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Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785.

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Dritter Abschnitt.
aufrufen: auch ich bin zum Könige ge-
bohren!

Allein nichts ist verkannter, ungeschätz-
ter, als die Königswürde der menschli-
chen Vernunft,
dieser schöne Zug in dem
Ebenbilde Gottes -- dem Menschen: oder,
wenn dem metapherscheuen Geschmacke eini-
ger meiner Leser diese Ausdrücke zu sinnlich
sind: nichts ist verkannter, ungeschätzter als
die Grundbestimmung der Menschenver-
nunft,
den geheimsten, verschwiegensten
Regungen des Herzens gegen die Stimme
des Gewissens, mit Macht entgegen zu ar-
beiten, bis volle Einstimmung aller Re-
gungen des Herzens mit dem Gewissen, das
ist, mit dem Befehle der Gottheit er-
kämpfet ist.

Da hat nun das Christenthum ein
dreyfaches Verdienst um diese Würde der
Menschenvernunft, erstens, weil es uns
darauf aufmerksam macht; zweytens, weil
es uns die Behauptung dieser Würde zur

stren-
Daß Wollust im eigensten Sinne Selbst-
mörderinn sey, beweiset unter andern auch
der oben erwähnte Selbstmord. Denn eben
dieser

Dritter Abſchnitt.
aufrufen: auch ich bin zum Koͤnige ge-
bohren!

Allein nichts iſt verkannter, ungeſchaͤtz-
ter, als die Koͤnigswuͤrde der menſchli-
chen Vernunft,
dieſer ſchoͤne Zug in dem
Ebenbilde Gottes — dem Menſchen: oder,
wenn dem metapherſcheuen Geſchmacke eini-
ger meiner Leſer dieſe Ausdruͤcke zu ſinnlich
ſind: nichts iſt verkannter, ungeſchaͤtzter als
die Grundbeſtimmung der Menſchenver-
nunft,
den geheimſten, verſchwiegenſten
Regungen des Herzens gegen die Stimme
des Gewiſſens, mit Macht entgegen zu ar-
beiten, bis volle Einſtimmung aller Re-
gungen des Herzens mit dem Gewiſſen, das
iſt, mit dem Befehle der Gottheit er-
kaͤmpfet iſt.

Da hat nun das Chriſtenthum ein
dreyfaches Verdienſt um dieſe Wuͤrde der
Menſchenvernunft, erſtens, weil es uns
darauf aufmerkſam macht; zweytens, weil
es uns die Behauptung dieſer Wuͤrde zur

ſtren-
Daß Wolluſt im eigenſten Sinne Selbſt-
moͤrderinn ſey, beweiſet unter andern auch
der oben erwaͤhnte Selbſtmord. Denn eben
dieſer
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[152/0164] Dritter Abſchnitt. aufrufen: auch ich bin zum Koͤnige ge- bohren! Allein nichts iſt verkannter, ungeſchaͤtz- ter, als die Koͤnigswuͤrde der menſchli- chen Vernunft, dieſer ſchoͤne Zug in dem Ebenbilde Gottes — dem Menſchen: oder, wenn dem metapherſcheuen Geſchmacke eini- ger meiner Leſer dieſe Ausdruͤcke zu ſinnlich ſind: nichts iſt verkannter, ungeſchaͤtzter als die Grundbeſtimmung der Menſchenver- nunft, den geheimſten, verſchwiegenſten Regungen des Herzens gegen die Stimme des Gewiſſens, mit Macht entgegen zu ar- beiten, bis volle Einſtimmung aller Re- gungen des Herzens mit dem Gewiſſen, das iſt, mit dem Befehle der Gottheit er- kaͤmpfet iſt. Da hat nun das Chriſtenthum ein dreyfaches Verdienſt um dieſe Wuͤrde der Menſchenvernunft, erſtens, weil es uns darauf aufmerkſam macht; zweytens, weil es uns die Behauptung dieſer Wuͤrde zur ſtren- (z) (z) Daß Wolluſt im eigenſten Sinne Selbſt- moͤrderinn ſey, beweiſet unter andern auch der oben erwaͤhnte Selbſtmord. Denn eben dieſer

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Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/164>, abgerufen am 26.04.2024.