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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Die Phytotomie im 18. Jahrhundert.
stellungen vom inneren Bau der Pflanzen begnügte. Es ist nicht
leicht, die Ursachen dieses Verfalls der Phytotomie in den ersten
sechs bis sieben Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts aufzu-
finden; eine der wichtigsten scheint mir jedoch darin zu liegen,
daß man, wie schon Malpighi und Grew gethan hatten, bei
der anatomischen Untersuchung nicht die Kenntniß des inneren
Baues allein als Ziel verfolgte, sondern vorwiegend die Erklärung
physiologischer Vorgänge dadurch zu erreichen suchte. Die Er-
nährung und Saftbewegung der Pflanzen trat immer mehr in
den Vordergrund und Hales zeigte, wie viel sich in dieser
Richtung auch ohne mikroskopische Untersuchung leisten läßt; das
Interesse concentrirte sich daher bei den Wenigen, die überhaupt
mit Pflanzenphysiologie sich beschäftigten, wie Bonnet und Du
Hamel
auf die experimentelle Behandlung derselben. Zudem
wurden andere, die mit dem Mikroskop umzugehen wußten, wie
der Freiherr von Gleichen-Rußworm und Koelreuter
durch ihr Interesse an den Befruchtungsvorgängen, überhaupt an
den Fortpflanzungsverhältnissen von der Untersuchung der Struc-
tur der Vegetationsorgane abgezogen. Die eigentlichen Botaniker
im Sinne jener Zeit, zumal diejenigen, welche sich der Linne'-
schen Schule anschloßen, betrachteten physiologische und anatomische
Untersuchungen überhaupt als Nebensache, wenn nicht gar als
bloße Spielerei, mit welcher ein ernsthafter Pflanzensammler sich
nicht zu befassen brauche. Daß Linne selbst von mikroskopischer
Pflanzenanatomie Nichts hielt, geht aus dem im ersten Buch über
ihn Gesagten zur Genüge hervor.

Es würde die Mühe nicht lohnen, die nicht einmal zahl-
reichen, kleinen Abhandlungen, welche bis gegen 1760 erschienen,
im Einzelnen vorzuführen, da sie absolut nichts Neues bieten;
doch soll an einigen Beispielen das im Allgemeinen über den
damaligen Zustand der Phytotomie Gesagte erläutert werden.

Zunächst begegnen wir hier einem Schriftsteller, den nur
Wenige unter den Phytotomen erwarten werden; es ist der be-
kannte Philosoph Christian Freiherr v. Wolff, der in seinen
beiden Werken: "Vernünftige Gedanken von den Wirkungen der

Die Phytotomie im 18. Jahrhundert.
ſtellungen vom inneren Bau der Pflanzen begnügte. Es iſt nicht
leicht, die Urſachen dieſes Verfalls der Phytotomie in den erſten
ſechs bis ſieben Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts aufzu-
finden; eine der wichtigſten ſcheint mir jedoch darin zu liegen,
daß man, wie ſchon Malpighi und Grew gethan hatten, bei
der anatomiſchen Unterſuchung nicht die Kenntniß des inneren
Baues allein als Ziel verfolgte, ſondern vorwiegend die Erklärung
phyſiologiſcher Vorgänge dadurch zu erreichen ſuchte. Die Er-
nährung und Saftbewegung der Pflanzen trat immer mehr in
den Vordergrund und Hales zeigte, wie viel ſich in dieſer
Richtung auch ohne mikroſkopiſche Unterſuchung leiſten läßt; das
Intereſſe concentrirte ſich daher bei den Wenigen, die überhaupt
mit Pflanzenphyſiologie ſich beſchäftigten, wie Bonnet und Du
Hamel
auf die experimentelle Behandlung derſelben. Zudem
wurden andere, die mit dem Mikroſkop umzugehen wußten, wie
der Freiherr von Gleichen-Rußworm und Koelreuter
durch ihr Intereſſe an den Befruchtungsvorgängen, überhaupt an
den Fortpflanzungsverhältniſſen von der Unterſuchung der Struc-
tur der Vegetationsorgane abgezogen. Die eigentlichen Botaniker
im Sinne jener Zeit, zumal diejenigen, welche ſich der Linné'-
ſchen Schule anſchloßen, betrachteten phyſiologiſche und anatomiſche
Unterſuchungen überhaupt als Nebenſache, wenn nicht gar als
bloße Spielerei, mit welcher ein ernſthafter Pflanzenſammler ſich
nicht zu befaſſen brauche. Daß Linné ſelbſt von mikroſkopiſcher
Pflanzenanatomie Nichts hielt, geht aus dem im erſten Buch über
ihn Geſagten zur Genüge hervor.

