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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896.

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Die vervielfältigenden Künste.
Jahrhunderte, während wieder auf der anderen Seite oft die kulturelle
Entwicklung ganzer Völker durch den plötzlichen Ausbruch jener im
Menschen noch schlummernden tierischen Rohheit, die sich nach Erprobung
der in ihm steckenden körperlichen Kraft sehnt, auf Jahrhunderte oder
wenigstens Jahrzehnte hinaus in Frage gestellt wird.

Die Notwendigkeit einer Vervielfältigung mancher Schrift-, Dicht-
und Kunstwerke hatte man schon frühzeitig erkannt. Das Gefühl der
Verpflichtung der Menschheit, ihrer Nachkommenschaft den Fonds der
Erfahrungen, Annehmlichkeiten, kurz der Lebensweisheit, in unantast-
barer Weise zu hinterlassen, den ihre Vorfahren ihnen mündlich überliefert,
und den sie selbst schließlich gewonnen hatten, dieses Gefühl durchdrang
schon in den ältesten Zeiten die Menschen. Es wurden besondere
Personen angestellt, die für die gute Erhaltung von wichtigen Staats-
dokumenten, Denkmälern und Annalen zu sorgen und im Falle ihrer
Beschädigung die Erneuerung zu bewirken hatten. Man erkannte bald,
daß zur Sicherung solcher Dokumente ihre Vervielfältigung notwendig
war. Besonders aber die mehr und mehr anwachsende und die All-
gemeinheit interessierende Litteratur verlangte dringend eine Ver-
vielfältigung, fand dieselbe im Altertum, wie bis spät ins Mittelalter
hinein, aber nur durch vielmaliges Abschreiben. Im alten Rom sehen
wir, wie Sklaven zu dieser Arbeit verwendet werden, während im
Mittelalter fast allein die Mönche in den Klöstern mühselig durch Ab-
schreiben in meist künstlerischer Form für die Verbreitung der alten
Handschriften sorgten.

Einige schüchterne Versuche zur mechanischen Vervielfältigung sehen
wir allerdings schon in alten Zeiten; so bedienten sich die alten Ägypter
einer Art Schablone, um die Inschriften mehrfach gleichmäßig herzu-
stellen. Schablonen, die ausgetuscht wurden, finden wir auch früh bei
den Chinesen. Dem Typendruck ähnlicher ist schon die wiederholte
Herstellung eines Zeichens mittels eines Stempels, die wir bereits bei
den alten Babyloniern, dann bei den Ägyptern, Griechen, Römern und
auch im Mittelalter finden. Oft wurden Initialen mit solchen Stempeln
gedruckt, aber es war dies doch immer noch eine Art der Ver-
vielfältigung, die das Schreiben nicht ersetzte, und etwa nur unserm
heute üblichen Siegeln vergleichbar war. Der direkte Vorläufer der
Buchdruckerkunst war aber die Holzschneidekunst, die in China schon
sehr früh, im 6. oder 10. Jahrhundert nach Chr. Geb. zu ziemlicher
Vollkommenheit gelangt zu sein scheint. Bei der unendlichen Zahl der
chinesischen Schriftzeichen ist diese Methode der Vervielfältigung bei
diesem Volke bis auf den heutigen Tag die gebräuchliche geblieben,
trotzdem, wie man annehmen darf, die Herstellung beweglicher Typen
aus gebrannten Ziegeln in China schon im 11. Jahrhundert von
Pisching erfunden ist. Es fehlte aber die Erfindung der Druckerpresse,
der Druckerschwärze und vor allem auch eine Methode, die Typen, die
Buchstaben, mechanisch zu vervielfältigen. Diese Punkte bedingen auch

Die vervielfältigenden Künſte.
Jahrhunderte, während wieder auf der anderen Seite oft die kulturelle
Entwicklung ganzer Völker durch den plötzlichen Ausbruch jener im
Menſchen noch ſchlummernden tieriſchen Rohheit, die ſich nach Erprobung
der in ihm ſteckenden körperlichen Kraft ſehnt, auf Jahrhunderte oder
wenigſtens Jahrzehnte hinaus in Frage geſtellt wird.

Die Notwendigkeit einer Vervielfältigung mancher Schrift-, Dicht-
und Kunſtwerke hatte man ſchon frühzeitig erkannt. Das Gefühl der
Verpflichtung der Menſchheit, ihrer Nachkommenſchaft den Fonds der
Erfahrungen, Annehmlichkeiten, kurz der Lebensweisheit, in unantaſt-
barer Weiſe zu hinterlaſſen, den ihre Vorfahren ihnen mündlich überliefert,
und den ſie ſelbſt ſchließlich gewonnen hatten, dieſes Gefühl durchdrang
ſchon in den älteſten Zeiten die Menſchen. Es wurden beſondere
Perſonen angeſtellt, die für die gute Erhaltung von wichtigen Staats-
dokumenten, Denkmälern und Annalen zu ſorgen und im Falle ihrer
Beſchädigung die Erneuerung zu bewirken hatten. Man erkannte bald,
daß zur Sicherung ſolcher Dokumente ihre Vervielfältigung notwendig
war. Beſonders aber die mehr und mehr anwachſende und die All-
gemeinheit intereſſierende Litteratur verlangte dringend eine Ver-
vielfältigung, fand dieſelbe im Altertum, wie bis ſpät ins Mittelalter
hinein, aber nur durch vielmaliges Abſchreiben. Im alten Rom ſehen
wir, wie Sklaven zu dieſer Arbeit verwendet werden, während im
Mittelalter faſt allein die Mönche in den Klöſtern mühſelig durch Ab-
ſchreiben in meiſt künſtleriſcher Form für die Verbreitung der alten
Handſchriften ſorgten.

