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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896.

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Die Sprengstoffe und ihre Verwendung.
dreifach nitriertes Phenol, und wirkt höchst explosiv. Das Poudre B.
erregte die Sprengtechniker aller Länder auf das Lebhafteste; und der
Umstand, daß es sich beim Lagern nicht unzersetzt halten sollte, be-
wirkte, daß man alle nur möglichen Anstrengungen machte, um die
Schießwolle allein zu Pulver zu verarbeiten. Diese Aufgabe kann
heute als vollkommen gelöst gelten. Nachdem schon 1870 die Ameri-
kaner Gebrüder Hyatt durch Auflösen schwach nitrierter Baumwolle in
geschmolzenem Kampher eine gelatinöse, nach dem Trocknen elastische
Substanz dargestellt hatten und hierdurch die Erfinder des zur Her-
stellung aller möglichen Imitationen dienenden Celluloids geworden
waren, gelang es nun, auch die Schießwolle mittels verschiedener
Lösungsmittel, wie Aceton, Essigäther und anderer, zu "gelatinieren".
Sie quillt in diesen Mitteln, ohne sich eigentlich zu lösen, auf und geht
in eine gallertartige Masse über, welche nach Entfernung des Lösungs-
mittels plastisch genug ist, um sie in Tafeln auswalzen und dann in
kleine viereckige, nach dem völligen Trocknen hornartig erscheinende
Blättchen zerschneiden zu können. Es ist leicht begreiflich, daß man
es völlig in der Hand hat, durch Zusatz von indifferenten Körpern,
besonders von Kampher, die Wirkung dieses neuen rauchlosen Pulvers
ganz nach Belieben zu verkleinern und den Waffen, für welche es bestimmt
ist, anzupassen.

Es war natürlich, daß diese Waffen, nachdem die Anfangsgeschwin-
digkeit des Geschosses um das Doppelte erhöht war, gegen die früheren
Änderungen erleiden mußten. Während das deutsche Magazingewehr
84 gegen das Mausergewehr 71 -- abgesehen von der Magazin-
einrichtung -- eigentlich nichts Neues bot, muß das neue deutsche
Gewehr 88 als eine vollständig neue Waffe angesehen werden, deren
Schilderung in wenigen Zügen hier folgen möge, weil wir sie als die
vollkommenste Leistung auf dem Gebiete der Handfeuerwaffen betrachten
können.

Die Waffe (Fig. 396 u. 397) hat ein Kaliber von 7,9 mm und vier
Züge, die schon auf je 240 mm Lauflänge eine Umdrehung vollenden.
Der Lauf ist, um ihm Freiheit zur Ausdehnung durch die unvermeid-
liche Erwärmung zu gestatten, von dem stählernen Laufmantel lose
umgeben und nur am vordersten Ende eng umschlossen. Die zwischen-
liegende Luftschicht vermindert auch die Verbreitung der Wärme des
Laufes nach außen zu. Der Verschluß am hinteren offenen Laufende e
wird, ähnlich wie schon bei dem alten Zündnadelgewehr, durch die
Kammer k gebildet, welche sich zurückziehen läßt (Fig. 396). Der
Patronenrahmen p, welcher das frühere Magazin vertritt, faßt fünf
Patronen; er besteht aus dünnem Stahlblech und wird durch den
federnden, an der untersten Patrone angreifenden Zubringer z stetig
nach oben gedrückt, zugleich aber durch den Rahmenhalter g, dessen
Kralle in einen Haft des Rahmens greift, an der Bewegung nach oben
gehindert. Nachdem die Kammer zurückgezogen ist, befindet sich das

Die Sprengſtoffe und ihre Verwendung.
dreifach nitriertes Phenol, und wirkt höchſt exploſiv. Das Poudre B.
erregte die Sprengtechniker aller Länder auf das Lebhafteſte; und der
Umſtand, daß es ſich beim Lagern nicht unzerſetzt halten ſollte, be-
wirkte, daß man alle nur möglichen Anſtrengungen machte, um die
Schießwolle allein zu Pulver zu verarbeiten. Dieſe Aufgabe kann
heute als vollkommen gelöſt gelten. Nachdem ſchon 1870 die Ameri-
kaner Gebrüder Hyatt durch Auflöſen ſchwach nitrierter Baumwolle in
geſchmolzenem Kampher eine gelatinöſe, nach dem Trocknen elaſtiſche
Subſtanz dargeſtellt hatten und hierdurch die Erfinder des zur Her-
ſtellung aller möglichen Imitationen dienenden Celluloids geworden
waren, gelang es nun, auch die Schießwolle mittels verſchiedener
Löſungsmittel, wie Aceton, Eſſigäther und anderer, zu „gelatinieren“.
Sie quillt in dieſen Mitteln, ohne ſich eigentlich zu löſen, auf und geht
in eine gallertartige Maſſe über, welche nach Entfernung des Löſungs-
mittels plaſtiſch genug iſt, um ſie in Tafeln auswalzen und dann in
kleine viereckige, nach dem völligen Trocknen hornartig erſcheinende
Blättchen zerſchneiden zu können. Es iſt leicht begreiflich, daß man
es völlig in der Hand hat, durch Zuſatz von indifferenten Körpern,
beſonders von Kampher, die Wirkung dieſes neuen rauchloſen Pulvers
ganz nach Belieben zu verkleinern und den Waffen, für welche es beſtimmt
iſt, anzupaſſen.