Es würde die Mühe nicht lohnen, die nicht einmal zahl-
reichen, kleinen Abhandlungen, welche bis gegen 1760 erſchienen,
im Einzelnen vorzuführen, da ſie abſolut nichts Neues bieten;
doch ſoll an einigen Beiſpielen das im Allgemeinen über den
damaligen Zuſtand der Phytotomie Geſagte erläutert werden.

Zunächſt begegnen wir hier einem Schriftſteller, den nur
Wenige unter den Phytotomen erwarten werden; es iſt der be-
kannte Philoſoph Chriſtian Freiherr v. Wolff, der in ſeinen
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[266/0278] Die Phytotomie im 18. Jahrhundert. ſtellungen vom inneren Bau der Pflanzen begnügte. Es iſt nicht leicht, die Urſachen dieſes Verfalls der Phytotomie in den erſten ſechs bis ſieben Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts aufzu- finden; eine der wichtigſten ſcheint mir jedoch darin zu liegen, daß man, wie ſchon Malpighi und Grew gethan hatten, bei der anatomiſchen Unterſuchung nicht die Kenntniß des inneren Baues allein als Ziel verfolgte, ſondern vorwiegend die Erklärung phyſiologiſcher Vorgänge dadurch zu erreichen ſuchte. Die Er- nährung und Saftbewegung der Pflanzen trat immer mehr in den Vordergrund und Hales zeigte, wie viel ſich in dieſer Richtung auch ohne mikroſkopiſche Unterſuchung leiſten läßt; das Intereſſe concentrirte ſich daher bei den Wenigen, die überhaupt mit Pflanzenphyſiologie ſich beſchäftigten, wie Bonnet und Du Hamel auf die experimentelle Behandlung derſelben. Zudem wurden andere, die mit dem Mikroſkop umzugehen wußten, wie der Freiherr von Gleichen-Rußworm und Koelreuter durch ihr Intereſſe an den Befruchtungsvorgängen, überhaupt an den Fortpflanzungsverhältniſſen von der Unterſuchung der Struc- tur der Vegetationsorgane abgezogen. Die eigentlichen Botaniker im Sinne jener Zeit, zumal diejenigen, welche ſich der Linné'- ſchen Schule anſchloßen, betrachteten phyſiologiſche und anatomiſche Unterſuchungen überhaupt als Nebenſache, wenn nicht gar als bloße Spielerei, mit welcher ein ernſthafter Pflanzenſammler ſich nicht zu befaſſen brauche. Daß Linné ſelbſt von mikroſkopiſcher Pflanzenanatomie Nichts hielt, geht aus dem im erſten Buch über ihn Geſagten zur Genüge hervor. Es würde die Mühe nicht lohnen, die nicht einmal zahl- reichen, kleinen Abhandlungen, welche bis gegen 1760 erſchienen, im Einzelnen vorzuführen, da ſie abſolut nichts Neues bieten; doch ſoll an einigen Beiſpielen das im Allgemeinen über den damaligen Zuſtand der Phytotomie Geſagte erläutert werden. Zunächſt begegnen wir hier einem Schriftſteller, den nur Wenige unter den Phytotomen erwarten werden; es iſt der be- kannte Philoſoph Chriſtian Freiherr v. Wolff, der in ſeinen beiden Werken: „Vernünftige Gedanken von den Wirkungen der

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/278>, abgerufen am 30.04.2024.