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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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Die Griechen nemlich, denen der Anblick grausamer Leibesstra-
fen Gewohnheit war, dachten sich den Heiland am Kreuze
mit der ganzen Schwere des Leibes herabhängend, den Unter-
leib geschwellt und die erschlafften Kniee links ausgebogen, den
gesenkten Kopf mit den Qualen eines grausamen Todes rin-
gend. Ihr Gegenstand war demnach das körperliche Leiden
an sich selbst, ihr Zweck höchstens Erweckung des Mitleidens,
obwohl die damalige Kunst, um diesen untergeordneten Zweck
ganz zu erfüllen, an darstellenden und wahr scheinenden For-
men noch viel zu arm war. Die Italiener hingegen, in de-
ren älteren Denkmalen, wie nicht zu übersehen ist, die Dar-
stellung, sowohl der Jungfrau mit dem Kinde, als des Ge-
kreuzigten nur höchst selten vorkommt, pflegten die Gestalt des
Heilandes am Kreuze aufzurichten, verfolgten also, wie es
scheint, die Idee des Sieges des Geistigen, nicht, wie jene,
des Erliegens des Körperlichen.

Diese unläugbar edlere Auffassungsart einer wohl schwie-
rigen, doch, wie so viele Beyspiele darlegen, unter Umständen
höchst belohnenden, Kunstaufgabe tritt in mehr begünstigten
Kreisen des Abendlandes früh an das Licht, wie an dem
Deckel des einen der beiden schon erwähnten Missalien Hein-
richs des zweyten
, wo auch die übrigen Figuren, Phoebus
und Diana, Johannes und Maria, sogar der wohlverzierte
Rand, bemerkenswerthe Geschicklichkeit darlegen. Hingegen
wird sie in den italienischen Kunstarbeiten der älteren Zeit, z.
B. in jener Altartafel des Klosters Rambona, allerdings durch
technische Ungelenkigkeit der Künstler verhüllt, weshalb jene
oben erwähnten Bilder des Gekreuzigten, in denen sie für
Italien zuerst in einiger Deutlichkeit hervortritt, für uns ein
gedoppeltes Interesse besitzen. Denn einmal gewähren sie uns

Die Griechen nemlich, denen der Anblick grauſamer Leibesſtra-
fen Gewohnheit war, dachten ſich den Heiland am Kreuze
mit der ganzen Schwere des Leibes herabhaͤngend, den Unter-
leib geſchwellt und die erſchlafften Kniee links ausgebogen, den
geſenkten Kopf mit den Qualen eines grauſamen Todes rin-
gend. Ihr Gegenſtand war demnach das koͤrperliche Leiden
an ſich ſelbſt, ihr Zweck hoͤchſtens Erweckung des Mitleidens,
obwohl die damalige Kunſt, um dieſen untergeordneten Zweck
ganz zu erfuͤllen, an darſtellenden und wahr ſcheinenden For-
men noch viel zu arm war. Die Italiener hingegen, in de-
ren aͤlteren Denkmalen, wie nicht zu uͤberſehen iſt, die Dar-
ſtellung, ſowohl der Jungfrau mit dem Kinde, als des Ge-
kreuzigten nur hoͤchſt ſelten vorkommt, pflegten die Geſtalt des
Heilandes am Kreuze aufzurichten, verfolgten alſo, wie es
ſcheint, die Idee des Sieges des Geiſtigen, nicht, wie jene,
des Erliegens des Koͤrperlichen.

Dieſe unlaͤugbar edlere Auffaſſungsart einer wohl ſchwie-
rigen, doch, wie ſo viele Beyſpiele darlegen, unter Umſtaͤnden
hoͤchſt belohnenden, Kunſtaufgabe tritt in mehr beguͤnſtigten
Kreiſen des Abendlandes fruͤh an das Licht, wie an dem
Deckel des einen der beiden ſchon erwaͤhnten Miſſalien Hein-
richs des zweyten
, wo auch die uͤbrigen Figuren, Phoebus
und Diana, Johannes und Maria, ſogar der wohlverzierte
Rand, bemerkenswerthe Geſchicklichkeit darlegen. Hingegen
wird ſie in den italieniſchen Kunſtarbeiten der aͤlteren Zeit, z.
B. in jener Altartafel des Kloſters Rambona, allerdings durch
techniſche Ungelenkigkeit der Kuͤnſtler verhuͤllt, weshalb jene
oben erwaͤhnten Bilder des Gekreuzigten, in denen ſie fuͤr
Italien zuerſt in einiger Deutlichkeit hervortritt, fuͤr uns ein
gedoppeltes Intereſſe beſitzen. Denn einmal gewaͤhren ſie uns

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[280/0298] Die Griechen nemlich, denen der Anblick grauſamer Leibesſtra- fen Gewohnheit war, dachten ſich den Heiland am Kreuze mit der ganzen Schwere des Leibes herabhaͤngend, den Unter- leib geſchwellt und die erſchlafften Kniee links ausgebogen, den geſenkten Kopf mit den Qualen eines grauſamen Todes rin- gend. Ihr Gegenſtand war demnach das koͤrperliche Leiden an ſich ſelbſt, ihr Zweck hoͤchſtens Erweckung des Mitleidens, obwohl die damalige Kunſt, um dieſen untergeordneten Zweck ganz zu erfuͤllen, an darſtellenden und wahr ſcheinenden For- men noch viel zu arm war. Die Italiener hingegen, in de- ren aͤlteren Denkmalen, wie nicht zu uͤberſehen iſt, die Dar- ſtellung, ſowohl der Jungfrau mit dem Kinde, als des Ge- kreuzigten nur hoͤchſt ſelten vorkommt, pflegten die Geſtalt des Heilandes am Kreuze aufzurichten, verfolgten alſo, wie es ſcheint, die Idee des Sieges des Geiſtigen, nicht, wie jene, des Erliegens des Koͤrperlichen. Dieſe unlaͤugbar edlere Auffaſſungsart einer wohl ſchwie- rigen, doch, wie ſo viele Beyſpiele darlegen, unter Umſtaͤnden hoͤchſt belohnenden, Kunſtaufgabe tritt in mehr beguͤnſtigten Kreiſen des Abendlandes fruͤh an das Licht, wie an dem Deckel des einen der beiden ſchon erwaͤhnten Miſſalien Hein- richs des zweyten, wo auch die uͤbrigen Figuren, Phoebus und Diana, Johannes und Maria, ſogar der wohlverzierte Rand, bemerkenswerthe Geſchicklichkeit darlegen. Hingegen wird ſie in den italieniſchen Kunſtarbeiten der aͤlteren Zeit, z. B. in jener Altartafel des Kloſters Rambona, allerdings durch techniſche Ungelenkigkeit der Kuͤnſtler verhuͤllt, weshalb jene oben erwaͤhnten Bilder des Gekreuzigten, in denen ſie fuͤr Italien zuerſt in einiger Deutlichkeit hervortritt, fuͤr uns ein gedoppeltes Intereſſe beſitzen. Denn einmal gewaͤhren ſie uns

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/298>, abgerufen am 28.04.2024.