Einige ſchüchterne Verſuche zur mechaniſchen Vervielfältigung ſehen
wir allerdings ſchon in alten Zeiten; ſo bedienten ſich die alten Ägypter
einer Art Schablone, um die Inſchriften mehrfach gleichmäßig herzu-
ſtellen. Schablonen, die ausgetuſcht wurden, finden wir auch früh bei
den Chineſen. Dem Typendruck ähnlicher iſt ſchon die wiederholte
Herſtellung eines Zeichens mittels eines Stempels, die wir bereits bei
den alten Babyloniern, dann bei den Ägyptern, Griechen, Römern und
auch im Mittelalter finden. Oft wurden Initialen mit ſolchen Stempeln
gedruckt, aber es war dies doch immer noch eine Art der Ver-
vielfältigung, die das Schreiben nicht erſetzte, und etwa nur unſerm
heute üblichen Siegeln vergleichbar war. Der direkte Vorläufer der
Buchdruckerkunſt war aber die Holzſchneidekunſt, die in China ſchon
ſehr früh, im 6. oder 10. Jahrhundert nach Chr. Geb. zu ziemlicher
Vollkommenheit gelangt zu ſein ſcheint. Bei der unendlichen Zahl der
chineſiſchen Schriftzeichen iſt dieſe Methode der Vervielfältigung bei
dieſem Volke bis auf den heutigen Tag die gebräuchliche geblieben,
trotzdem, wie man annehmen darf, die Herſtellung beweglicher Typen
aus gebrannten Ziegeln in China ſchon im 11. Jahrhundert von
Piſching erfunden iſt. Es fehlte aber die Erfindung der Druckerpreſſe,
der Druckerſchwärze und vor allem auch eine Methode, die Typen, die
Buchſtaben, mechaniſch zu vervielfältigen. Dieſe Punkte bedingen auch

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[946/0964] Die vervielfältigenden Künſte. Jahrhunderte, während wieder auf der anderen Seite oft die kulturelle Entwicklung ganzer Völker durch den plötzlichen Ausbruch jener im Menſchen noch ſchlummernden tieriſchen Rohheit, die ſich nach Erprobung der in ihm ſteckenden körperlichen Kraft ſehnt, auf Jahrhunderte oder wenigſtens Jahrzehnte hinaus in Frage geſtellt wird. Die Notwendigkeit einer Vervielfältigung mancher Schrift-, Dicht- und Kunſtwerke hatte man ſchon frühzeitig erkannt. Das Gefühl der Verpflichtung der Menſchheit, ihrer Nachkommenſchaft den Fonds der Erfahrungen, Annehmlichkeiten, kurz der Lebensweisheit, in unantaſt- barer Weiſe zu hinterlaſſen, den ihre Vorfahren ihnen mündlich überliefert, und den ſie ſelbſt ſchließlich gewonnen hatten, dieſes Gefühl durchdrang ſchon in den älteſten Zeiten die Menſchen. Es wurden beſondere Perſonen angeſtellt, die für die gute Erhaltung von wichtigen Staats- dokumenten, Denkmälern und Annalen zu ſorgen und im Falle ihrer Beſchädigung die Erneuerung zu bewirken hatten. Man erkannte bald, daß zur Sicherung ſolcher Dokumente ihre Vervielfältigung notwendig war. Beſonders aber die mehr und mehr anwachſende und die All- gemeinheit intereſſierende Litteratur verlangte dringend eine Ver- vielfältigung, fand dieſelbe im Altertum, wie bis ſpät ins Mittelalter hinein, aber nur durch vielmaliges Abſchreiben. Im alten Rom ſehen wir, wie Sklaven zu dieſer Arbeit verwendet werden, während im Mittelalter faſt allein die Mönche in den Klöſtern mühſelig durch Ab- ſchreiben in meiſt künſtleriſcher Form für die Verbreitung der alten Handſchriften ſorgten. Einige ſchüchterne Verſuche zur mechaniſchen Vervielfältigung ſehen wir allerdings ſchon in alten Zeiten; ſo bedienten ſich die alten Ägypter einer Art Schablone, um die Inſchriften mehrfach gleichmäßig herzu- ſtellen. Schablonen, die ausgetuſcht wurden, finden wir auch früh bei den Chineſen. Dem Typendruck ähnlicher iſt ſchon die wiederholte Herſtellung eines Zeichens mittels eines Stempels, die wir bereits bei den alten Babyloniern, dann bei den Ägyptern, Griechen, Römern und auch im Mittelalter finden. Oft wurden Initialen mit ſolchen Stempeln gedruckt, aber es war dies doch immer noch eine Art der Ver- vielfältigung, die das Schreiben nicht erſetzte, und etwa nur unſerm heute üblichen Siegeln vergleichbar war. Der direkte Vorläufer der Buchdruckerkunſt war aber die Holzſchneidekunſt, die in China ſchon ſehr früh, im 6. oder 10. Jahrhundert nach Chr. Geb. zu ziemlicher Vollkommenheit gelangt zu ſein ſcheint. Bei der unendlichen Zahl der chineſiſchen Schriftzeichen iſt dieſe Methode der Vervielfältigung bei dieſem Volke bis auf den heutigen Tag die gebräuchliche geblieben, trotzdem, wie man annehmen darf, die Herſtellung beweglicher Typen aus gebrannten Ziegeln in China ſchon im 11. Jahrhundert von Piſching erfunden iſt. Es fehlte aber die Erfindung der Druckerpreſſe, der Druckerſchwärze und vor allem auch eine Methode, die Typen, die Buchſtaben, mechaniſch zu vervielfältigen. Dieſe Punkte bedingen auch

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Zitationshilfe: Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 946. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/964>, abgerufen am 26.04.2024.