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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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Geschöpf auch darstellt. Auf ein festes Versprechen
konnt' ich mich nicht einlassen, wenn gleich mich
die Bruderliebe innig rührte. Hertha, welche zu
Hause an tödtender Langeweile leidet, weiß nicht
anders, als daß sie zum Vergnügen und bloß als
Besuch bei uns seyn. Eine schwere Aufgabe wird
ihr Unterricht seyn. Sie ist fast in allem hinter
den andern zurück, und ich müßte diese entweder
sehr aufhalten, oder Hertha fast alle Stufen
überspringen lassen, wenn ich sie mit den dreien
unterrichten wollte. Jch werde sie also allein zu
mir nehmen, während die drei andern in der Kü-
che beschäftigt sind, denn in den Geschäften der
Haushaltung übertrift sie die andern weit, selbst
Clärchen -- und das ist mir höchst willkommen.
Am hinderlichsten ist sie uns des Morgens und
Abends, und bei jeder Herzensergießung, die ih-
rem rohen Gemüth fremd ist. Da ist die bloße
Gegenwart jedes Uneingeweihten lästig, ja stö-
rend. Jch habe sie deshalb in dem kleinen Ka-
binett dicht an unserm Schlafzimmer hingebettet.

Wenn sie uns erst mehr angehört, nehm' ich

Geſchöpf auch darſtellt. Auf ein feſtes Verſprechen
konnt’ ich mich nicht einlaſſen, wenn gleich mich
die Bruderliebe innig rührte. Hertha, welche zu
Hauſe an tödtender Langeweile leidet, weiß nicht
anders, als daß ſie zum Vergnügen und bloß als
Beſuch bei uns ſeyn. Eine ſchwere Aufgabe wird
ihr Unterricht ſeyn. Sie iſt faſt in allem hinter
den andern zurück, und ich müßte dieſe entweder
ſehr aufhalten, oder Hertha faſt alle Stufen
überſpringen laſſen, wenn ich ſie mit den dreien
unterrichten wollte. Jch werde ſie alſo allein zu
mir nehmen, während die drei andern in der Kü-
che beſchäftigt ſind, denn in den Geſchäften der
Haushaltung übertrift ſie die andern weit, ſelbſt
Clärchen — und das iſt mir höchſt willkommen.
Am hinderlichſten iſt ſie uns des Morgens und
Abends, und bei jeder Herzensergießung, die ih-
rem rohen Gemüth fremd iſt. Da iſt die bloße
Gegenwart jedes Uneingeweihten läſtig, ja ſtö-
rend. Jch habe ſie deshalb in dem kleinen Ka-
binett dicht an unſerm Schlafzimmer hingebettet.

Wenn ſie uns erſt mehr angehört, nehm’ ich

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[88/0096] Geſchöpf auch darſtellt. Auf ein feſtes Verſprechen konnt’ ich mich nicht einlaſſen, wenn gleich mich die Bruderliebe innig rührte. Hertha, welche zu Hauſe an tödtender Langeweile leidet, weiß nicht anders, als daß ſie zum Vergnügen und bloß als Beſuch bei uns ſeyn. Eine ſchwere Aufgabe wird ihr Unterricht ſeyn. Sie iſt faſt in allem hinter den andern zurück, und ich müßte dieſe entweder ſehr aufhalten, oder Hertha faſt alle Stufen überſpringen laſſen, wenn ich ſie mit den dreien unterrichten wollte. Jch werde ſie alſo allein zu mir nehmen, während die drei andern in der Kü- che beſchäftigt ſind, denn in den Geſchäften der Haushaltung übertrift ſie die andern weit, ſelbſt Clärchen — und das iſt mir höchſt willkommen. Am hinderlichſten iſt ſie uns des Morgens und Abends, und bei jeder Herzensergießung, die ih- rem rohen Gemüth fremd iſt. Da iſt die bloße Gegenwart jedes Uneingeweihten läſtig, ja ſtö- rend. Jch habe ſie deshalb in dem kleinen Ka- binett dicht an unſerm Schlafzimmer hingebettet. Wenn ſie uns erſt mehr angehört, nehm’ ich

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/96>, abgerufen am 27.04.2024.