Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Scheingründe für den Selbstmord.
hung seines liebsten Sohnes. Denn wenn
es eine Schandthat wäre, unter der Sie-
gesfahne des Cäsars zu leben, wie dürfte
der Vater den Sohn zu dieser Schandthat
reitzen, da er ihn alles Gute von Cäsars Men-
schenfreundlichkeit hoffen machte? Warum
zwang er ihn nicht vielmehr, mit sich zu
sterben? Wenn Torquatus rühmlich gehan-
delt, da er seinen eigenen Sohn, der ge-
gen Staats- und Kriegsbefehle mit dem
Feinde gestritten, und auch als Sieger zu-
rück kam, als einen Staatsverbrecher hin-
richtete: warum schonte der überwundene
Cato seines überwundenen Sohnes, da er
seiner nicht schonte? -- -- Cato hatte es
also im Herzen wohl selbst nicht geglaubt,
daß es eine Schandthat wäre, noch länger
unter Cäsars Siegen zu athmen: sonst hätte
er wohl seinen Sohn mit väterlichem Schwer-
te von dieser Schande gerettet. Man kann
also nichts anders sagen, als: so sehr Cato
als Vater seinen Sohn geliebet, und ihm
Cäsars Gnade gewünscht, und gegönnet
hatte: so sehr misgönnte Cato als Cato dem
Cäsar die Ehre, dem Cato eine Gnade er-

wiesen

Scheingruͤnde fuͤr den Selbſtmord.
hung ſeines liebſten Sohnes. Denn wenn
es eine Schandthat waͤre, unter der Sie-
gesfahne des Caͤſars zu leben, wie duͤrfte
der Vater den Sohn zu dieſer Schandthat
reitzen, da er ihn alles Gute von Caͤſars Men-
ſchenfreundlichkeit hoffen machte? Warum
zwang er ihn nicht vielmehr, mit ſich zu
ſterben? Wenn Torquatus ruͤhmlich gehan-
delt, da er ſeinen eigenen Sohn, der ge-
gen Staats- und Kriegsbefehle mit dem
Feinde geſtritten, und auch als Sieger zu-
ruͤck kam, als einen Staatsverbrecher hin-
richtete: warum ſchonte der uͤberwundene
Cato ſeines uͤberwundenen Sohnes, da er
ſeiner nicht ſchonte? — — Cato hatte es
alſo im Herzen wohl ſelbſt nicht geglaubt,
daß es eine Schandthat waͤre, noch laͤnger
unter Caͤſars Siegen zu athmen: ſonſt haͤtte
er wohl ſeinen Sohn mit vaͤterlichem Schwer-
te von dieſer Schande gerettet. Man kann
alſo nichts anders ſagen, als: ſo ſehr Cato
als Vater ſeinen Sohn geliebet, und ihm
Caͤſars Gnade gewuͤnſcht, und gegoͤnnet
hatte: ſo ſehr misgoͤnnte Cato als Cato dem
Caͤſar die Ehre, dem Cato eine Gnade er-

wieſen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0139" n="127"/><fw place="top" type="header">Scheingru&#x0364;nde fu&#x0364;r den Selb&#x017F;tmord.</fw><lb/>
hung &#x017F;eines lieb&#x017F;ten Sohnes. Denn wenn<lb/>
es eine Schandthat wa&#x0364;re, unter der Sie-<lb/>
gesfahne des Ca&#x0364;&#x017F;ars <hi rendition="#fr">zu leben,</hi> wie du&#x0364;rfte<lb/>
der Vater den Sohn zu die&#x017F;er Schandthat<lb/>
reitzen, da er ihn alles Gute von Ca&#x0364;&#x017F;ars Men-<lb/>
&#x017F;chenfreundlichkeit hoffen machte? Warum<lb/>
zwang er ihn nicht vielmehr, mit &#x017F;ich zu<lb/>
&#x017F;terben? Wenn Torquatus ru&#x0364;hmlich gehan-<lb/>
delt, da er &#x017F;einen eigenen Sohn, der ge-<lb/>
gen Staats- und Kriegsbefehle mit dem<lb/>
Feinde ge&#x017F;tritten, und auch als Sieger zu-<lb/>
ru&#x0364;ck kam, als einen Staatsverbrecher hin-<lb/>
richtete: warum &#x017F;chonte der u&#x0364;berwundene<lb/>
Cato &#x017F;eines u&#x0364;berwundenen Sohnes, da er<lb/>
&#x017F;einer nicht &#x017F;chonte? &#x2014; &#x2014; Cato hatte es<lb/>
al&#x017F;o im Herzen wohl &#x017F;elb&#x017F;t nicht geglaubt,<lb/>
daß es eine Schandthat wa&#x0364;re, noch la&#x0364;nger<lb/>
unter Ca&#x0364;&#x017F;ars Siegen zu athmen: &#x017F;on&#x017F;t ha&#x0364;tte<lb/>
er wohl &#x017F;einen Sohn mit va&#x0364;terlichem Schwer-<lb/>
te von die&#x017F;er Schande gerettet. Man kann<lb/>
al&#x017F;o nichts anders &#x017F;agen, als: &#x017F;o &#x017F;ehr Cato<lb/>
als Vater &#x017F;einen Sohn geliebet, und ihm<lb/>
Ca&#x0364;&#x017F;ars Gnade gewu&#x0364;n&#x017F;cht, und gego&#x0364;nnet<lb/>
hatte: &#x017F;o &#x017F;ehr misgo&#x0364;nnte Cato als Cato dem<lb/>
Ca&#x0364;&#x017F;ar die Ehre, dem Cato eine Gnade er-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wie&#x017F;en</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[127/0139] Scheingruͤnde fuͤr den Selbſtmord. hung ſeines liebſten Sohnes. Denn wenn es eine Schandthat waͤre, unter der Sie- gesfahne des Caͤſars zu leben, wie duͤrfte der Vater den Sohn zu dieſer Schandthat reitzen, da er ihn alles Gute von Caͤſars Men- ſchenfreundlichkeit hoffen machte? Warum zwang er ihn nicht vielmehr, mit ſich zu ſterben? Wenn Torquatus ruͤhmlich gehan- delt, da er ſeinen eigenen Sohn, der ge- gen Staats- und Kriegsbefehle mit dem Feinde geſtritten, und auch als Sieger zu- ruͤck kam, als einen Staatsverbrecher hin- richtete: warum ſchonte der uͤberwundene Cato ſeines uͤberwundenen Sohnes, da er ſeiner nicht ſchonte? — — Cato hatte es alſo im Herzen wohl ſelbſt nicht geglaubt, daß es eine Schandthat waͤre, noch laͤnger unter Caͤſars Siegen zu athmen: ſonſt haͤtte er wohl ſeinen Sohn mit vaͤterlichem Schwer- te von dieſer Schande gerettet. Man kann alſo nichts anders ſagen, als: ſo ſehr Cato als Vater ſeinen Sohn geliebet, und ihm Caͤſars Gnade gewuͤnſcht, und gegoͤnnet hatte: ſo ſehr misgoͤnnte Cato als Cato dem Caͤſar die Ehre, dem Cato eine Gnade er- wieſen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/139
Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/139>, abgerufen am 30.04.2024.