd nachſinnen gemacht, ob man die Kinder nicht lieber ſo früh als möglich über ihre wahren Familienverhältniſſe belehren ſolle, als ſie in ſüßer Täuſchung aufwachſen laſſen, die dann in einem Augenblicke geſtört werden kann; und wer ſteht uns dafür, daß dieſer Augenblick des Zufalls nicht der ungünſtigſte ſey! Und das Reſultat meines Nachſinnens, wie mein entſchie- denes Gefühl iſt für die früheſte Enthüllung der Wahrheit, ſo bald ſie dem moraliſchen Charak- ter der Eltern oder des einen von ihnen nicht nach- theilig iſt, ſo lange keines der Kinder ſein Da- ſeyn einem Vergehen, einer Schuld verdankt. Wo das iſt, da kann weder einem ſolchen Kinde, das in die Familie aufgenommen, noch den übri- gen ächten Kindern der Familie, die Entdeckung je zu ſpät kommen, und darf vor den Jahren der Reife nicht gemacht werden, denn Gott will den Vater und die Mutter von den Kindern geehrt haben. Dieſes Allerheiligſte in der Kindesſeele darf und muß nie auf das Spiel geſetzt werden. Nichts muß ihnen über die ehrfurchtsvolle Liebe zu den Eltern gehen, und wer, (ſey es auch nur

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/80>, abgerufen am 27.04.2024.