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Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785.

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Zweyter Abschnitt.
diese Weise aus dem Leben zu treten: so
ist es offenbar, daß die Verehrer des Einen
wahren Gottes, ungeachtet aller Beyspiele
von Gottnichtkennenden Völkern, dieses
nicht thun dürfen. -- -- Besonders macht
man viel Wesens aus Cato's Selbstermor-
dung, nicht weil er sich selbst gemordet,
das wohl auch viele andere thaten, sondern
weil er für einen gelehrten und rechtschaffenen
Mann gehalten wird: woraus man denn
auf die Rechtschaffenheit dieser seiner lezten
That, und überhaupt auf die Erlaubtheit
des Selbstmordes schliesset. Man kann aber
über diese seine That nicht leicht ein treffen-
deres Urtheil fällen, als wenn man das be-
hauptet, was seine Freunde, auch gelehrte
Männer gesagt haben, da sie ihm den Selbst-
mord misriethen: es zeuge die Selbster-
mordung mehr von Geisteskleinheit als
Geistesgröße; der Selbstmord sey ein
Beweiß nicht von der Rechtschaffenheit,
die sich vor allem hütet, was schändlich
ist, sondern von der Schwäche die das
widrige Schicksal nicht ertragen kann.

Diese Denkart äußerte Cato selbst in Anse-

hung

Zweyter Abſchnitt.
dieſe Weiſe aus dem Leben zu treten: ſo
iſt es offenbar, daß die Verehrer des Einen
wahren Gottes, ungeachtet aller Beyſpiele
von Gottnichtkennenden Voͤlkern, dieſes
nicht thun duͤrfen. — — Beſonders macht
man viel Weſens aus Cato’s Selbſtermor-
dung, nicht weil er ſich ſelbſt gemordet,
das wohl auch viele andere thaten, ſondern
weil er fuͤr einen gelehrten und rechtſchaffenen
Mann gehalten wird: woraus man denn
auf die Rechtſchaffenheit dieſer ſeiner lezten
That, und uͤberhaupt auf die Erlaubtheit
des Selbſtmordes ſchlieſſet. Man kann aber
uͤber dieſe ſeine That nicht leicht ein treffen-
deres Urtheil faͤllen, als wenn man das be-
hauptet, was ſeine Freunde, auch gelehrte
Maͤnner geſagt haben, da ſie ihm den Selbſt-
mord misriethen: es zeuge die Selbſter-
mordung mehr von Geiſteskleinheit als
Geiſtesgroͤße; der Selbſtmord ſey ein
Beweiß nicht von der Rechtſchaffenheit,
die ſich vor allem huͤtet, was ſchaͤndlich
iſt, ſondern von der Schwaͤche die das
widrige Schickſal nicht ertragen kann.

Dieſe Denkart aͤußerte Cato ſelbſt in Anſe-

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[126/0138] Zweyter Abſchnitt. dieſe Weiſe aus dem Leben zu treten: ſo iſt es offenbar, daß die Verehrer des Einen wahren Gottes, ungeachtet aller Beyſpiele von Gottnichtkennenden Voͤlkern, dieſes nicht thun duͤrfen. — — Beſonders macht man viel Weſens aus Cato’s Selbſtermor- dung, nicht weil er ſich ſelbſt gemordet, das wohl auch viele andere thaten, ſondern weil er fuͤr einen gelehrten und rechtſchaffenen Mann gehalten wird: woraus man denn auf die Rechtſchaffenheit dieſer ſeiner lezten That, und uͤberhaupt auf die Erlaubtheit des Selbſtmordes ſchlieſſet. Man kann aber uͤber dieſe ſeine That nicht leicht ein treffen- deres Urtheil faͤllen, als wenn man das be- hauptet, was ſeine Freunde, auch gelehrte Maͤnner geſagt haben, da ſie ihm den Selbſt- mord misriethen: es zeuge die Selbſter- mordung mehr von Geiſteskleinheit als Geiſtesgroͤße; der Selbſtmord ſey ein Beweiß nicht von der Rechtſchaffenheit, die ſich vor allem huͤtet, was ſchaͤndlich iſt, ſondern von der Schwaͤche die das widrige Schickſal nicht ertragen kann. Dieſe Denkart aͤußerte Cato ſelbſt in Anſe- hung

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Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/138>, abgerufen am 28.04.2024.