Es war natürlich, daß dieſe Waffen, nachdem die Anfangsgeſchwin-
digkeit des Geſchoſſes um das Doppelte erhöht war, gegen die früheren
Änderungen erleiden mußten. Während das deutſche Magazingewehr
84 gegen das Mauſergewehr 71 — abgeſehen von der Magazin-
einrichtung — eigentlich nichts Neues bot, muß das neue deutſche
Gewehr 88 als eine vollſtändig neue Waffe angeſehen werden, deren
Schilderung in wenigen Zügen hier folgen möge, weil wir ſie als die
vollkommenſte Leiſtung auf dem Gebiete der Handfeuerwaffen betrachten
können.

Die Waffe (Fig. 396 u. 397) hat ein Kaliber von 7,9 mm und vier
Züge, die ſchon auf je 240 mm Lauflänge eine Umdrehung vollenden.
Der Lauf iſt, um ihm Freiheit zur Ausdehnung durch die unvermeid-
liche Erwärmung zu geſtatten, von dem ſtählernen Laufmantel loſe
umgeben und nur am vorderſten Ende eng umſchloſſen. Die zwiſchen-
liegende Luftſchicht vermindert auch die Verbreitung der Wärme des
Laufes nach außen zu. Der Verſchluß am hinteren offenen Laufende e
wird, ähnlich wie ſchon bei dem alten Zündnadelgewehr, durch die
Kammer k gebildet, welche ſich zurückziehen läßt (Fig. 396). Der
Patronenrahmen p, welcher das frühere Magazin vertritt, faßt fünf
Patronen; er beſteht aus dünnem Stahlblech und wird durch den
federnden, an der unterſten Patrone angreifenden Zubringer z ſtetig
nach oben gedrückt, zugleich aber durch den Rahmenhalter g, deſſen
Kralle in einen Haft des Rahmens greift, an der Bewegung nach oben
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[710/0728] Die Sprengſtoffe und ihre Verwendung. dreifach nitriertes Phenol, und wirkt höchſt exploſiv. Das Poudre B. erregte die Sprengtechniker aller Länder auf das Lebhafteſte; und der Umſtand, daß es ſich beim Lagern nicht unzerſetzt halten ſollte, be- wirkte, daß man alle nur möglichen Anſtrengungen machte, um die Schießwolle allein zu Pulver zu verarbeiten. Dieſe Aufgabe kann heute als vollkommen gelöſt gelten. Nachdem ſchon 1870 die Ameri- kaner Gebrüder Hyatt durch Auflöſen ſchwach nitrierter Baumwolle in geſchmolzenem Kampher eine gelatinöſe, nach dem Trocknen elaſtiſche Subſtanz dargeſtellt hatten und hierdurch die Erfinder des zur Her- ſtellung aller möglichen Imitationen dienenden Celluloids geworden waren, gelang es nun, auch die Schießwolle mittels verſchiedener Löſungsmittel, wie Aceton, Eſſigäther und anderer, zu „gelatinieren“. Sie quillt in dieſen Mitteln, ohne ſich eigentlich zu löſen, auf und geht in eine gallertartige Maſſe über, welche nach Entfernung des Löſungs- mittels plaſtiſch genug iſt, um ſie in Tafeln auswalzen und dann in kleine viereckige, nach dem völligen Trocknen hornartig erſcheinende Blättchen zerſchneiden zu können. Es iſt leicht begreiflich, daß man es völlig in der Hand hat, durch Zuſatz von indifferenten Körpern, beſonders von Kampher, die Wirkung dieſes neuen rauchloſen Pulvers ganz nach Belieben zu verkleinern und den Waffen, für welche es beſtimmt iſt, anzupaſſen. Es war natürlich, daß dieſe Waffen, nachdem die Anfangsgeſchwin- digkeit des Geſchoſſes um das Doppelte erhöht war, gegen die früheren Änderungen erleiden mußten. Während das deutſche Magazingewehr 84 gegen das Mauſergewehr 71 — abgeſehen von der Magazin- einrichtung — eigentlich nichts Neues bot, muß das neue deutſche Gewehr 88 als eine vollſtändig neue Waffe angeſehen werden, deren Schilderung in wenigen Zügen hier folgen möge, weil wir ſie als die vollkommenſte Leiſtung auf dem Gebiete der Handfeuerwaffen betrachten können. Die Waffe (Fig. 396 u. 397) hat ein Kaliber von 7,9 mm und vier Züge, die ſchon auf je 240 mm Lauflänge eine Umdrehung vollenden. Der Lauf iſt, um ihm Freiheit zur Ausdehnung durch die unvermeid- liche Erwärmung zu geſtatten, von dem ſtählernen Laufmantel loſe umgeben und nur am vorderſten Ende eng umſchloſſen. Die zwiſchen- liegende Luftſchicht vermindert auch die Verbreitung der Wärme des Laufes nach außen zu. Der Verſchluß am hinteren offenen Laufende e wird, ähnlich wie ſchon bei dem alten Zündnadelgewehr, durch die Kammer k gebildet, welche ſich zurückziehen läßt (Fig. 396). Der Patronenrahmen p, welcher das frühere Magazin vertritt, faßt fünf Patronen; er beſteht aus dünnem Stahlblech und wird durch den federnden, an der unterſten Patrone angreifenden Zubringer z ſtetig nach oben gedrückt, zugleich aber durch den Rahmenhalter g, deſſen Kralle in einen Haft des Rahmens greift, an der Bewegung nach oben gehindert. Nachdem die Kammer zurückgezogen iſt, befindet ſich das

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Zitationshilfe: Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 710. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/728>, abgerufen am 27.04.2024.